»Genau so eine nehme ich!«
»Sehr gute Wahl!«, beteuerte sie. »Kann ich deinem Freund auch etwas Gutes tun?«
Die Besitzerin hatte ein großes Herz für Tiere, was ich bei meinen letzten Aufenthalten schon sehr zu schätzen gewusst hatte. Nicht jedes Gasthaus duldete Katzen, schon gar nicht, wenn sie doppelt so groß wie gewöhnlich waren.
Ich sah zu Mephisto, der sich unbeirrt weiterputzte und uns gar nicht beachtete.
»Vielleicht etwas Käse? Das liebt er. Und ein Schälchen Wasser. Das wäre sehr nett, danke.«
»Natürlich, Liebes«, zwitscherte die füllige Frau und verschwand wieder in der Küche.
Der Teller mit dem heißen Essen hatte die Tischoberfläche kaum berührt, stürzte ich mich auch schon gierig darauf. Ich verbrannte mir zwar die Zunge, aber das war es wert. Es schmeckte köstlich! Mephisto verschlang seinen Käse mindestens genauso schnell.
Als ich bezahlte, fragte ich die Wirtin nach einem Zimmer und ich hatte Glück! Eins war noch frei.
Dankbar folgte ich ihr zur Treppe und während sie mit ihrem beachtlichen Körperumfang vor Mephisto und mir die Stufen emporstieg, fürchtete ich, dass sie in dem schmalen Gang stecken bleiben würde. An manchen Stellen wurde es auch gefährlich eng, doch zu meiner Erleichterung schafften wir es ohne unangenehme Zwischenfälle in den ersten Stock und sie gab mir den Schlüssel zu meinem Zimmer, an dessen Tür eine geschwungene schwarze Acht glänzte. Meine Lieblingszahl.
»Wenn du etwas brauchst, lass es mich wissen, Liebes«, keuchte die Wirtin. Ihr Kopf war rot angelaufen und die Locken klebten an ihrer verschwitzten Stirn.
Schwerfällig beugte sie sich zu Mephisto hinunter, der sie neugierig beobachtete und sagte: »Du bist eine brave Katze und zerkratzt mir nicht meine schönen Möbel, ja?«
»Keine Sorge, Mephisto macht so etwas nicht«, beruhigte ich sie.
»Braves Kätzchen«, tätschelte sie zufrieden Mephistos Kopf, der die Geste widerwillig über sich ergehen ließ. »Wenn du abreist, lege den Schlüssel einfach auf den Türrahmen.«
Ich bezahlte für zwei Nächte im Voraus und nachdem sie uns einen schönen Abend gewünscht hatte, verschwand die Wirtin fröhlich winkend wieder nach unten.
Ich öffnete die Tür, während Mephisto ungeduldig um meine Füße trippelte und sobald der Spalt nur ansatzweise groß genug war, zwängte sich der Kater hindurch. Ich folgte ihm und schloss hinter mir ab.
Als ich das leise Klicken hörte, spürte ich wie die Anstrengung des Tages von mir abfiel und mich augenblicklich bleierne Müdigkeit überkam.
An die Tür gelehnt ließ ich meinen Blick durch das Zimmer schweifen.
Ich entdeckte zwei kleine Fenster, durch die ich die Umrisse des Marktplatzbrunnens erkennen konnte und einen kleinen Sessel, der direkt davor stand und von Mephisto bereits in Beschlag genommen wurde. Zu meiner Linken wartete ein einladendes Bett und ein kleiner Ofen.
Schwerfällig stieß ich mich ab und entzündete ein Feuer.
Während ich meine Finger über den Flammen wärmte, bemerkte ich eine unscheinbare Tür am anderen Ende des Raums. Ich schlenderte hinüber und als ich sie öffnete, traute ich meinen Augen kaum. Dahinter stand die wohl größte Badewanne, die ich je gesehen hatte! Sie beschlagnahmte fast die Hälfte des gesamten Badezimmers!
Zukünftig würde ich während meiner Aufenthalte in Soudale nur noch Zimmer Nummer Acht beziehen, so viel stand fest.
Ich ließ sofort heißes Wasser ein und schälte mich aus meiner noch immer klammen Kleidung, die ich unachtsam auf den Boden fallen ließ.
Auf einem Schränkchen neben der Wanne fand ich eine kleine Auswahl verschiedener Seifenstücke. Wahllos warf ich zwei von ihnen in das Wasser und sie waren kaum auf den Grund gesunken, verbreiteten sie auch schon ihren himmlischen Duft. Natürlich rochen sie nach Lavendel.
Während sich die Wanne langsam mit Wasser füllte, musterte ich mich in dem großen Wandspiegel, den ich auf der anderen Seite des Zimmers entdeckt hatte.
