1 ...6 7 8 10 11 12 ...46 »Sei bloß still!«, fuhr Jeldrik ihn an.
Phelan trat nach vorne und warf einen Blick nach unten. Überrascht beugte er sich vor. Statt der erwarteten vielen Hütten und Verschläge, Feuer und Menschen war es still und dunkel unter ihm. Er sah lediglich ein umfangreiches, kahles Stück Land mit dem Umriss eines großen, windschiefen Gebäudes in der Mitte. Es war ein ehemaliges Lagerhaus, wie es aussah. »Wo sind sie denn? Sie schlafen doch nicht etwa alle da drin?«
Die Wache schnaubte verächtlich. »Doch, tun sie, wie auch immer sie alle da hineinpassen. Sie haben sich geweigert, Hütten zu bauen. Vielleicht dachten sie, wir würden sie wieder in die Clans zurückkehren lassen, wenn das Ding zusammenfällt?« In seiner Stimme schwang die ganze Verachtung der Saraner für die ethenischen Sklaven mit.
»Es sieht aus, als müsste ich nur dagegenpusten und es stürzt ein«, sagte Jeldrik leise. Er beobachtete Phelan, der die Brüstung umklammert hielt. »Willst du immer noch..?«
»Ja! Wie komme ich dort hinein, ohne das große Tor öffnen zu müssen?«
»Waas?!«, entfuhr es dem Wächter.
»Sei doch still!«, fuhren sie ihn beide gleichzeitig an.
»Also, wie kommt ihr im Notfall schnell hinein?«, zischte Phelan. Der Wächter wies nur stumm auf die Wand seines Turmes. Sie war klappbar, man konnte sie bis auf die Palisade herablassen. Ohne ein weiteres Wort griffen sie nach den Seilen und ließen sie herab.
»Warte!« Jeldrik hielt ihn fest. »Soll ich nicht doch mitkommen oder die anderen..?«
»Nein!« Phelan spähte angespannt zu dem Lagerhaus hinüber, aber dort rührte sich nichts. »Lenke die anderen Wachen ab. Wenn ich beim Morgengrauen nicht herauskomme, dann könnt ihr mich holen.«
»Aber Phelan..«
»Tu es einfach!« Phelan atmete tief durch und musste hart schlucken. Das, was er im Begriff war zu tun, war vollkommen verrückt. Warum tat er das? Die Antwort war einfach: Weil er einem Teil von sich Frieden bringen wollte. Um seiner und um Yenis willen. All die Jahre hatte ihn belastet, was die ethenischen Sklaven ihm vorwarfen, und er wollte es ein für alle Mal aus der Welt haben.
Entschlossen streifte er sein helles Hemd ab, das beinahe wie eine Fackel im Dunkeln leuchtete, ganz anders als die alten ledernen Beinlinge, die vom vielen Tragen beinahe schwarz waren. Nach kurzer Überlegung legte er auch sein Messer ab. Das sollten sie nicht bekommen. Jeldrik sah, dass es keinen Zweck hatte, weiter auf ihn einzureden. Er stieß eine leise Verwünschung aus und verschwand in Richtung der anderen Türme. Phelan wartete, bis die Schatten der dortigen Wachen verschwunden waren, dann kletterte er hinüber. Nach einem kurzen Blick, ob die Luft rein war, sprang er und kam leichtfüßig unten auf.
Phelan wusste, die Zeit drängte. Lautlos rannte er zu dem alten Lagerhaus. Er presste sich an das raue Holz, um möglichst mit dem Schatten zu verschmelzen. Selbst in der Dunkelheit konnte er erahnen, wie löchrig es war. Von innen drang ein kaum wahrnehmbarer Lichtschein durch die Lücken, es war der Schein eines glimmenden Feuers. Da konnten sie ja gleich im Freien schlafen, so zugig, wie dieser Schuppen war, dachte er grimmig. Es war ihre Form der Rebellion, nachdem alles andere gescheitert war, das ahnte er. Langsam schob er sich an der Wand entlang auf der Suche nach einem Tor oder einer Tür. Er fand sie überraschend schnell. Seine Hand fasste in etwas Weiches, ein Fell, das notdürftig eine größere Öffnung verdeckte.
Vorsichtig, um ja keinen Laut zu verursachen, zog er sein Schwert. Mit der freien Hand schob er das Fell ein wenig zur Seite und spähte hinein. Im schwachen Glimmen des Feuers konnte er eine Menge unregelmäßiger Haufen sehen, Decken und Felle. Erst langsam schälten sich Gestalten heraus. Sie lagen dicht an dicht im Stroh, eine ungeheure Masse Menschen. Der Gestank, der ihm schon hier in der Tür entgegenschlug, nahm ihm fast den Atem.
