Jeldrik kam die bevorstehende Auseinandersetzung mit seinem Vater wie ein tückisches Spiel vor. Er hatte nicht vor, sich den Plänen des Clansführers zu beugen, sprich, nach seinen Wünschen den Bund einzugehen. Er war Roars Köder für die anderen Clans, und als solcher würde er sich verhalten, mehr nicht. Phelan tat er leid. So oder so würde es für ihn eine Niederlage werden, und Jeldrik wusste das ganz genau. Entsprechend war seine Laune, sobald jemand auf Roars Pläne zu sprechen kam. Die Männer hatten gelernt, dieses Thema zu meiden, wie Phelan auch jeden Gedanken an seine bevorstehende Auseinandersetzung mit den Sklaven Sarans vermied. Sie hielten ihn immer noch für den Schänder und Mörder Yenis, ihrer toten Priesterin, und er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte.
Im frühen Morgengrauen wurde Phelan durch einen unsanften Tritt geweckt. »Aufstehen, es geht los!«
Müde blinzelnd erhob er sich und spähte über die Bordwand. Die Männer packten ihre Habseligkeiten zusammen und trugen sie an Bord. Als die ersten Sonnenstrahlen die Bucht erhellten, versammelten sich sämtliche Bewohner der Insel zum Abschied am Strand.
»Mögen dir die Götter beistehen, Phelan von Morann«, sagte der Älteste der Jäger. Sie übereichten ihm ein ganzes Bündel Abschiedsgeschenke. Phelan war sprachlos. Er fand darin ein überaus kunstvoll gearbeitetes und verziertes Blasrohr, einen Beutel mit Pfeilen, einen Tiegel Jagdgift und eine kleine, aber mit äußerst scharfen Steinen besetzte Streitkeule.
»Dafür, dass du unser Volk in die Freiheit geführt hast«, sagte sein Freund und legte ihm die Hand auf den Arm. Alle anderen taten es ihm gleich. Phelan musste schlucken. Sicherlich, er hatte mit ihnen Freundschaft geschlossen, aber dass er einen solchen Stellenwert unter ihnen besaß und jetzt noch ihren Segen bekam, damit hatte er nicht gerechnet. Mit belegter Stimme dankte er ihnen und verabschiedete sich, nicht ohne vorher die Gaben mit großer Sorgfalt angelegt zu haben, der größte Dank, den es für sie gab.
Dann wandte er sich dem anderen Volk der Insel zu, das geduldig auf ihn wartete. Sie und die Saraner hatten sich nicht viel zu sagen. Ein kurzes Nicken, einige geknurrte Worte seitens der Männer, das war alles, trotz aller Friedensabkommen. Nur die Mädchen standen mit verweinten Gesichtern etwas abseits und hatten ihre Kinder dabei. Phelan mochte lieber nicht genau hinsehen und die möglichen Väter in ihren Zügen erraten. Stattdessen trat er auf den Stammesführer zu. Dessen Worte waren nicht herzlich, aber aufrecht. Nach einer kurzen Verabschiedung kletterte Phelan erleichtert an Bord von Jeldriks Schiff, wo schon alle ungeduldig warteten.
»Auf dass du dein Geburtsrecht zurückerhältst!«, rief der Älteste der Jäger. Alle Männer stießen ein schauriges Kriegsgeheul aus. Die Saraner stimmten auf ihre Weise mit ein. Sie hoben die Ruder und begannen mit kraftvollen Schlägen, ihre Schiffe aus der Bucht zu manövrieren.
Phelan stand neben Jeldrik am Heck und sah ohne Bedauern zurück, die Hand zum Abschied erhoben. »Endlich«, flüsterte er, übertönt von den Männern. Jeldrik übergab das Steuerruder einem anderen und lief mit einem Fadenmesser nach vorne, um sie durch die Engstelle zu leiten. Sein Gesicht war besorgt.
Zu Recht, wie sich herausstellte. Sie lagen wirklich tief im Wasser. Ihr Schiff traf mit einem Knall, der Phelan fast von den Füßen riss, auf die Felsen und rutschte mit einem schauderhaften Knirschen und Rumpeln darüber hinweg. Dann waren sie frei, und eine kurze Untersuchung ihres Laderaumes ergab, dass sie nicht leck geschlagen waren. Die Männer brachen in Jubel aus.
»Setzt die Segel!«, übertönte Jeldrik sie. Er verschloss die Planken wieder und kam zu Phelan herüber. »Das wäre geschafft! Alle anderen liegen nicht so tief im Wasser.« Die Erleichterung, dass er diese erste Feuerprobe bestanden hatte, war ihm deutlich anzuhören. Er dankte dem Mann am Steuerruder mit einem Schlag auf die Schulter und übernahm wieder. Die Segel fingen knallend Wind, ein Ruck ging durch das Schiff, sie nahmen Fahrt auf. Zufrieden holten die Männer die Ruder ein, verstauten sie und konnten nun einen geruhsamen Blick auf die Insel zurückwerfen, die ihnen im letzten Winter, vielen sogar einige Jahre Wohnstätte gewesen war.
