Aber das ist bei weitem nicht der einzige Wandel, der sich im Garten der Welt ergeben hat. In nur einer Generation hat sich die Gesamtbevölkerung der fünf Länder, die in diesem Buch unter dem Begriff „Indochina“ zusammengefasst werden, von gut 125 Millionen Menschen auf fast eine Viertel Milliarde Menschen erhöht. Kann man unter diesen Umständen überhaupt noch von einem „Garten“ sprechen? Ich habe diesen Wandel in den fünfundzwanzig Jahren, in denen ich Indochina bereise, in einer ganz eigentümlichen Weise erlebt. In den Neunziger Jahren begann ich meine Reise als noch relativ junger Mann auf der Suche nach alten Kulturen. Inzwischen durchreise ich als reifer Mensch die Territorien junger Völker, deren Bevölkerungsmehrheit unter 20 Jahre zählt.
Ich habe die Länder, die in diesem Buch beschrieben werden, jeweils mehrfach und ausgiebig bereist – und zwar immer selbstorganisiert. Weit davon entfernt, organisierte Reisen kulturell interessierter Menschen gering zu achten, glaube ich doch, dass man ein Land, das man kennenlernen möchte, möglichst nahe an sich heranlassen muss. Man sollte es fühlen, auch wenn es gelegentlich schmerzt, man sollte es riechen, auch wenn es stinkt, seine Gewürze auf den Märkten, den Muff seiner Zimmer, die Abwässer in den Unterstädten und den besonderen Duft der Garküchen. Die Vorstellungswelt, die auf diese Weise entsteht mag richtig oder falsch sein, auf jeden Fall ist sie voller Leben und Abenteuer, und das ist es doch, was wir vom Reisen erwarten.
Das vorliegende Reisebuch erhebt deswegen keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit. Es ist, wie alle Reisebücher durch und durch subjektiv, redlicherweise aber auch der Idee verpflichtet, dass Subjektivität nicht einfach nur Beliebigkeit bedeutet, sondern auch die Offenlegung einer bestimmten Perspektive, die im besten Falle ihre eigenen Scheuklappen mit reflektiert. Ob mir das immer gelungen ist, kann ich nicht beurteilen. Ich habe es aber immerhin versucht. In diesem Sinn wünsche ich eine gute Reise durch den „Garten der Welt.“
Uferlandschaft am südchinesischen Meer
Königstempel von Ayutthaya / Thailand
THAILAND
Einleitung
„Was zuerst in den Topf kommt, danach schmeckt er“, sagten die Römer. Genauso verhält es sich mit Thailand. Die meisten Indochina-Reisenden beginnen ihre Erkundung dieses Weltteils in Thailand, einfach weil die Verkehrsanbindungen die günstigsten sind und Unterkunft und Transport am wenigsten Schwierigkeiten bereiten. Auch die erste Traveller-Szene, ja, die erste interkontinental agierende Zentrale des weltweiten Backpackertourismus entstand in Thailand, genauer gesagt, in der Khao San Road von Bangkok, die im Kapitel „Wie daheim, nur schön weit weg“ vorgestellt wird.
Auch ich habe mein außereuropäisches Reiseleben in der Khao San Road begonnen, und ich entsinne mich noch ganz genau an das Erstaunen darüber, wie einfach und unkompliziert sich der Eintritt in die wunderbare Welt der Tropen von der Khao San Road aus darstellte. Von hier aus ließ sich problemlos ganz Thailand erkunden, und als die Nachbarländer Schritt für Schritt ihre Grenzen öffneten, starteten von der Khao San Road aus die Backpacker als Trendsetter mit der Erkundung von Burma, Lao, Kambodscha und Vietnam. Der „ordentliche“ Tourismus kam später.
Eigentlich gibt es in Thailand drei Anlaufpunkte, auf die sich der größte Teil des seriösen Tourismus konzentriert. Bangkok, die Stadt der Engel, die in den letzten Jahren auch immer mehr eine Stadt der Sünde geworden ist, die wunderbaren Inseln und Strände des südchinesischen Meeres und der Norden um Chiang Mai und Chiang Rai, wohin es die Thailand-Novizen zieht, die in Indochina nicht nur beachen sondern auch ein wenig trekken wollen. Davon handelt der Bericht „Lächeln nur gegen Bares“.
Wer sich die Mühe macht, von Chiang Mai aus nicht direkt, sondern etappenweise nach Bangkok zurückzufahren, kann seine Tour wie eine Zeitreise gestalten. Zuerst nach Sukothai, zur ersten Hauptstadt Thailands, dann nach Ayutthaya, der zweiten Hauptstadt, um schließlich in Bangkok, der aktuellen Metropole, anzukommen. „Für Buddha sind tausend Jahre wie in Tag“ beschreibt eine solche Reise durch die thailändische Geschichte.
In Bangkok aber endet das Begreifen. Gegenüber der ausufernden Zehnmillionen-Metrople am Chao Praya versagen die Verständniskategorien. So oft habe ich mich in Bangkok aufgehalten, ohne wirklich einen dauerhaften Zugang zu dieser Stadt zu finden. „Bangkok, du machst mich fertig“ spiegelt diese Hilflosigkeit ein wenig wieder.
Ein deutscher Bundespräsident hat die Menschen seines Landes einmal in „Helldeutschland“ und „Dunkeldeutschland“ eingeteilt. Wenn man so will, gibt es auch in Thailand einen „dunklen“ Bereich, der aber vielleicht mehr über einen bestimmten Typ von Besucher als über das Land selbst aussagt: Pattaya, eine der weltweit bekanntesten Anlaufadressen des Sextourismus. „Melancholie am Golf von Siam“ beschreibt eine Begegnung mit Pattaya und dem mit dieser Stadt unauflösbar verbundenen Sextourismus.
Seine zauberhafteste Seite aber zeigt Thailand zweifellos in seinem Süden, in der Wunderwelt der Berge von Phangh-Nga, in Phi-Phi-lsland, das sich inzwischen von den Verheerungen des großen Tsunamis erholt hat, in Krabi, Surathani oder auf den Inseln des südchinesischen Meeres. Einen Einblick in diese Welt der Strände von Ko Samui, Ko Tau, Krabi oder wie immer diese Orte auch heißen mögen, werden sie in diesem Buch nicht finden, weil es an diesen Stränden vornehmlich um die Touristen und nicht um Thailand geht. Einen alternativen Einblick in die Tropenregion des Südens bietet stattdessen das Kapitel über „Die Affenschule von Surathani.“
Seenlandschaft in Phang Nga / Südthailand
BANGKOK, du machst mich fertig
Ein Stoßseufzer
,,Den ganzen Tag sieht man Buddhas" schreibt Ces Nooteboom über Bangkok ,,In der Halle des Hotels, im stinkenden Bus oberhalb des Rückspiegels, im Süßwarenladen, in der Vitrine." Ach, wenn es doch so wäre! Die Wahrheit ist: in Bangkok sieht man viel mehr Automobile als Buddhas. Scheppernde, lackierte, rostige, zerbeulte, aufgemotzte, überfüllte, hupende Fortbewegungsmittel auf zwei, drei oder vier Rädern, die sich wie eine bösartige Prozession über die Hauptverkehrsstraßen quälen - das ist der erste Eindruck, den der Besucher auf seiner Fahrt vom Don Muang Airport in die Innenstadt erhält. Wo er das Land des Lächelns erwartete, empfangt ihn der permanente Verkehrskollaps, und statt des ewigen Frühlings erwartet ihn die Schwüle einer Zehn-Millionen-Stadt.
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