Ludwig Witzani - Der Garten der Welt

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Zwischen den Reisfeldern im Süden Burmas und den Deichen des Roten Flusses in Nordvietnams, zwischen Luang Prabang im laotischen Bergland und dem Delta des Mekong durchreiste Ludwig Witzani den «Garten der Welt», der all das zu bieten hat, von dem Reisende träumen: Zeugnissen großer Geschichte wie in Angkor oder Pagan, Naturszenerien wie in Ha Long oder Traumstrände wie in Nhatrang oder Krabi, dazu Menschen, die unter der Geschichte der letzten fünfzig Jahre schrecklich haben leiden müssen, die sich aber nun anschicken, eine bessere Zukunft zu gestalten. Mit Fahrrädern und Bussen, mit Booten und Eisenbahnen ist Ludwig Witzani kreuz und quer durch Thailand und Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam gereist und fand Monumentalität und Vergänglichkeit, Orte des Grauens aber auch Plätze, die unwillkürlich den Eindruck nahelegten, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Ein sehr persönlich gehaltener Reisebericht mit einer Schwäche für Ruinen und Geschichte.

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Noch beeindruckender als der sitzende Riesenbuddha erschien mir der schlafende Buddha des Wat Loyala Suthram, eine vierzig Meter lange und acht Meter hohe Skulptur, die ohne schützende Ummantelung mitteln im Gelände lag. Ganz schwindelig konnte einem werden, wenn man dem hausgroßen Buddha-Kopf mit seinen geschlossenen Augen gegenüberstand, der auf vier stilisierten Lotosblumen ruhte. Da ich damals nur unzureichende Kenntnisse über die buddhistische Ikonografie des schlafenden Buddhas besaß, ließ ich nur das Erlebnis der puren Größe in eine naiver Ergötzung mir wiederhallen. Erst später erfuhr ich, dass manche Skulpturen, wie etwa der liegende Buddha von Gal Vihare in Sri Lanka, den ent-schlafenen Buddha kurz vor seinem Eingang ins Nirwana zeigen. Andere schlafende Buddhas gemahnen den Gläubigen daran, dass der Traum ein Trugbild ist, eine Vorgaukelung von Realität, der keiner Wirklichkeit entspricht. Ob es sich bei dem schlafenden Buddha des Wat Loyala Suthram um einen ent-schlafenden oder um einen träumenden Buddha handelte, hätte ich damals an der Fußstellung erkennen können. Liegen die Füße parallel, träumt der Buddha, ist der obere Fuß leicht über dem unteren Fuß gewölbt, ist er bereits im Nirwana angekommen.

Was war das Ende der Geschichte von Ayutthaya? So lang und glanzvoll sich die Epoche Ayutthayas im Rückblick auch darstellte, am Ende versank die Stadt in Feuer und Zerstörung. Nach jahrhundertelangen Kriegen, in denen sich die Thai immer nur mit Mühe gegen die Burmesen hatten wehren können, gelang den kriegerischen Nachbarn in Jahre 1769 ein überraschender Durchbruch. Ayutthaya wurde eingenommen und so gründlich zerstört, dass kein Stein auf dem anderen blieb. Diese Vernichtung ihrer glanzvollen Hauptstadt ist für die Thais bis auf den heutigen Tag ein nationales Trauma geblieben, an das sie mit einer Mischung aus Trauer und Zorn gedenken.

Obwohl die Thais die Burmesen kurz darauf aus dem Land drängten, bauten sie Ayutthaya nicht wieder auf sondern verlegten ihre neue Hauptstadt nach Thonburri/Bangkok direkt ans Meer. Eine neue Dynastie kam an die Macht, deren Könige seit 1782 ununterbrochen das Land regieren. Ein neues Kapitel der Geschichte wurde aufgeschlagen, in dem Bangkok zur alles überragenden Metropole des Landes wurde, so groß und expansiv, dass man im Schatten ihrer Wolkenkratzer fast vergessen könnte, dass Thailand auch eine Geschichte hat.

Königspalast von Ayutthaya Strandpassage in Pattaya Melancholie - фото 14

Königspalast von Ayutthaya

Strandpassage in Pattaya Melancholie am Golf von Siam Eindrücke aus - фото 15

Strandpassage in Pattaya

Melancholie am Golf von Siam

Eindrücke aus Pattaya,

der Hauptstadt des asiatischen Sextourismus

Wenn die cholerischen Charaktere zum Oktoberfest nach München fahren, die Sanguiniker Trekking Touren durch den Himalaya unternehmen und die Phlegmatiker gleich ganz zu Hause bleiben, reisen die Melancholiker nach Pattaya. Das war mein erster Eindruck von der Hauptstadt des Sextourismus in Südostasien. Wo der Besucher, von verheißungsvollen Bildern in den Prospekten berauscht, bei seiner ersten Reise ein tropisches Kythera mit willigen Sirenen erwartet, trifft er auf ein tristes und verbautes Betonkonglomerat am Golf von Siam. Wie in den Gründerjahren des spanischen Massentourismus verlief zwischen dem schmalen Strand des Ortes und den verschachtelten Hotelgassen mit ihrem Stromleitungsgewirr eine unsägliche Strandstraße - stark frequentiert durch Jeeps, Busse, Motorräder und gesteuert von jenem lärmtoleranten thailändischen Menschenschlag, der zur Bewältigung komplizierter Wegverhältnisse allemal lieber die Hupe als das Lenkrad benutzt.

