Ludwig Witzani - Der Garten der Welt

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Zwischen den Reisfeldern im Süden Burmas und den Deichen des Roten Flusses in Nordvietnams, zwischen Luang Prabang im laotischen Bergland und dem Delta des Mekong durchreiste Ludwig Witzani den «Garten der Welt», der all das zu bieten hat, von dem Reisende träumen: Zeugnissen großer Geschichte wie in Angkor oder Pagan, Naturszenerien wie in Ha Long oder Traumstrände wie in Nhatrang oder Krabi, dazu Menschen, die unter der Geschichte der letzten fünfzig Jahre schrecklich haben leiden müssen, die sich aber nun anschicken, eine bessere Zukunft zu gestalten. Mit Fahrrädern und Bussen, mit Booten und Eisenbahnen ist Ludwig Witzani kreuz und quer durch Thailand und Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam gereist und fand Monumentalität und Vergänglichkeit, Orte des Grauens aber auch Plätze, die unwillkürlich den Eindruck nahelegten, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Ein sehr persönlich gehaltener Reisebericht mit einer Schwäche für Ruinen und Geschichte.

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Der Bus brachte mich am nächsten Tag in einer fünfstündigen Fahrt von Phitsanulok aus zuerst nach Nakhim Sawan, dann über Ang Thong bis nach Ayutthaya, das sich nur noch eine gute Busstunde von Bangkok entfernt befindet. Um Treibstoff zu sparen, stellte der Busfahrer die Klimaanlage des Busses aus und behauptete, als die Fahrgäste protestierten, sie sei defekt. Jedermann riss die Fenster auf, doch nur um heiße Luft in den Bus zu lassen, der mit der Gewalt eines heißen Föhnstrahls durch die Reihen fegte. Als ich den Bus in Ayutthaya verließ, umgab mich die Hitze wie eine zweite, glitschige Haut. Augenblicklich brach mit der Schweiß aus, und ich flüchtete ins nächstbeste Hotel, dessen Außenwerbung eine Klimaanlage verhieß. „Kälte ist Zivilisation“ heißt es in „Mosquito Coast“. und manchmal ist sie genau das, was der Reisende in den Tropen mehr als alles andere braucht. Als ich aus dem Fenster blickte, sah ich, wie sich die Prostituierten für die Nachtschicht in Position brachten. Da blieb ich doch lieber im kühlen Zimmer und beschäftigte mich mit Ayutthaya.

Ayutthaya, heute eine nicht sonderlich bedeutsame Provinzstadt siebzig Kilometer nördlich von Bangkok war über vierhundert Jahre hinweg die glanzvolle Hauptstadt Thailands gewesen. Schon einhundert Jahre nach der Gründung Sukothais hatten die Fürsten von Aytuhia Macht, Einfluss, Ressourcen und Bevölkerung der alten Hauptstadt überflügelt. Ohne große Auseinandersetzungen wurde Sukothai in der Mitte des 14. Jahrhunderts wie als eine Art ältere Schwester in den Reichsverband von Ayutthaya einfach einverleibt. Da das einstmals so ruhmreiche Khmer-Reich seine besten Tage hinter sich hatte und es im benachbarten Burma drunter und drüber ging, konnten die Könige von Ayutthaya die Grenzen ihres Reiches bis nach Laos, Kambodscha und auf die malayische Halbinsel ausweiten. Aus der kleinen Garnisonsstadt in einer Flusschleife des Chao Praya entwickelte sich eine der größten Städte Asiens, umgürtet von einer gewaltigen Stadtmauer und mit zahllosen Tempeln und Palästen geschmückt. Von den Holländern, Engländern und Portugiesen, die ab dem 16. Jahrhundert an den Küsten erschienen, importierte man die Feuerwaffen, die man zur Abwehr der Burmesen brauchte und versuchte zugleich mehr schlecht als recht, sich den Zudringlichkeiten der europäischen Mächte zu entziehen. Europäische Kapitäne, Seeräuber, Händler oder Schmuggler suchten ihr Glück an den Grenzen Indochinas und waren in der Wahl ihrer Mittel alles andere als zimperlich. Einer von ihnen, den das Geschick in ganz besonderer Weise weit emporhob, um ihn dann umso tragischer abstürzen zu lassen, war der Grieche Konstantin Phaulkon, den ein abenteuerliches Seefahrerleben im Dienst englischen Ostindienkompagnie im Jahre 1675 nach Ayutthaya verschlug. Aufgrund seiner außergewöhnlichen Sprachbegabung stieg er schnell zum Dolmetscher am Hof König Narais auf, der an ihm einen Narren gefressen hatte und ihn schon nach kurzer Zeit zum Minister ernannte. In seiner Eigenschaft als privilegierter Ratgeber des Königs bereicherte sich Phaulkon so schamlos, dass es selbst den Mitgliedern des wenig zimperlichen Königshofes auffiel. Um sein Gastland gegen die Expansion der Engländer zu schützen, entsandte Phaulkon im Jahre 1684 eine siamesische Gesandtschaft zum Hof des Sonnenkönigs in Versailles und erlaubte den Franzosen den Bau einer Befestigung im Stadtgebiet des heutigen Bangkok. Die sich andeutende katholische Mission und die Absinken Thailands auf den Rang einer französischen Kolonie wurde allerdings durch eine höfische Opposition unter der Führung des Adligen Petraja verhindert. Er ermordete den erkrankten König Narai und ließ Phaulkon gefangennehmen und hinrichten. Als neuer thailändischer König begründete Petraja nicht nur eine neue Dynastie sondern verfügte, dass alle ausländischen Mächte Thailand verlassen mussten, was bis 1690 auch geschah.

