Gierig begann er, Altheas Worte zu verschlingen, und musste schon bald an sich halten, um nicht in lautes Fluchen auszubrechen. Sie suchte allein die Siedlungen auf, um die Diener aufzuspüren? Wie konnten die anderen das nur zulassen! Doch da fand er im nächsten Satz schon sich selbst wieder. Sie wusste genau, dass er so reagieren würde.
› Versteh doch, ich muss es allein tun, sonst lassen sich Rückschlüsse über meinen Aufenthaltsort ziehen. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen. Ich bewege mich auf versteckten Pfaden, und wenn ich doch einmal die Straße benutzen muss, tue ich es als Althan Thoraldsfalir. Die Siedlungen betrete ich zu Fuß als Thea, die Heilerin. Niemand wird mich so erkennen, da kannst du sicher sein .‹
»Aber nach Temora musst du trotzdem, um die Diener zu befreien«, wandte er laut ein und lachte auf, als er gleich darauf ihre Antwort fand. Es war fast so, als säße sie ihm gegenüber und unterhielte sich mit ihm, dachte er. Ihm wurde ganz warm vor Freude.
› Du wirst sicherlich einwenden, dass ich trotzdem nach Temora muss, um die Diener von der bösen Macht zu heilen. Dafür hat sich eine ganz einfache Lösung ergeben. Gayle hatte wieder einmal einen ihrer genialen Einfälle. Erinnerst du dich, wie wir Meister Anwyll wieder wach bekommen haben, nachdem ich die Diener in Temora befreit hatte? Wir gaben ihm den heiligen Kelch in die Hand. Das brachte Gayle auf den Einfall, es auch bei den Dienern zu versuchen. Stell dir vor, es funktioniert! Die geballte Macht der Wächter hat eine ähnliche Wirkung wie mein Licht. Sie haben die Diener von der dunklen Macht befreit, es ging ganz einfach. Ich fürchte nur, die Wächter könnten Schaden davon nehmen. Verbraucht sich irgendwann ihre Kraft? Sie wirken jedes Mal wacher als vorher, so, als wecke man sie aus jahrhundertealtem Schlaf.‹
Atemlos las er weiter und hörte nicht auf, bis er das letzte Wort verschlungen hatte. Dann nahm er Noemis Brief zur Hand, merkwürdig zögerlich diesmal. Dieses Gefühl kannte er schon, er begrüßte es geradezu. Es war wie vor einem tiefen, sehr schmerzhaften und gleichzeitig unheimlich freudigen Stich. Man spürte ihn kommen, wich ihm aber nicht aus, sondern stürzte sich in vollem Bewusstsein hinein. Er belächelte sich selbst, strich behutsam die Seiten auseinander und begann zu lesen.
Mit seiner Konzentration war es jedoch bald vorbei. Bajan kehrte zurück. Phelans Blick irrte immer wieder von Noemis Brief zu ihm herüber. ›Er ist todkrank‹, erkannte Phelan, als er Bajan dabei beobachtete, wie dieser eine klare Flüssigkeit schluckte und erschöpft ein wenig ruhte. Etwas gegen Schmerzen? Phelan wurde übel, er konnte sich auf Noemis Brief nicht mehr richtig konzentrieren.
Ein Geräusch lenkte ihn jedoch ab. Jeldrik schlüpfte herein. Phelan sah gleich an seiner Miene, dass die Stunden bei seinem Vater nicht glimpflich verlaufen waren. »Und?«
Jeldrik winkte knurrend ab. »Der Sedat teilt unsere Einschätzung bezüglich des Salzes wie Bajan auch, nur Vater nicht. Es ist, wie wir schon vermutet haben, er misstraut allem, was aus Temora kommt. Sie haben ihn wochenlang bearbeitet, doch noch Schiffe nach Ethenien zu senden und unsere Salzvorräte aufzustocken. Er hat es abgelehnt, es für Spinnerei erklärt, bei den Göttern!«
Phelan hob die Pergamente an. »Althan schreibt noch mehr. Er warnt uns, nur mit wenigen Leuten anzureisen, er fürchtet, der Feind könnte sich unmittelbar nördlich des Lir-Deltas auf die Lauer legen. Ein Diener war bei den Beratungen der Temorer und der dortigen Anführer anwesend und hat IHM alles weitergetragen. Sie haben ihn noch nicht gefunden.«
Jeldrik stieß einen leisen Fluch aus. »Vater traut ihm nicht, nennt ihn ›Regnars verrückten Bastard‹..«
»Waas!?« Phelan fuhr zornig auf. »Wie kann er nur!«, zischte er, sich gerade noch in Erinnerung rufend, dass Bajan neben ihnen schlief. »Komm, lass uns in den Stall gehen, da stören wir den Fürsten nicht.«
»Was ist denn mit ihm los? Er sieht schlimm aus«, flüsterte Jeldrik leise.
