Ludwig Witzani - Der Garten der Welt

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Zwischen den Reisfeldern im Süden Burmas und den Deichen des Roten Flusses in Nordvietnams, zwischen Luang Prabang im laotischen Bergland und dem Delta des Mekong durchreiste Ludwig Witzani den «Garten der Welt», der all das zu bieten hat, von dem Reisende träumen: Zeugnissen großer Geschichte wie in Angkor oder Pagan, Naturszenerien wie in Ha Long oder Traumstrände wie in Nhatrang oder Krabi, dazu Menschen, die unter der Geschichte der letzten fünfzig Jahre schrecklich haben leiden müssen, die sich aber nun anschicken, eine bessere Zukunft zu gestalten. Mit Fahrrädern und Bussen, mit Booten und Eisenbahnen ist Ludwig Witzani kreuz und quer durch Thailand und Burma, Laos, Kambodscha und Vietnam gereist und fand Monumentalität und Vergänglichkeit, Orte des Grauens aber auch Plätze, die unwillkürlich den Eindruck nahelegten, hier hätte sich ein göttlicher Schöpfer an seinem eigenen Werk berauscht. Ein sehr persönlich gehaltener Reisebericht mit einer Schwäche für Ruinen und Geschichte.

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Ein befremdliches Bild? Das genaue Gegenteil gibt es bereits: eine Straße in Bangkok, in der die dienstwilligen Einheimischen lange Hosen und europäische Hemden tragen und sich die westlichen Touristen in völliger modischer Freiheit aus dem Arsenal des asiatischen Kleiderschrankes bedienen und in Saris, Longhies oder Reispflückerhosen über die Straßen laufen: die Rede ist vor der Khao San Road im Stadtbezirk Banglamphoo, der größten Anlaufstelle des Individualtourismus weltweit.

Auf den ersten Blick ähnelt die Khao San Road einer beliebigen asiatischen Großstadtstraße, nur dass das Gewirr der Stromkabel über den Straßen, die Verschachtelung der Fassaden und das Wirrwar der Reklameschilder womöglich noch eine Spur trostloser ist. Erst der zweite Blick lenkt die Aufmerksamkeit auf die fast lückenlose Reihe von Guesthäusern, Garküchenrestaurants, Internetcafés, Textil- und Ledergeschäften, Kurzwarenläden, Seidenschneidereien, Reisebüros Wäschereien, Fotoshops und Stempelfälschern – kurz: auf einen leistungsfähigen touristischen Mikrokosmos, in der nahezu jeder, der eine Asienreise auf eigene Faust unternimmt, irgendwann einmal integriert wird.

Die Geschichte der Khao San Road reicht zurück bis in die Anfänge des internationalen Backpackertourismus. Als sich in den Neunzehnhundertsechziger und -siebziger Jahren die damals noch spärlichen Anlaufstellen für Individualreisende schnell zu üblen Treffpunkten von Drogenhändlern und Prostitution entwickelten, begann unter dem Druck polizeilicher Razzien der Umzug der seriösen Anbieter in die Khao San Road in der unmittelbaren Nachbarschaft des Democracy Monuments in der Radjamnoen Klang. Hier entstand in den nächsten zehn Jahren eine in ihrer Art damals einzigartige Enklave der westlichen Welt, ein effizientes Dienstleistungszentrum, dessen preiswerte Zuverlässigkeit sich im Zuge des anhebenden Backpacker- und Fernreisetourismus schnell herumsprach.

Zuerst erscheinen die notorischen Asien-Fans, die von diesem Kontinent nie genug gesehen haben werden und die in Thailand inzwischen nur noch wie bei einer lieben, aber etwas langweiligen Tante auf dem Weg von Flores nach Goa Station einlegen. Zur Befriedigung der oft recht komplizierten Reisepläne dieser vagabundierenden Klientel entstanden die ersten leistungsfähigen Reisebüros, die sich auf die schnellstmögliche Beschaffung von Visas und Graumarkttickets konzentrierten. Wo zunächst gerade nur wenige Guesthäuser ihre Dienste anboten, ließ die Konkurrenz nicht lange auf sich warten, so dass der Reisende heute auf der Khao San Road und in den etwas ruhigeren Nachbarstraßen unter einer kaum noch überschaubaren Zahl von Anlaufstellen wählen kann. Die Kommunikationskanäle zwischen den unscheinbaren Reisebüros und den Airlines auf der einen und den Botschaften der Nachbarländer auf der anderen Seite funktionieren inzwischen so gut, dass es schon lange keinen schnelleren, bequemeren und preisgünstigeren Startplatz für die Durchreisung Asiens mehr gibt als in Bangkok.