In diesem Moment bekam Phelan Angst vor seinem eigenen Mut. Sie würden ihn zerfleischen wie eine wütende Hundemeute. Sollte er nicht doch lieber.. aber dann würde über kurz oder lang dasselbe geschehen, nur mit dem Unterschied, dass die Saraner sich rächen würden, mit furchtbaren Folgen. Wer weiß, wie viele bereits umgekommen waren. Er wollte nicht für den Tod von noch mehr Menschen verantwortlich sein.
Blitzschnell entschied er über die Möglichkeiten, die ihm blieben. Wenn er sie nur davon überzeugen konnte, dass er der Sohn eines Königs war, dann wäre er für sie unantastbar. Die ethenischen Gesetze galten auch hier. Er musste die Überraschung nutzen, so viel war klar, sonst hätten sie ihn niedergemacht, bevor er ein vernünftiges Wort herausgebracht hatte. Konnte er unbemerkt bis zum Feuer gelangen? Bei der Dunkelheit ja, und wenn er dort war.. eine Erinnerung stieg in ihm hoch. Bajan über einem unheimlichen Gemisch aus Feuer, Rauch und Dampf.. Phelan steckte entschlossen sein Schwert wieder fort.
›Wenn das nur gut geht‹, dachte er und schlüpfte durch das Fell. Innen verharrte er angespannt. Hatte ihn jemand bemerkt? Nein, er hörte nur das unruhige Schlafen von Menschen. Schnarchen, Husten, das eine oder andere Stöhnen.. Mit der Fußspitze prüfte er das Stroh auf dem Boden. Es schien einigermaßen trocken zu sein.
›Gut!‹, dachte er, bückte sich und raffte einen Armvoll davon zusammen. Mit hämmerndem Herzen, die Sinne aufs Äußerste angespannt, bewegte er sich lautlos auf das glimmende Feuer in der Mitte zu. Niemand bemerkte ihn, und wenn doch, dann war er nur ein Schatten unter vielen. Einen winzigen Augenblick verharrte er unschlüssig vor dem Feuer. Einfach draufwerfen? Nein, das würde das Feuer ersticken. Phelan überlegte nicht länger, stattdessen warf er das Stroh hoch in die Luft, bevor er es sich noch anders überlegen und einen Rückzieher machen konnte.
Die Wirkung war selbst für ihn überraschend verheerend. Zischend schoss eine riesige Flamme bis zur Decke hoch. Die Menschen um ihn herum fuhren verwirrt aus ihrem Schlaf. Einige wichen mit einem Aufschrei zurück, die meisten jedoch verharrten fassungslos, als sie den Fremden in ihrer Mitte erblickten.
Ohne dass er es bewusst merkte, schob Phelan mit dem Fuß noch mehr Stroh ins Feuer. Ganz bewusst dagegen zog er sein Schwert. Die Stille wandelte sich in ein bedrohliches Zischen. Phelan wusste, er musste jetzt handeln, denn wenn sich ihr Zorn erst einmal entfesselte, war es zu spät. Daher tat er etwas Überraschendes: Er streckte die Klinge in die Erde dicht beim Feuer, sodass die Flammen gleißende Reflexe in die Menge sandten, kniete sich nieder und neigte das Haupt. »Wer Rache an mir nehmen will, der hat hier und jetzt Gelegenheit dazu«, sagte er laut in ihrer Sprache.
Es wurde totenstill. Phelan streckte die Arme zu beiden Seiten aus, eine auffordernde Geste. Gleichzeitig ließ er die Krallen seiner Katze tanzen und hoffte, dass dies seine Wirkung nicht verfehlte. Er täuschte sich nicht. Die Sklaven zu seiner Rechten wichen erschrocken davor zurück, sie stolperten gegen die hinter ihnen Stehenden. Eine Anzahl Männer schob sich nach vorne durch, einer hatte einen langen Knüppel in der Hand.
Diesen fixierte Phelan sofort und ließ ihn nicht aus den Augen. »Nun mach schon, schlag zu! Schlag zu und vergehe dich an mir, der ich von eurer Yenene erwählt worden bin!«
Ein Aufschrei ging durch die Menge. Überraschung, Wut und Empörung war zur hören. »Mörder!«, schrie der Knüppelträger und holte aus.
»Neeeiiin!«
Noch bevor es Phelan gelang, warf sich eine Frau dazwischen. Sie riss den Angreifer von den Füßen und prallte hart zwischen ihnen auf. Phelan war ebenso verblüfft wie die anderen Männer. Er erkannte sie sofort. Es war die Frau, die ihm damals mit Rana und auch mit Yeni geholfen hatte. Sie rollte herum und sah ihn in einer Mischung aus Furcht und verzweifelter Hoffnung an. »Lasst ihn sprechen! Er ist nicht umsonst allein gekommen. Egal, was ihr ihm zur Last legt, lasst ihn sprechen!«
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