»Gesagt hat er nichts, aber ich glaube.. Jeldrik, er schluckt etwas gegen starke Schmerzen. Er muss so schnell wie möglich nach Temora. Nur dort kann man ihm helfen.« Phelan stellte eine kleine Lampe in sicherer Entfernung zum Stroh auf und wandte sich zu ihm um. »Ich glaube, er ist todkrank.«
Erschrocken stützte sich Jeldrik an der Wand ab. »Deswegen waren alle so komisch, als ich darauf zu sprechen kam. Niemand wollte so recht mit der Sprache herausrücken, Vater hat nicht einmal geduldet, dass ich seine Person als solche erwähne.«
»Warum das?« Phelan verstand es nicht.
»Sylja hat mir hinterher erzählt, dass sie einige harte Auseinandersetzungen miteinander hatten und dass oben in den Wäldern etwas passiert sein muss, das Bajan so.. angeschlagen hat werden lassen. Es passt Vater nicht, dass die Männer mehr und mehr auf Bajans Rat hören. Sie befürchtet, er denkt darüber nach, fortzugehen, wenn das hier vorbei ist.«
Phelan zuckte zusammen. »Fort?« In ihm kam ein ganz und gar ungutes Gefühl hoch. Bajan würde niemals seine Pflichten vernachlässigen. Das klang ja eher, als rechne er damit, nicht mehr zurückzukehren.. rasch schüttelte er den Gedanken ab. »Hat sie gesagt, was dort geschehen ist?«
Jeldrik schüttelte den Kopf. »Nicht direkt, nur, dass es etwas mit der Behandlung der Sklaven zu tun hatte. Vater und viele andere auch haben sie ihre ganze Härte spüren lassen, aus Zorn über ihren Aufstand.«
»Aber der ist doch schon Jahre her!« Phelan verstand es nicht.
»Nicht deswegen, das ist in der Tat lange her und war selbst in den Augen vieler unserer Leute begründet. Nein, als die Sklaven im Herbst hörten, dass du zurückkommen würdest, gab es Unruhen. Sie haben versucht, sich zusammenzurotten und davonzulaufen. Sie glauben nicht, dass du der Sohn eines Königs bist, sie denken, das sei eine List von Vater, sie ruhigzustellen.«
Phelan war bleich geworden. »Alles wegen mir!«, presste er hervor und rang mit sich. Wie lange sollte das noch so gehen? Bis es zu einem großen Unglück kam? »Hat sie gesagt, wo die Sklaven jetzt sind?«
»Ja, sie sind..« Jeldrik stutzte. »Moment mal, du willst doch nicht etwa..?!«
Phelan sprang kurz entschlossen auf. »Besser heute Nacht als nie, bevor die anderen etwas mitbekommen und versuchen, mich daran zu hindern. Sie sollen nicht denken, Roar schicke mich, verstehst du? Also, wo sind sie?«
»Du.. du bist verrückt!«, protestierte Jeldrik. »Du kannst doch nicht allen Ernstes allein dort hinein..«
»Wo hinein? Sag es mir!«, forderte Phelan, während er sich seinen Schwertgurt umband und überlegte, ob er sonst noch irgendwelche Waffen mitnehmen sollte.
Jeldrik sah ein, dass nichts außer Gewalt seinen Freund aufhalten konnte, und den Schritt wollte er nicht gehen. »Ich bringe dich hin. Sie haben ihnen ein eigenes, umzäuntes Areal unweit der großen Halle zugewiesen. Es wird streng bewacht.«
»Komme ich trotzdem hinein? Jeldrik!«, forderte Phelan vehement.
»Ich werde einen Weg finden. Aber soll ich nicht doch..«
»Nein! Komm jetzt!« Phelan zerrte ihn einfach mit sich, bevor ihn sein Mut wieder verließ.
Jeldrik führte seinen Freund mit einem mehr als unguten Gefühl zu der Stelle, wo ein großes Tor den Eingang zu dem Sklavenviertel markierte. Anders mochte Phelan es nicht bezeichnen, bevor er sich mit Jeldrik auf einen der Wachtürme begab, um von dort aus die Lage zu erspähen.
Der Wachhabende grüßte verwundert. »Nanu, Jeldrik Roarsfalir, was lockt dich hierher? Hast du an dem Abend der Heimkehr nichts anderes zu tun? Und wen hast du da..« Er brach ab, als er Phelan erblickte. »Bei den Göttern!«, entfuhr es ihm, und er ließ dabei offen, ob er Phelans Aussehen oder seine Anwesenheit hier meinte.
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