Ich war weder dick, noch dünn, weder groß, noch klein. Ich war weder mit außergewöhnlicher Schönheit gesegnet, noch war ich hässlich. Das Bemerkenswerteste an meiner Erscheinung waren sicherlich die goldenen Augen.
Müde wandte ich mich von meinem Spiegelbild ab und öffnete mit einem geübten Griff den Knoten auf meinem Kopf, so dass meine Haare in langen, schwarzen Wellen über meinen Rücken fielen.
Danach drehte ich den Hahn zu, stieg vorsichtig in die Wanne und ließ mich mit einem zufriedenen Seufzer in das heiße Wasser sinken. Ich spürte, wie sich meine verkrampften Muskeln augenblicklich entspannten und schloss lächelnd die Augen, während ich meine Wange behutsam auf den kühlen Wannenrand legte.
Meine Gedanken wanderten zu dem Schwarzen Soldaten aus dem Sonnenblumenfeld, als mich plötzlich ein lautes, schmatzendes Geräusch aufschreckte.
Ich blinzelte verwundert und erkannte Mephisto, der seine nasse Pfote genüsslich ableckte.
»Mephisto!«, schimpfte ich und verzog angewidert das Gesicht, worauf mich der Kater einen kurzen Moment verständnislos anstarrte, um sich anschließend wieder meinem Badewasser zu widmen.
Frisch gebadet und todmüde zog ich mir ein paar kurze Hosen und ein Hemd an, das ich in einem der Badeschränke gefunden hatte. Meine Sachen hängte ich zum Trocknen auf den Sessel, den ich mit letzter Kraft näher zur Feuerstelle rückte.
Schließlich ließ ich mich mit einem herzhaften Gähnen ins Bett fallen und während ich dem gleichmäßigen Prasseln des Regens lauschte, schlief ich ein.
Lilli
Erschrocken fuhr ich aus dem Schlaf. Mein Herz hämmerte wild gegen meinen Brustkorb und für einen kurzen Augenblick sah ich mich orientierungslos um. Wo war ich? Was hatte mich geweckt?
Plötzlich hörte ich einen Schrei.
Schlaftrunken stolperte ich aus dem Bett und torkelte benommen zu den Fenstern. Angestrengt starrte ich in die Dunkelheit und obwohl es nicht mehr regnete, konnte ich durch die schmutzigen Scheiben kaum etwas erkennen. Mephisto sprang auf das Fensterbrett und gesellte sich neben mich.
Gerade als ich mich wieder hinlegen wollte, knurrte der Kater so laut, dass ich überrascht zusammenzuckte.
»Was ist?«, flüsterte ich verwirrt und bemerkte, dass sich etwas auf dem Marktplatz bewegte. Ich kniff die Augen zusammen und erkannte ein Mädchen, das panisch auf den Brunnen zurannte.
Hinter ihr erschienen zwei dürre Gestalten, eingehüllt in lange, zerschlissene Mäntel und die Bewegungen ihrer Verfolger wirkten merkwürdig stockend. Fast schon steif – Angstfresser!
»Verdammt!«, zischte ich und schlüpfte schnell in meine Stiefel hinein.
Ich schnappte mein Schwert und eilte zur Tür, während mir Mephisto mit aufgerissenen Augen hinterhersah.
»Du bleibst hier!«, befahl ich und sprang nach draußen.
Ich stürmte die Treppe hinunter und hastete durch den mittlerweile verlassenen Raum der Gaststätte. Dabei schlug ich mir das Schienbein so kräftig an einer Sitzbank an, dass ich laut fluchte.
Als ich endlich die Eingangstür erreichte, tastete ich in der Dunkelheit eilig nach einem Schloss oder Riegel. Als meine zittrigen Finger endlich den kleinen metallenen Schieber fanden, riss ich die Tür auf und hetzte auf den Marktplatz.
Die Angstfresser bemerkten mich gar nicht, sie hatten nur Augen für das Mädchen, das schluchzend hinter dem Brunnen kauerte.
Beim Anblick der beiden dunklen Gestalten durchfuhr mich eine nie gekannte Angst, kalte Panik schnürte meine Kehle zu und ich zögerte. Was zum Teufel tat ich hier?!
Das laute Krächzen eines Raben, der auf einem der Dächer saß, riss mich aus meiner Starre und ich rannte weiter, schneller als ich jemals zuvor in meinem Leben gerannt war. Ich jagte an den Angstfressern vorbei, steuerte auf das Mädchen zu und packte ihre Hand. Ich zog sie einfach hinter mir her und sie folgte mir widerstandslos.
Читать дальше