Ich las weiter bis spät in die Nacht, ehe ich einschlief. Mitten in der Nacht wachte ich auf. Die Klimaanlage war ausgefallen, es war stickig heiß im Zimmer, und ich war von Mücken gestochen worden. Ich versuchte den Ventilator anzustellen, doch er funktionierte nicht. Nachtlampe? Fehlanzeige. Draußen war es ruhig, dann hörte ich laute Stimmen im Hinterhof. Mit schepperndem Rappeln sprang der Generator an, kurz darauf setzte sich der Ventilator in Bewegung. Das Licht ging an, und ich schlug zwei Mücken tot. Eine Tropennacht, wie ich sie oft erlebt hatte.

Am nächsten Morgen lernte ich beim Frühstück die Japanerin Naiko kennen, eine junge Frau irgendwo zwischen zwanzig und dreißig, die völlig in schwarz gekleidet war und bei jedem Wort, das sie sagte, die Augen weit aufriss. Soweit ich ihr Englisch verstehen konnte, war sie Studentin, kam aus Osaka und befand sich auf ihrer ersten Asienreise, die sie bisher durch Vietnam, Laos und Kambodscha nach Thailand geführt hatte. Immerfort ratterte sie alle Sehenswürdigkeiten herunter, die sie schon gesehen hatte und schlug mir anschließend vor, mir ihr gemeinsam ein Tuk-Tuk zu mieten, das uns einige Stunden lang durch das weitausgedehnte Ruinengelände von Ayutthaya fahren würden. Das war eine gute Idee, denn die Tuk Tuk Fahrer, die vor dem Hotel bereits auf Kundschaft warteten, forderten gesalzene Preise. Der junge Tuk-Tuk-Fahrer, den wir für unsere Ayutthaya-Tour auswählten, hatte von der Königsstadt zwar keine Ahnung, folgte aber gehorsam den Anweisungen, die ihm Naiko auf der Grundlage ihrer Ayutthaya- Karte gab und war ansonsten ein unauffälliger Geselle, der während unserer Besichtigungen geduldig wartete oder sich einfach in den Schatten zu einem Nickerchen verzog.

Die dreieinhalb Stunden, die ich mit Naiko und unserem somnabulen Tuk-Tuk-Fahrer auf dem Ruinenfeld von Ayutthaya verbrachte, gehörten zu den anschaulichsten Erlebnissen meiner Thailand-Reise. So weit verstreut die Ruinen auch im Gelände lagen, so waren doch fast alle prachtvoll herausgeputzt und manchmal wie eine Installation mitten in das Gesträuch drapiert. Hier und da waren moderne Steinbuddhas mit leuchtendgelben Gewändern einfach dazugestellt worden, damit sich der Anblick eines verfallenen Tempels oder Palastes auch effektvoll abrunde. Auch wenn ich wusste, dass Vieles, was ich sah, nicht original sondern unbekümmert nachgebauter Fake war, ergriff mich bald ein Gefühl, dass ein guter Freund aus Knabentagen das „Indianer Jones Feeling“ genannt hatte, die Empfindung, sich in einer Umgebung aufzuhalten, in der Kultur und Natur, Fantasie und Realität auf das Anregendste ineinander über gehen, so dass man sich fühlt, als durchstreife man ein Märchenland im Modus eines glückhaften Traumes. Historiker mögen darüber die Nase rümpfen, Reisende wissen, was ich meine

Der größte und schönste Palast Ayutthayas, der Wat Si Saphet, war eine ursprünglich umzäunte Anlage, in deren Mitte sich drei beeindruckende Thai-Chedis erhoben. Zu Füßen der drei Pagoden befanden sich Skulpturengruppen, die den Erleuchteten im Kreis seiner Schüler zeigten. An einer andern Stelle saß ein Dutzend Buddhas wie die geklonten Mitglieder einer Nirwana-Armee in Reih und Glied ordentlich nebeneinander und blickten den Besuchern erwartungsvoll entgegen. Hier wie schon in Sukothai waren die Statuen mit gelben Mönchsgewändern bekleidet, die mir so sauber vorkamen, dass ich sicher war, sie würden jeden Tag gewaschen. Irgendwo im Wat Si Saphet sollte sich ein Fußabdruck Buddhas befinden, den Naiko unbedingt sehen wollte, so dass wir uns auf die Suche machten, ohne ihn zu finden. Dafür entdeckte ich jede Menge kleiner Warane, die sich im Tempelgras versteckten, einmal hörte ich sogar ein Zischen und machte, dass ich weiterkam.

Als nächstes lotste uns Naiko zum Riesenbuddha des Vihara Phra Monkoi Bopit. Bald standen wir vor einer rekonstruierten 14 Meter hohen sitzenden Buddha Statue, die in ihren Ursprüngen auf das frühe 16. Jahrhundert zurückging. Der Buddha, den wir sahen, hatte mit dieser ursprünglichen Skulptur aber wohl nur noch die Sitzhaltung und die Ausmaße gemein. Moderne Restauratoren hatten sie vergoldet und mit einem modernen Gebäude umgeben, das die Statue vor den Unbillen der Witterung schützen sollte.

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