Das Geschlecht der Zwerge hat seine Wohnungen in den Bergen. Zwerglöcher kennt man wohl überall in Deutschland. In Schlesien ist eins auf dem Prudelberge bei Stonsdorf, in der Lausitz giebt es welche auf dem Dittersberge bei Schönau auf dem Eigen und am Fuße des Breitenberges bei Zittau (Haupt, Sagenbuch etc. I. No. 24.), in Böhmen bei Warnsdorf und im Kammerbühl bei Franzensbad (Grohmann, Sagenbuch etc. S. 180.), im Vogtlande bei Stublach und bei der Milbitzer Ziegelei (Eisel, Sagenbuch d. Vogtl. No. 26.), im Mansfeldischen am Kammerbache bei Freiersdorf und in der Steinklippe zwischen Hermerode und Wippra (Größler, Sagen der Grafsch. Mannsfeld, No. 153 und 155.), und so erzählt die Sage noch von vielen anderen Orten, an denen die Zwerge die Zugänge zu ihrem unterirdischen Reiche hatten.
140. Zwerge am Pöhlberge bei Annaberg.
(Richter, Umständliche aus zuverlässigen Nachrichten zusammengetragene Chronica der freyen Bergstadt St. Annaberg. Annaberg, 1746, S. 4.)
Die Sage erzählt, es hätten in der Gegend bei dem Pöhlberge, ehe die Stadt Annaberg erbauet gewesen, kleine Leutlein, einer Ellen lang, gewohnet.
141. Die Zwerge in Schmiedeberg.
(Heger und Lienert, Ortskunde d. Dorfes Schmiedeberg i. B. S. 60.)
In Schmiedeberg wohnten lange Zeit Zwerge. Dieselben erreichten nur die Größe eines zwei- bis dreijährigen Kindes und trugen einen spitzen Hut, rot wie ihre Haare, außerdem gefeite Stiefel. Sie hielten sich in Ställen, Scheuern, Kellern und Stuben auf, waren nicht menschenscheu, kamen im Gegenteil oft freiwillig unter dem Herde hervor und boten ihre Dienste an. Nachts um die zwölfte Stunde kamen alle zusammen, gingen dabei durch verschlossene Thüren und begannen nun emsig das aufzuarbeiten und zu vollenden, was die Menschen verabsäumten oder unvollendet ließen. Im Nu war ihre Arbeit zierlich und fein gethan, dann ging es an's Tanzen. Punkt ein Uhr verschwanden sie wieder. Neckereien konnten sie nicht vertragen; sie zogen dann fort. Man vertrieb sie übrigens auch, wenn man Lauch in die Milch that und ihnen diese vorsetzte.
Von den Bewohnern Schmiedebergs wurden diese Zwerge nur »Holzweibchen« genannt. Seit jeher hatten sie im Hause No. 172 ihren ständigen Aufenthalt und brachten durch nächtlichen Fleiß Glück und Segen in die Wirtschaft. Endlich aber schien es ihnen hier nicht mehr zu gefallen, denn sie sagten: »Hier ist nimmer gut wohnen, sie (die Hausfrau) zählt die Knödeln im Topf und im Backofen das Brot.« So zogen denn die Zwerge fort, weit fort, über die Eger bei Aubach, wo sie den Fährmann, um ihn zu entlohnen, gefragt haben sollen, was ihm lieber wäre – ein roter Heller oder ein Sturmhut voll Goldstücke. Der Fährmann wählte natürlich das letztere. Die Leutchen sagten ihm, er habe schlecht gewählt und werde schließlich noch weniger besitzen als einen roten Heller. Das traf auch ein, der Fährmann verarmte in kürzester Zeit gänzlich.
142. Die Zwerge backen Kuchen.
(Edw. Heger in der Erzgebirgszeitung, 6. Jahrg., S. 58.)
Von den Bergen aus besuchten die Zwerge häufig die benachbarten Ansiedelungen der Menschen, um deren Gastfreundschaft in Anspruch zu nehmen, und man gab ihnen auch gern etwas von Lebensmitteln ab. Sie suchten aber nicht nur Gastfreundschaft, sondern gewährten auch solche; ward jedoch ihre Gabe verschmäht, so gerieten sie leicht in Zorn, ja rächten sich an dem Unwürdigen, was ihnen nicht schwer fiel, da sie mit geheimen Kräften begabt waren.
Als einst ein alter Bauer aus Redenitz und dessen Knecht an der Berglehne zwischen Leskau und Spinnelsdorf ihre Ackerfurchen zogen, vernahmen sie plötzlich ein sonderbares Gespräch in der Nähe, ohne daß die Sprechenden zu sehen waren. »Bringt erst die Weißen, dann die Schwarzen!« »Nein, erst die Schwarzen, dann die Weißen!« so rief es rätselhaft durcheinander.
