„Ich würde gerne einmal selbst die Wunder Eures Landes mit eigenen Augen sehen“, sagte Naluri, und ihrer sonst so gelassenen Stimme war echte Begeisterung anzuhören. „Es fällt mir schwer, mir eine so große Fläche Wasser und Eis vorzustellen.“
Der König gab darauf ein Schnauben von sich. Alle wandten erstaunt den Kopf. „Ihr bleibt besser dort, wo Ihr hingehört“, stieß er aus.
Hoch erhobenen Hauptes saß Naluri da. Die Freude aus ihren Augen war erloschen, ihr Gesicht hatte sich so schnell verschlossen wie eine heftig zugeworfene Tür. Betretendes Schweigen machte sich breit. Naluri sah genau, wie Nusair dieses Schweigen voll auskostete und wie Thorald nach Worten suchte, ihr beizustehen. Diese Blöße wollte sie sich nicht geben. Betont freundlich sagte sie: „Aber ja, mein Gemahl, wie könnte ich Euch allein lassen!“ Dann richtete sie wieder das Wort an Roar: „Aber sagt mir, Fürst, welcher Anlass Euch dazu bringt, uns persönlich mit Eurer Anwesenheit zu beehren. Es kann sich doch nicht nur um simple Handelsdinge handeln.“
„Nein, es gibt etwas, das ich persönlich Eurem Gemahl und dem Rat vorführen möchte. Ich will hier nicht zu viel verraten, aber mein Volk wurde vor einiger Zeit von einem auf den südlichen Inseln lebenden Stamm angegriffen. Wir konnten sie schlagen, jedoch nur knapp, denn ihre Waffen waren aus einem ungewöhnlichen Metall, gegen das unsere Bronzewaffen machtlos waren. Sie wurden einfach unbrauchbar.“ Erstaunte Laute entfuhren den Menschen bei Tisch. „Nur durch all unser militärisches Können“, fuhr Roar fort, „gelang ein Sieg gegen die Wilden.“
Bajan hatte sich schon bei seinen ersten Worten angespannt vorgebeugt. „Wollt Ihr damit andeuten, dass Ihr dieses Metall ausfindig gemacht habt und in der Lage seid, es zu verarbeiten?“
Roar machte eine leichte Verbeugung in Bajans Richtung, beeindruckt von seiner Scharfsicht. „So ist es. Wir werden Euch morgen eine kleine Kostprobe bieten.“
Nun wurde auch der König lebhaft. „Ha, diese neuen Waffen werden unserem Heer bestens zu Stehen bekommen“, nuschelte er in seinen Bart, „und sie werden ihren Preis wert sein, wenn sie halten, was sie versprechen.“ Bajan runzelte unmerklich die Stirn. Der König handelte nicht klug, wenn er schon so früh seine Begeisterung kundtat. Er selbst hielt gesunde Skepsis für angebrachter und hielt sich dementsprechend zurück, und er sah auch, dass einige der Handelsherren irritiert die Stirn runzelten.
„Darüber zu verhandeln sind wir gekommen“, antwortete Roar, „denn alt ist die Freundschaft zwischen unseren Völkern, und der Fortschritt soll Euch ebenso zuteilwerden wie uns.“
Nusair hatte Bedenken. „Mit dem neuen Metall hat es doch kein Zauberwerk auf sich? Die dunklen Mächte versuchen stets, sich der Seelen der Menschen zu bemächtigen.“
Roar überlegte kurz, wie er diesen Mönch anreden sollte. Schließlich erinnerte er sich. „Keine Sorge, Euer Exzellenz, dies hat nichts mit Zauberei zu tun. Als Bedingung für den Frieden haben uns die Wilden die Verarbeitung des Metalls gezeigt. Es ist lediglich ein neues Verfahren mit einem anderen Metall, das allerdings einige Zeit erfordert, es zu erlernen.“
Sofort war die Runde in eine angeregte Diskussion über die Vor- und Nachteile verschiedener Waffen vertieft, zu der sogar der König einen Beitrag aus seiner Zeit als Kämpfer leistete.
Naluri lehnte sich etwas entspannter zurück und überließ die Männer ihrem Gespräch. Thorald warf ihr einen tröstenden Blick zu und zwinkerte unmerklich.
Anwyll entging dieser Blick nicht, und er beugte sich zu Thorald. „Gehe ich recht in der Annahme, dass die Königin in unsere Dinge eingeweiht und unserem Ansinnen freundlich gesinnt ist?“, raunte er ihm leise zu.
Thorald nickte. „Sie war von Anfang an auf unserer Seite und ist in alles eingeweiht. Aber bitte sprecht nicht hier darüber, es könnte ungebetene Zuhörer geben.“ Anwyll nickte daraufhin ernst.
