„Nein, nein, es schmeckt hervorragend, vielen Dank“, hielt Jeldrik sie zurück. Er wollte nicht, dass sie sich besondere Umstände seinetwegen machten. Es war nicht einmal gelogen. So gefüllt schmeckte es wirklich.
„Vater mag die Fladen nicht, bei uns gibt es fast nur Brot zu essen“, warf Althea ein.
„Ja, du bist wirklich verwöhnt“, neckte sie die Köchin.
„Warum ist Brot so etwas Besonderes hier? Habt ihr nicht so viel davon?“ Jeldrik verstand es nicht.
„Weil das Mehl so viel kostet und Hirse nicht. Deshalb!“ Der Junge hatte wirklich komische Fragen, dachte die Köchin. Jeldrik sah, dass sich die Mädchen schon belustigte Blicke zuwarfen, und beschloss, es gut sein zu lassen. Sie wandten sich anderen Dingen zu.
Die Freunde berichteten vom Ausflug in die Stadt. Besonders die Sumpfleute hatten es den Frauen angetan. „Waren sie wirklich so unheimlich, wie man immer sagt?“, fragte das Waschmädchen.
„Ich finde, sie sahen eher erschöpft aus“, meinte Jeldrik, „so, als hätten sie einen schlimmen Weg hinter sich. Versteht mich nicht falsch, natürlich sehen sie anders aus als wir mit ihrer schwarzen Haut und den Fellen. Aber so heruntergekommen wie diese habe ich noch keine gesehen.“
„Wo liegt eigentlich genau das Lir-Delta und wie sieht es dort aus?“, fragte Althea.
„Hast wohl im Unterricht nicht aufgepasst!“, spottete Currann.
Althea streckte ihm heimlich die Zunge raus. „Das hatten wir noch nicht!“
Jeldrik besänftigte sie: „Das Lir-Delta ist ein sehr lang gestrecktes, flaches Gebiet zwischen der Hochebene von Morann und dem Vorgebirge des Kohinor Massivs. Es reicht von weit im Osten an Eurer Landesgrenze bis ganz in den Westen ans Meer heran, ein paar Tagesreisen nördlich von Temora. Es wird bei schlimmer See regelmäßig bis weit ins Landesinnere überspült.“
Die Frauen lauschten mit großen Augen. „Wart Ihr schon einmal dort?“, fragte das Waschmädchen.
„Nein, aber ich habe viel über dieses Land gelesen. Es lässt sich dort nur sehr schwer leben, aber die Sumpfleute lieben ihre Unabhängigkeit.“
„Wovon leben sie denn?“, fragte die Köchin.
Currann wollte auch zur Unterhaltung beitragen und sagte: „Hauptsächlich vom Fischfang, und sie liefern uns Ried, teilweise auch Holz, Zunderschwämme und dergleichen. Aber sie ernten auch einen Pflanzensaft, den sie aus dem Sumpfgras gewinnen. Daraus stellen sie die Droge Mor her und verkaufen sie teuer in alle Länder.“ Er hatte von Bajan einiges über den lukrativen, aber höchst illegalen Handel mit Mor erfahren. „Die Mönche lehnen Drogen strikt ab, aber da die Sumpfleute Heiden sind, stört dies dort niemanden. Sie finden einen reichen Absatz hier in der Stadt, und Fürst Bajans Männer sind so gut wie machtlos dagegen“, erklärte er ihrem Gast.
„Auch bei uns ist der Besitz von Mor verboten“, sagte Jeldrik.
„Was macht so eine Droge?“, fragte Althea neugierig.
„Dafür bist du noch zu jung“, wandte die Köchin ein. Althea blickte Jeldrik trotzig an. Jetzt blitzten die Augen eisgrau.
Er zwinkerte ihr zu. „Sie kann in geringen Dosen als Betäubungsmittel für Schmerzen genommen werden, aber wenn du zu viel oder zu oft etwas davon nimmst, kannst du ohne sie nicht mehr leben.“
Currann ergänzte bissig: „Dann wirst du dumm im Kopf, und irgendwann stirbst du.“
Jeldrik sah, dass Althea sichtlich erschrocken war, und milderte etwas ab: „Du kannst irgendwann nicht mehr klar denken und handeln.“
‚So wie Vater’, dachte Currann und bereute seine Worte sofort. Unbehaglich wand er sich auf seinem Stuhl hin und her.
„Nun ist aber Schluss, ihr macht uns Angst!“, rief die Köchin. „Habt ihr nichts anderes zu tun, als hier noch herumzusitzen?“
Die Freunde verstanden den Wink, bedankten sich artig für das Essen und verließen die Küche. Durch die Lagerräume gelangten sie nach draußen. Currann schaute sich vorsichtig um und drängte die anderen schnell zurück.
„Da geht Mutter“, sagte er leise. „Warten wir ab, bis sie in die große Halle gelangt ist, dann ist die Luft rein.“ Ein paar Augenblicke später war der Platz leer.