Als die beiden Lauscher aber einen äußerst angenehmen Geruch nach frischem Kuchen verspürten, da wußten sie auf einmal, was alles zu bedeuten habe, und der Knecht sagte: »Das sind ja die Zwerglein, die in ihren nahen Wohnungen eben Kuchen backen, schwarze und weiße (d. h. von geringerem und feinerem Mehle); sehen kann man freilich nichts, denn sie haben sich unsichtbar gemacht.«
»Ja«, – meinte der Bauer – »aber diese Kuchen riechen auch gar zu gut; wer doch einen davon hätte!«
»Nun, da werde ich halt einen bestellen«, sprach der Knecht im Spaße und rief dann, so laut er konnte: »He, backt uns doch auch einen Kuchen mit, aber einen recht guten!«
Als die Ackerleute nach dem Mittagessen ihre Arbeit wieder beginnen wollten, da fand jeder von beiden auf seiner Pflugschar einen wunderschönen, duftenden Kuchen liegen. Der Bauer biß herzhaft in den Kuchen und ließ sich ihn ausgezeichnet schmecken, der Knecht aber mißtraute der geheimnisvollen Gabe und verschmähte sie. Klatsch! – da hatte der Undankbare auch schon von unsichtbarer Hand eine tüchtige Ohrfeige erhalten, an die er sich noch lange nachher schmerzlich erinnerte.
(Nach Grimm in der Erzgebirgszeitung, 2. Jahrg., S. 6.)
An der Eger, zwischen dem Hofe Wildenau und dem Schlosse Aich, ragen große Felsen empor, die man von Alters her die Heilingsfelsen nennt. Am Fuße derselben erblickt man eine Höhle, inwendig gewölbt, auswendig aber nur durch eine kleine Öffnung erkennbar, in die man, den Leib gebückt, kriechen muß.
Diese Höhle wurde von kleinen Zwerglein bewohnt, über die zuletzt ein unbekannter alter Mann, namens Heiling, als Fürst geherrscht haben soll. Einmal vor Zeiten ging ein Weib, aus dem Dorfe Daschwitz gebürtig, am Vorabende von Peter Pauli in den Forst und wollte Beeren suchen; es wurde Nacht, und sie sah neben diesem Felsen ein schönes Haus stehen. Sie trat hinein, und als sie die Thüre öffnete, saß ein alter Mann am Tische, der schrieb emsig und eifrig. Die Frau bat um Herberge und wurde willig angenommen. Außer dem alten Manne war aber kein lebendes Wesen im ganzen Gemach, allein es rumorte heftig in allen Ecken; der Frau ward greulich und schauerlich und sie fragte den Alten: »Wo bin ich denn eigentlich?« Der Alte versetzte, daß er Heiling heiße, bald aber auch abreisen werde, »denn zwei Drittel meiner Zwerge sind schon fort und entflohen.« Diese sonderbare Antwort machte das Weib noch unruhiger, und sie wollte mehr fragen, allein er gebot ihr Stillschweigen und sagte nebenbei: »Wäret Ihr nicht gerade in dieser merkwürdigen Stunde gekommen, solltet Ihr nimmer Herberge gefunden haben.« Die furchtsame Frau kroch demütig in einen Winkel und schlief sanft ein. Als sie am Morgen mitten unter den Felssteinen erwachte, glaubte sie geträumt zu haben; denn nirgends war ein Gebäude zu sehen. Froh und zufrieden, daß ihr in der gefährlichen Gegend kein Leid widerfahren sei, eilte sie nach ihrem Dorfe zurück; es war alles so verändert und seltsam. Im Dorfe waren die Häuser neu und anders aufgebaut, die Leute, die ihr begegneten, kannte sie nicht und sie wurde auch nicht von ihnen erkannt. Mit Mühe fand sie endlich die Hütte, wo sie sonst wohnte, und auch die war besser gebaut; nur dieselbe Eiche beschattete sie noch, welche einst ihr Großvater dahin gepflanzt hatte. Aber wie sie in die Stube treten wollte, ward sie von den unbekannten Bewohnern als eine Fremde vor die Thür gewiesen. Sie lief weinend und klagend im Dorfe umher. Die Leute hielten sie für wahnwitzig und führten sie vor die Obrigkeit, wo sie verhört und ihre Sache untersucht wurde. Siehe da, es fand sich in den Gedenk- und Kirchenbüchern, daß gerade vor hundert Jahren an eben diesem Tage eine Frau ihres Namens, welche nach dem Forst in die Beeren gegangen, nicht wieder heimgekehrt sei und auch nicht mehr zu finden gewesen war. Es war also deutlich erwiesen, daß sie volle hundert Jahre im Felsen geschlafen hatte und die Zeit über nicht älter geworden war. Sie verlebte nun ihre übrigen Jahre ruhig und sorgenlos und wurde von der ganzen Gemeinde anständig gepflegt, zum Lohne für die Zauberei, die sie hatte erdulden müssen.
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