Aus dem winzigen Fischerdorf im Süden Bangkoks, das Anfang der Siebziger Jahre gerade einmal zwei Hotels mit einigen Dutzend Betten aufwies, ist eine Stadt mit gut fast einhunderttausend gemeldeten und zahllosen ungemeldeten Einwohnern geworden. Eine Metropole der Begierden ist entstanden, erstaunlich unansehnlich und noch immer wild wuchernd, auf der allabendlich immer das gleiche Stück in tausendfachen Variationen gespielt, genossen und erlitten wird.

Die Einzelreisenden, die bei diesen nächtlichen Aufführungen als Protagonisten und Komparsen zugleich agieren müssen, blieben beim Frühstück lieber unter sich. In kleinen Gruppen oder alleine verspeisten sie verdrossen das Frühstücksei am Nachmittag, die Gesichter waren verknittert, die Haare ungekämmt. Noch von der Nacht schwer angeschlagen saßen zwei Freier aus Norddeutschland am Fenstertisch. Restalkoholisiert und unrasiert, mit Käppis über ihren schütteren Frisuren, blicken sie missmutig aneinander vorbei . Wolfgang, ein Versicherungsmakler aus Dortmund, und Ralf, Gymnasiallehrer aus Köln, waren dagegen gepflegte Enddreißiger und dem Augenschein nach keineswegs das, was man sich landläufig unter einem Sextouristen vorstellen mochte. Sie waren weitgereist; hatten keinerlei Schwierigkeiten mit Wortfindung und Artikulation und behandelten die Bedienung mit ausgesuchter Höflichkeit. So tadellos ihre Umgangsformen, so hoch ihre Ansprüche, und gerade deswegen waren sie als Dauergäste nicht mehr zufrieden mit dem Ambiente des Ortes. Die finanziellen Abstimmungen mit den Damen, die sich früher fast spielerisch als eine Form der Freizeitgestaltung vollzogen hatten, entarteten heute immer mehr zu einer Feilscherei, in deren Verlauf sich auch die letzten Illusionen exotischer Erotik verflüchtigen, so Ralf. Das Preis- Leistungsverhältnis, so Wolfgang, stimme nicht mehr, und er werde in Zukunft öfter mal nach Manila fahren. Ralf pflichtete ihm bei: es kämen immer weniger Touristen nach Pattaya und trotzdem stiegen die Preise, das sei doch antizyklisch. Sogar der Kaffee sei fast schon so teuer wie daheim.

Auch Prostituierte aller Altersklassen saßen an diesem Morgen beim Frühstück zusammen - müde, zerschlagen, ungeschminkt und alles andere als Akquise im Sinn. Aus ihrer Perspektive war das Geschäft in den letzten Jahren immer härter geworden, denn die Konkurrenz aus Chiang Mai und Bangkok strebt nach Pattaya, und immer mehr Kunden wollen für special services keine Aufschläge mehr berappen. Verbitterung und Härte lagen auf den Zügen der älteren Frauen, deren durchschnittliches Einkommen in der Zukunft nur noch sinken würde. Mit bitterem Ressentiment blickten sie auf die sechzehn- und siebzehnjährigen Konkurrentinnen an den Nebentischen, denen die Jugendlichkeit ihrer Körper so lange ein erkleckliches Einkommen garantieren wird, bis die ersten Falten den Abschied von der Jugend einläuten. Für die Mehrzahl der jungen Frauen, durchweg gutaussehende Mädchen mit perlweißen Zähnen, langen schwarzen Haaren und beachtlichen Englisch-Kenntnissen, stellten sich die Verhältnisse ganz anders dar. Insgeheim erhofften die meisten eine asiatische Variante „Pretty Woman“ oder „Dornröschen und der Märchenprinz“, die es hier öfter zu geben schien, als man dachte. Ampone stand in Briefkontakt mit einem Deutschen, einem Amerikaner und einem Engländer, dankbaren Kunden der letzten Jahre, die nichts voneinander wussten, aber regelmäßig Geld überweisen und bereit waren, die neunzehnjährige Kindfrau in ihre Heimatländer zu holen. Doch Ampone zögerte. Die Erfahrungen einer Freundin, die einem Pattaya-Gast nach Frankreich gefolgt war, gemahnten zur Vorsicht. Es gab nur Tränen, Streit und Einsamkeit, und nach einem halben Jahr hatte sich ihre Spur in der Halbwelt von Lyon verloren. Deswegen verfolgten viele Mädchen bescheidenere Ziele. Sie hofften nach einigen ertragreichen Jahren der Prostitution mit etwas Geld in einem anderen Teil des Landes ein “normales” Leben beginnen zu können, was immer das heißen mochte. Leider gelingt das nur den wenigsten. Sei es die Gewalt der Zuhälter, seien es Drogen, Krankheiten oder Kriminalität - die meisten Frauen verbleiben im Milieu und werden ihrerseits zum Publikum für die nachwachsende junge Konkurrenz. Jedermann kannte diesen Gang der Dinge, aber niemand wollte diese Aussichten auf sich selbst anwenden. Warum auch? Das Geschäft lief, und noch war der überwiegende Teil der ausländischen Kundschaft einfach zu durchschauen, leicht zu erfreuen, zu lenken und abzukassieren. Dort, wo die eine oder andere junge Frau mit einem Freier das späte Frühstück verspeiste, fühlte man sich an Brecht erinnert: Frau Puntilla nippte am Tee und ihr Knecht Matti hatte die Dollars.

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