Althea übernahm nun die Führung. „Los, dort hinten hin, rasch!“, sagte sie. Sie hielt auf den Teil des Palastes zu, wo der Gästetrakt lag, doch anstatt das Tor zu öffnen, lief sie in einen schmalen Säulengang, der an der großen Halle entlangführte. Als sie den Gang passiert hatten, standen sie vor einem schlichten Tor.
„Leise jetzt“, wies Althea sie an. Unbewusst hatte sie Curranns Kommandoton übernommen. „Hier geht es zu den Küchen und den Dienstbotengängen der großen Halle.“ Vorsichtig öffnete sie eine kleine in das Tor eingefasste Tür und spähte hindurch. Sie winkte die anderen hinein. Sie befanden sich in einer kleinen, mit einem Kuppeldach überspannten Halle. „Geradeaus geht es in die Palastküchen, hier rechts zum Gästetrakt“, erklärte Althea. „Hier links geht es in die große Halle. Da haben sie gestern die Bänke hereingetragen.“ Jeldrik nickte. Er erkannte die Verzierungen des Tores wieder.
Althea ging zu einer kleinen, neben dem Eingang zur Halle gelegenen Tür. Vorsichtig öffnete sie diese und lauschte. Sie legte die Finger auf die Lippen und winkte den anderen. Leise schlichen sie die Treppe nach oben. Am Ende befand sich ebenfalls eine schmale Tür, die Althea jetzt einen Spalt weit öffnete, gerade so, dass sie hindurchpasste.
Jeldrik blickte erstaunt voraus. Sie befanden sich unmittelbar hinter der letzten Sitzreihe der Balustrade, weit oben in der Halle. Der Ausblick war erstaunlich. Von unten waren Stimmen zu hören, und Jeldrik meinte, die seines Vaters herauszuhören. Schnell schlichen die Freunde nacheinander durch die Tür und geduckt hinter der Balustrade bis zu den beiden Statuen.
„Hast du sie gesehen?“, flüsterte Currann.
Phelan nickte. „Sie steht unten auf der anderen Seite hinter einer Säule. Aber sie ist nicht allein.“
„Von wem redet ihr eigentlich?“, fragte Jeldrik.
Althea spähte vorsichtig zwischen dem Spalt hindurch. „Oh, Brida und Alia! Was will die denn hier?“
„Na, wohl dasselbe wie wir, lauschen nämlich!“, spottete Currann.
„Wo denn?“, fragte Jeldrik. Althea drückte ihn vor dem Spalt so zurecht, dass auch er sie entdeckte. Tatsächlich, da waren zwei Schatten in langen Frauengewändern zu sehen.
Unten wurde es nun lebhafter, und die Freunde wandten ihre Aufmerksamkeit der Versammlung zu. Der König schien in etwas besserer Verfassung zu sein als gestern, jedenfalls nahm er rege am Geschehen teil. Roar hatte ein langes, mächtiges Schwert gezogen, das eigentümlich silbern glänzte, und wies einen seiner Leute an, mit einem herkömmlichen Bronzeschwert anzugreifen.
„Was machen sie denn?“, flüsterte Currann aufgeregt. „Wollen sie etwa mit den Klingen aufeinander einschlagen? Das ist nicht gut für die Schwerter! Sie werden über kurz oder lang unbrauchbar werden!“
„Warte es ab!“ Jeldrik musste ein Grinsen unterdrücken und rückte etwas zur Seite, damit Althea besser sehen konnte.
Der Krieger holte aus. Roar parierte mühelos. Es gab einen eigentümlichen Klang, und selbst die Freunde konnten von ihrem Posten aus sehen, dass das Bronzeschwert bereits beim ersten Mal eine tiefe Kerbe bekommen hatte.
Roar und sein Mann tauschten noch ein paar Hiebe aus, für Althea glich das Ganze mehr einem Tanz als einem Kampf, dann brach das Bronzeschwert entzwei. Erschrockene Rufe und Applaus beendeten die Darbietung.
„Wahnsinn!“, flüsterte Phelan. Auch Currann war beeindruckt von der Kraft und Geschmeidigkeit der beiden Krieger, aber noch mehr von der Macht des Schwertes. Jeldrik war sichtlich stolz.
Unten erhob Roar seine Stimme. Sie konnten ihn mühelos verstehen. „Eure Hoheit, Ihr seht, Eure Schwerter sind nahezu machtlos gegen dieses Metall. Es ist härter als herkömmliche Bronze, was uns gestattet, wesentlich längere und dünnere Schwertblätter herzustellen, die nicht brechen. Dem Kämpfer wird dadurch eine gänzlich andere Schlagkraft verliehen. Selbst im Kampf gegen Lanzen und Äxte sind sie weit überlegen. Das verschafft einem Heer völlig neue Möglichkeiten.“
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