Die Menschen am Strand wurden langsam zu kleinen, wuselnden Ameisen. Sie umrundeten die vorgelagerten Felsen, den darüber thronenden Steinkreis, dem Phelan keinen Blick mehr schenkte. Er wollte sich nach vorne begeben und vorausschauen.
»Phelan!« Ein alarmierter Ausruf seines Freundes ließ ihn herumfahren. Jeldrik deutete auf die Klippen, die blauen Augen angriffslustig verzogen.
Phelan brauchte eine Weile, um das Ziel seines Fingers zu finden, dann entdeckte auch er sie. Auf den Klippen unterhalb des Steinkreises stand eine einsame Gestalt. Er erkannte sie sofort. Die Priesterin. Er machte einen überraschten Schritt vorwärts und packte die Reling.
»Bei den Göttern!«, murmelte Jeldrik.
Phelan brachte nur ein leises Ächzen zustande. Tzusa war nicht allein. Sie hielt ein kleines Kind auf dem Arm, das Alter konnten sie auf diese Entfernung nicht schätzen. Das war auch nicht nötig.
»Deines?«, grollte Jeldrik leise.
»Nein!« Phelan entfuhr ein protestierender Laut. »Das kann nicht sein!« Oder doch? Warum sonst sollte sie zu ihm gekommen sein und ihn gezwungen haben? Ihm wurde übel. ›Ich bin nicht Mann und nicht Frau‹, hatte sie ihm einmal gesagt. Wer würde sich schon freiwillig mit ihr zusammentun? Die Gewissheit schlich sich hinterrücks heran. »Wessen sonst?«, flüsterte er hoffnungslos und musste sich mit aller Macht an der Reling festklammern, um nicht nach dem Bogen zu greifen. »Miststück! Verfluchtes Miststück!« Seine Stimme verriet die ganze Zerrissenheit, die so unaufhaltsam wieder in ihm hochkam, als hätte er nie versucht, sie zu verbergen. Am liebsten wäre er ins Wasser gesprungen und dann.. dann wusste er nicht.
Jeldrik packte ihn und zerrte ihn herum. »Sieh nicht mehr hin, das will sie doch!«, zischte er. »Geh nach vorne! Tu, als sei nichts geschehen!«
Und Phelan tat es, mit bleischweren und gleichzeitig butterweichen Knien. Er setzte sich vor die Bugfigur, eine Schlange, die dem Schiff seinen Namen gab. Jeldrik hatte sie eigenhändig so gestaltet, dass der zusammengeringelte Schwanz einen bequemen Sitz für ihn abgab. Dort saß er bis in die Nacht, den Blick auf die unendliche Weite gerichtet. Es half nicht viel. In ihm tobte ein Sturm aus Wut und Scham, der kaum zu ertragen war. Sie hatten ihn benutzt, Yeni, Tzusa, sogar die Enkeltochter des Stammesführers, davon war er in seinem Zorn fest überzeugt. Er fühlte sich beschmutzt, gedemütigt, all das, was er glaubte, längst hinter sich gelassen zu haben. Ihm dämmerte, dass dies genau Tzusas Absicht gewesen war. Das war ihre Rache, eine, auf die er nichts mehr erwidern konnte.
In dieser Nacht ertränkte er seine Gefühle im Met, hatte danach einige Tage übelste Laune, aber dann hatte er sich wieder gefangen, zumindest redete er sich das ein. Er verschloss diese Schmach tief in sich und wurde nach außen hin wieder der alte, fröhliche Phelan. Nur Jeldrik ertappte ihn manchmal dabei, wie er mit leerem Blick nach Südwesten, zurück zur Insel, sah.
Sie kamen gut voran, das Wetter blieb ihnen hold. Nicht ein Sturm, nur stetiger Westwind geleitete sie zurück in Jeldriks Heimat. In den Wochen der Reise fand Phelan langsam seine Fassung wieder. Was kümmerte ihn Tzusa, sagte er sich, er würde sie nie wiedersehen. Dass er möglicherweise ein Kind dort zurückließ, das niemals erfahren würde, wer sein Vater war, daran mochte er nicht denken.
Je näher sie den saranischen Landen kamen, desto rauer und kälter wurde es auf See. Phelan hatte sich bisher nie richtig bewusst gemacht, wie viel südlicher die Insel im Vergleich zu Saran liegen musste, dass man dort keinen richtigen Winter kannte. Neugierig geworden begann er, Jeldriks Aufzeichnungen zu studieren, und fand damit eine Beschäftigung, die seinen Geist ablenkte, etwas, das die körperliche Arbeit an Bord nicht vermochte. Auf diese Weise vergingen die Tage und Wochen ihrer Reise wie im Fluge. Jeldrik lenkte ihre kleine Schiffskarawane gekonnt durch sämtliche gefährlichen Riffe und kritischen Passagen und bewies damit, dass er keine von Ohins Lektionen vergessen hatte. Die Männer hätten es auch nicht anders erwartet. Sie lobten nicht – das wurde als Schwäche angesehen – sie befolgten Jeldriks Anweisungen, ohne ihm zu widersprechen. Das war Lob genug.
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