Sie erhob sich. Zeit, ihre Gemächer aufzusuchen. Der König würde vor morgen früh nicht erwachen, und falls er es doch wieder Erwarten tun würde, mischte sie ihm noch rasch einen Becher Wein mit speziellem Inhalt zurecht.
Dann zog sie sich ihr Seidengewand über, verließ das Gemach des Königs durch eine getarnte Verbindungstür und eilte durch den dahinter liegenden Gang in ihr eigenes Reich.
Kaum hatte sie die Tür geöffnet, wurde sie plötzlich von einer Hand gepackt und in den Raum gezerrt. Die Tür fiel zu. Anhand der kalten Finger wusste sie sofort, wer ihr aufgelauert hatte, und schloss die Augen. So schnell hatte sie ihn nicht erwartet.
„Nun meine Schöne“, kratze seine Stimme, und er drängte sie gegen den Türpfosten, „willst du auch für mich einen Tanz wagen?“ Er riss gierig ihr Gewand auf und begann sie zu küssen. Seine kalten Finger waren überall auf ihrer nackten Haut. Alia stöhnte auf, machte sich von ihm los und zwang sich zu einem Lächeln.
„Meine Zeit gehört Euch, aber zunächst möchte ich mich in eine andere Ebene versetzen, um Euch alle Freuden bereiten zu können.“ Der Mann lachte kalt und reichte ihr einen bereits vorbereiteten Becher Wein. Sie trank ihn in einem Zug aus und spürte sogleich, wie sich eine wohlige Wärme in ihr ausbreitete. Sie drehte sich um und streifte ihrem Gönner geschickt die Kutte ab. Er lehnte sich erwartungsvoll auf dem großen Bett zurück, als sie mit ihrem Tanz begann.
In ihrem eigenen Palast setzte sich Naluri, nachdem sie ihre Töchter mit Yola ins Bett gebracht hatte, erschöpft auf einen Stuhl in ihrem Schlafgemach und blickte ihre Vertraute ernst an.
„Es war eine gezielte Attacke, um mich bloß zu stellen und meine Stellung bei Hofe weiter zu schwächen“, berichtete sie. „Diese Schlange muss dem König etwas eingeflößt haben, er wirkte völlig benebelt. Und an den Wachen kann sie nur mit Bridas Hilfe vorbeigekommen sein. Yola, was sollen wir nur tun? Ich fürchte langsam um unsere Sicherheit, besonders um die von Currann. Er ist als Thronfolger am meisten gefährdet. Wenigstens auf Fürst Bajan und das Heer ist Verlass. Aber wie lange noch?“
Yola drückte tröstend ihre Hand. „Vielleicht solltet Ihr Fürst Bajan bitten, Currann gänzlich in seine Obhut zu nehmen. Bis in das Heer reicht ihr Einfluss zum Glück noch nicht. Um Phelan würde ich mir aber keine Sorgen machen, der geht den richtigen Leuten schon aus dem Weg. Ich vermute, er und Althea“, hier lachten beide auf, „wissen längst, was vor sich geht, so gut kennen sie sich in der Festung aus.“
„Ich möchte gar nicht wissen, wo sie sich überall herumtreiben“, sagte Naluri, „und ganz besonders morgen nicht. Wie schnell sie Jeldrik, den Sohn von Fürst Roar, vereinnahmt haben! Ich wette mit dir, dass sie morgen zum Lager der Saraner davonschleichen werden. Sei es ihnen gegönnt, mit einem Gast wird ihnen nichts geschehen, und außerdem wird Fürst Bajan über sie wachen lassen. Aber du hast recht, Yola, ich werde morgen mit Fürst Bajan über Currann sprechen, und auch Phelan möchte ich in seiner Obhut wissen.“ Sie stand auf. „Nun hilf mir mit dem Entkleiden und lass uns zu Bett gehen, der Abend hat mich völlig erschöpft.“
Yola nickte verständnisvoll und half ihrer Herrin aus dem komplizierten Gewand. Danach schloss sie leise die Tür zu ihrem Gemach, obwohl sie wusste, dass die Königin noch lange keine Ruhe finden würde. Sie überprüfte alle Ausgänge, ob diese fest verschlossen waren, und begab sich selbst zur Ruhe.
Naluri wartete, bis sie die Tür ihrer Zofe zuklappen hörte, verriegelte dann ihre eigene Tür von innen und ging an die Wand hinter ihrem Schreibpult. Mit geübtem Griff drückte sie drei bestimmte Punkte auf der Holzverkleidung, worauf ein Paneel zur Seite glitt. Dem dahinter liegenden Fach entnahm sie ein dickes, in Leder gebundenes Buch, zu fast dreiviertel gefüllt mit ihren Aufzeichnungen. Sie setzte sich an das Schreibpult, spitzte ihre Feder, ließ sie dann aber wieder sinken, zu frisch waren noch die schmerzlichen Erinnerungen an den heutigen Tag.