Dementsprechend bilden die Gäste der Khao San Road einen multikulturellen und altersunspezifischen Querschnitt durch die Population westlicher Gesellschaften. Abiturienten auf ihrer interkontinentalen Jungfernreise ebenso wie gewiefte Asienenthusiasten, junge Familien mit Kindern, graue Panther mit einem Rucksack voller Erwartungen und noch unausgelebter Träume, Einzelreisende beiderlei Geschlechts, Hetero- und Homosexuelle, Gutbetuchte und die sogenannten Low Budget Traveller, die jeden Baht dreimal umdrehen müssen, ehe sie ihn ausgeben können, geben sich auf den fünfhundert Meters dieser Straße ein immerwährendes Stelldichein. Zwar sind mit dem Ruhm der Straße auch die Preise gestiegen, aber noch immer gilt in der Khao San Road die Schmerzgrenze von einhundert Baht (umgerechnet knapp drei Euro). Dafür erhält man alternativ ein Bett im Schlafsaal, ein Essen eine strapazierfähige Baumwollhose, drei Paar Socken oder Unterhosen, einen Telefonanruf in die Heimat, einige raubkopierte Musikkassetten oder die Komplettreinigung eines mittelgroßen Rucksackinhaltes. Bettler und Prostituierte allerdings haben schlechte Karten in diesem Ambiente. Nicht, dass ihre Bemühungen gänzlich unnütz wären, aber einerseits erfordern die ambitionierten Reisepläne einen strikten Sparkurs und zum anderen gilt: Was man untereinander regeln kann, dafür braucht man auch nicht zu bezahlen.

Auf die Farben und Lichter Asiens, die in der Nudelwerbung so vorteilhaft zur Geltung kommen, kann man in der Khao San Road leicht verzichten, weil hier die internationale Backpackerszene selbst für ausreichende Kolorierung sorgt. Die vor einigen Jahren in den Feuilletons diskutierte These von einer Rückkehr des Mittelalters und seiner extravertierten Selbstdarstellung fände in den Freiluftrestaurants der Khao San Road eine anschauliche Bebilderung. Da diskutiert ein Brite mit einem prägnanten Germanenzöpfchen auf der Glatze mit einem behaarten Deutschen, dem der Flachmann aus der Tasche lugt. Eine bildschöne afroamerikanische Studentin flirtet mit einem rothaarigen Australier, knalleng sind ihre Radler Hosen, während ihr präsumtiver Partner sein Gebein in einer grellgelben Ali-Baba-Hose verbirgt. In dieser farbenfrohen Umgebung mit all den Saris, Seidenblusen, Kurdenhosen, Lederhüten und philippinischen Käppis wird sogar das milde Grau des Studienassessors neben dem pechschwarzen Pagenschnitt einer japanischen Studentin zum farblichen Kontrast, und wer es nicht geglaubt hätte, wie weit und wie früh die Kinder der entwickelten westlichen Gesellschaften bereits in der Welt herumgekommen sind, den belehrt ein einziger Blick durch das Restaurant von Wallys Guesthouse eines anderen: wie Positionsmarken einer imaginären Weltkarte lassen sich die typischen Weltreiserouten von den T-Shirts der Gäste ablesen. Hawaii und Ko Samui essen eine Nudelsuppe, Boracay nippt an einem Bier, während Goa und Hongkong (männlich) mit Columbia University (weiblich) flirten.

In den vormodernen Zeiten, als die juvenile Bildungsreise nicht weiter als bis nach Rom oder Neapel führte, hatte sich schon der junge Herder in seinem Reisejournal von 1769 über die eigentümliche „Verjüngung“ gewundert, die immer dann eintritt, „wo die Seele mit einer großen Anzahl starker und eigentümlicher Sensationen hat beschwängert werden können“. Auch wenn sich die klassische Bildungsreise inzwischen zur Grand Tour für jedermann gewandelt hat, bleibt das Ziel das gleiche: die Suche nach dem stimulierenden Elixier der Jugendlichkeit im starken Eindruck – nur dass an die Stelle des Forum Romanums die Riesentempel von Angkor Wat oder die Ruinen von Pagan getreten sind.

Man würde allerdings das Wesen des massenhaften Individualtourismus verkennen, sähe man darin den ernsthaften Versuch, sich die Grundzüge fremder Kulturen wirklich anzueignen. Abgesehen von einigen Ausnahmen durchreisen die Jünger von Tony Wheeler und Paul Theroux Rajastan, Bali oder Myanmar als stiegen sie in große Bilderbücher, in denen sie die asiatischen Riesenstädte, die prachtvollen Tempel, Palmen und Strände mit einer lustvollen Mischung aus Fremde und Geborgenheit erleben können – wobei sich der Genuss dieser Unmittelbarkeit nicht zuletzt aus der Gewissheit speist, dieses Fotoalbum jederzeit und sicher wieder verlassen zu können. Vom kolonialistischen Erbe der westlichen Welt will man nichts mehr wissen und reist doch in der komfortablen Membrane günstiger Wechselkursrelationen unbekümmert und preisbewusst durch den großen asiatischen Garten. Diese Art des Reisens, die die Vielfalt der Welt als Resonanzboden der eigenen Subjektivität benutzt, hat etwas von der Weltexplorierung neugieriger Kleinkinder, die die Mutter gleichwohl nie aus den Augen verlieren. Und so erstaunt es nicht, dass entlang der klassischen Fernreiserouten in Goa, Hikkaduwa, Kathamdu, Yogjakarta, Candi Dasa und neuerdings auch in Saigon und Phnom Penh jene Enklaven der Heimatlichkeit entstanden sind, deren größte und älteste die Khao San Road in Bangkok ist.

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