Inzwischen waren sie am Ende des Mahls angekommen, als sich Aietan mit einem Mal ohne jede Hilfe erhob. „Verehrte Gäste, Ratsherren und Bürger Gildas, es ist mir eine besondere Ehre, Euch Alia, die Perle unseres Königreiches, vorzustellen.“ Er klatschte in die Hände.
Die Königin zuckte zusammen. Thorald runzelte beunruhigt die Stirn, und die Königskinder verstummten wie auf Kommando.
„Was ist denn los?“, flüsterte Jeldrik. In der gesamten Halle war es totenstill geworden.
Plötzlich öffneten sich die Doppeltüren des hinteren Eingangs, und eine Reihe Musiker erschienen. Dahinter kam mit langsamem Schritt eine sehr schöne Frau mit unnatürlich hellem, sehr langem Haar und in einem schulter- und bauchfreien Gewand, das bei jedem Schritt die Beine hervorblitzen ließ. Sie verbeugte sich vor dem König und gab den Musikern ein Zeichen. Naluri saß wie erstarrt. Noch nie hatte der König es gewagt, seine Mätresse bei einem offiziellen Empfang vorzuführen.
Die Musik spielte auf, und Alia begann mit ihrem verführerischen Tanz. Das kann sie wirklich, dachte Thorald grimmig. Die Besucher waren von der Darbietung zunächst sehr gefesselt, aber die meisten Gildaer waren sich des Affronts gegen die Königin mehr als bewusst und wanden sich unbehaglich auf ihren Sitzen. Die Königin starrte aufrecht und unbeweglich auf die gegenüberliegende Tür. Die anhaltende Stille ließ die Gäste langsam begreifen, was hier vor sich ging.
Als Alia ihren Tanz beendet hatte und mit einer eleganten Verbeugung vor dem König auf die Knie gesunken war, nahm Aietan sie bei der Hand und wandte sich an seine Gäste: „Und nun, meine Herren, wende ich mich anderen Genüssen zu.“ Er erhob sich schnaufend und verließ mit ihr den Raum.
Nach einer kleinen Ewigkeit, in der Totenstille herrschte, erhob sich Naluri mühsam. „Lasst uns dies Mahl beenden, Ihr werdet müde sein“, sagte sie zu den Besuchern und klatschte in die Hände. Es erschien Brida, deren Augen eigentümlich glänzten. Sie verneigte sich scheinbar unterwürfig vor der Königin. Nur wer ganz nahe war, erkannte, dass es in Wahrheit Spott war.
„Brida wird Euch zurück in Euer Quartier geleiten“, sagte Naluri kalt.
Alle Anwesenden erhoben sich nun ebenfalls, dankten der Königin und machten sich zum Aufbruch fertig. Eine gedrückte Stimmung herrschte in der Halle.
Brida scharte die Gäste um sich. Phelan beobachtete sie und raunte den anderen zu: „Seht sie euch nur an, wie sie frohlockt. Wetten, dass dies ihr Einfall war?“
Althea flüsterte zurück: „Alia, die Schlange, auf einem offiziellen Empfang! Eure Mutter muss sehr wütend sein.“
Jeldrik wollte gerade Genaueres erfragen, als er sah, dass ihn sein Vater mit einem Kopfrucken zu sich befahl. Er stand auf und verabschiedete sich von den anderen. „Wir sehen uns morgen bei Sonnenaufgang. Wo wollen wir uns treffen?“
„Komm zum Palast unserer Mutter“, wies Currann ihn an und beschrieb ihm das Gebäude, „von dort werden wir leicht aus der Stadt verschwinden können.“ Jeldrik nickte, verabschiedete sich von ihnen und gesellte sich zu seinem Vater.
Thorald nahm unterdessen Naluri am Arm und führte sie zu den Kindern. „Lasst uns nach Hause gehen“, sagte Naluri müde. Sie wirkte wie geschlagen, auch wenn sie es meisterhaft verbarg. Die Zwillinge fassten sie tröstend bei der Hand, und sie lächelte ihnen zu. Currann ereiferte sich noch immer über den Zwischenfall. „Lass gut sein, mein Sohn“, mahnte sie ihn. „Nicht hier. Lass uns später darüber sprechen.“ Er musste noch lernen, seine Gefühle besser vor den anderen zu verbergen.
Thorald nahm Althea bei der Hand und zog sie zu Anwyll. „Mein Kind, dies ist Meister Anwyll, mein alter Lehrmeister und langjähriger Freund.“ Althea begrüßte ihn artig, riss aber dann erstaunt die Augen auf, als sie sein Gesicht von Nahem erblickte. Die Stirn war übersät von blauen Malen! Es waren Tätowierungen.
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