Sie seufzte. Es war in Gilda schon lange kein Geheimnis mehr, dass der König und sie getrennt lebten. Seit dem Beginn ihrer schwierigen und lieblosen Ehe, die von ihren Eltern arrangiert worden war, hatte der König Geliebte gehabt, aber dies war niemals an die Öffentlichkeit gedrungen. Nach der Geburt der Zwillinge hatte er sich schließlich mit der Begründung, sie könne wohl nur noch Mädchen zustande bringen, endgültig von ihr abgewandt.
Zunächst hatte sie es sehr genossen, völlig unbelästigt von ihm leben zu können, aber als Alia in den Palast eingezogen war, hatte das Blatt sich gewendet. Sie würde bis zuletzt um ihre Stellung und die Sicherheit ihrer Kinder kämpfen, das hatte sie sich geschworen.
Entschlossen hob sie die Feder und begann, die Ereignisse des Tages zusammenzufassen.
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Kapitel 2
Der erste Traum
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Am nächsten Morgen war Althea bereits vor Sonnenaufgang wach. Schnell erledigte sie ihre Morgenwäsche und lief hinüber in die Küche, wo Lusela bereits das Feuer entfacht, eine Kanne Kaffee aufgesetzt und den Hirsebrei angerührt hatte.
„Du bist ja schon wach“, rief sie erstaunt und maß sie mit einem durchdringenden Blick, „und Phelans alte Tunika hast du auch schon wieder an!“
„Och, Lusela, nur noch dieses eine Mal .. bitte!“ Althea setzte sich an den Tisch. „Wir treffen uns gleich drüben bei Tante Naluris Palast und wollen dem fremden Jungen die Festung zeigen. Er weiß doch nicht, dass ich ein Mädchen bin. Sie nehmen mich sonst bestimmt nicht mit!“
„Welcher fremde Junge?“, fragte Lusela erstaunt und stellte Althea eine Schale mit Brei hin.
„Na der, der gestern mit seinem Vater, dem Fürsten von Saran angekommen ist. Hast du das noch nicht gehört?“, brachte Althea zwischen zwei Bissen undeutlich hervor.
„Man spricht nicht mit vollem Mund, und außerdem war ich gestern vollauf mit der Wäsche und dem Unkrautjäten hinten im Garten beschäftigt, was eigentlich deine Aufgabe wäre, junge Dame, oder etwa nicht?“
„Entschuldigung, das habe ich ganz vergessen“, sagte Althea kleinlaut. Sie hatte ihre Schale leer geschlungen, als gälte es, eine Wette zu gewinnen. „Ich mach’s wieder gut. Kann ich jetzt gehen?“
„Aber nur, wenn du mir heute Abend mit den Äpfeln hilfst! Du weißt, es friert nachts schon bitter, und es dauert gewiss nicht mehr lange, bis das auch unseren Äpfeln den Garaus macht. Nun verschwinde schon!“, sagte Lusela liebevoll, gab ihr einen Kuss auf die Stirn und schickte sie mit einem Klaps auf den Hintern vor die Tür. Althea schnappte sich noch ihren alten Umhang und war schon verschwunden. „Geh du nur und genieße deine Abenteuer“, lächelte Lusela in sich hinein. „Bald werden neue Zeiten für dich anbrechen!“
Althea rannte durch das Tor auf die Straße hinaus und so schnell sie konnte hinauf zur Festung. Die Morgensonne schien ihr warm entgegen, obwohl es bereits Herbst war und es – Lusela hatte recht - nachts bitter gefroren hatte. Vorbei an den Wachen am oberen Tor, die sie mit einem fröhlichen „Guten Morgen!“ begrüßten, stürmte sie zur Treppe am Eingang des Palastes der Königin.
Dort prallte sie mit Jeldrik zusammen, der sie lachend mit den Armen abfing. Althea war zunächst erschrocken, denn sie dachte, Brida oder einer der Schergen Nusairs hätten ihr aufgelauert. Aber als sie Jeldrik erkannte, lachte sie erleichtert. Auch er hatte einfache Kleidung angelegt und einen weiten Umhang mitgebracht, der sich nicht von ihrem eigenen unterschied und seine fremdartige Kleidung vortrefflich verbarg.
Doch dann stutzte sie plötzlich. Jeldrik hatte sich bereits weiter die Treppe hinaufgewandt und blickte jetzt, da sie ihm nicht folgte, fragend zu ihr zurück. Gestern in der dämmrigen Halle waren ihr seine Augen gar nicht so aufgefallen, sie hatten einfach grau gewirkt, doch jetzt, als die Morgensonne direkt hineinschien, leuchteten sie in dem faszinierendsten Blau auf, das Althea je gesehen hatte. Dass es noch hellere Augen gab als ihre eigenen, hätte sie nicht für möglich gehalten, schon gar nicht in dieser leuchtenden Farbe.
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