Sie wandten sich ab und liefen weiter um die Stadt herum. Plötzlich blieb Currann stehen und runzelte die Stirn. Im Gebüsch lagerten ein paar heruntergekommene Gestalten mit sehr dunkler Haut. Sie waren mit abgerissenen Fellen bekleidet. Als sie die Freunde sahen, machten sie ein paar drohende Gebärden in ihre Richtung, und sie beeilten sich weiterzukommen.
„Was waren das für Leute?“, fragte Althea. Currann schüttelte den Kopf, und auch Phelan war ratlos.
„Das waren Sumpfleute aus dem Lir-Delta“, sagte Jeldrik.
Currann sah erstaunt zurück, aber sie waren verschwunden. „Die haben wir noch nie hier in Gilda gesehen.“
„Es ist in der Tat ungewöhnlich, sie wagen sich normalerweise nicht so dicht an die großen Städte heran“, berichtete Jeldrik stolz. Das hatte er von Anwyll unterwegs erfahren. „Kein Wunder, denn die Leute fürchten sie, weil sie so dunkel aussehen und nur Felle tragen. Sie handeln gewöhnlich nur mit den Leuten, die bis an den Rand ihres Gebietes reisen und die sie kennen. Warum sie wohl hier sind? In Saran haben wir auch noch nie welche gesehen, aber unterwegs von Temora hierher sind uns ein paar begegnet.“ Doch dann wurde er von seinen Überlegungen abgelenkt, denn hinter ein paar Hügeln tauchten ihm sehr bekannte Zelte auf.
Beeindruckt sah er die anderen an. „Ohne euch hätte ich nie so schnell hierher gefunden.“ Die drei lachten. Als sie sich den Zelten näherten, wurden sie von einer Wache angerufen. Jeldrik schlug seine Kapuze zurück und antwortete ihm in seiner Sprache. Der Wachposten erkannte ihn und grüßte, während Jeldrik erklärend auf seine Begleitung wies und sie passieren durften. „Kommt“, sagte Jeldrik, „die Pferde sind dort drüben.“ Sie kamen an einigen Zelten vorbei und gelangten zu einem großen, freien Areal, auf dem mehrere Tiere an langen Leinen angepflockt waren und friedlich grasten. Auf dem Weg dorthin begegneten sie niemandem.
„Sie sind wohl alle in der Stadt“, vermutete Jeldrik. „Umso besser, dann werden wir nicht gestört.“ Er umrundete das Areal. Etwas abseits standen ein prachtvoller, schwarzer Hengst und eine schöne braune Stute mit weißer Blesse und Fesseln. Beeindruckt blieben sie in sicherer Entfernung stehen, während der Hengst nervös den Kopf hochwarf und wieherte. Die Stute jedoch erkannte Jeldrik sofort, kam sanft schnaubend auf ihn zu und begann, seine Taschen nach Essbarem abzusuchen. Als sie bei ihm nichts fand, setzte sie die Suche bei Althea fort, die lachend ein paar Äpfel aus der Tasche hervorzauberte.
„Das ist Jerika, mein Pferd. Der Hengst dort ist Thror, er gehört meinem Vater. Haltet euch von ihm fern, er ist äußerst bösartig und lässt nur meinen Vater an sich heran.“ Ihm war Curranns sehnsüchtiger Blick nicht entgangen. „Ich habe einmal versucht, ihn zu reiten. Das hat mich fast das Leben gekostet, und mein Vater hat mir derart den Hintern versohlt, dass ich eine Woche lang nicht laufen konnte. Wir nehmen Jerika und suchen uns von den Packpferden ein paar aus.“ Currann runzelte die Stirn. „Tut mir leid, anders geht es nicht“, sagte Jeldrik, dem das nicht entging. „Bei uns werden die Pferde von Geburt an ihren Besitzer gebunden und erhalten sogar eine Abwandlung seines Namens. Es wäre ein Verstoß gegen unsere Sitten, wenn ich euch das Pferd eines anderen geben würde.“
Phelan nickte. „Ich würde auch nicht wollen, dass jemand anderes mein Pferd reitet.“
„Ja, du hast recht“, lenkte Currann versöhnlich ein, „Packpferd hörte sich nur so nach Esel an.“ Alle lachten befreit auf, nur Althea blieb stumm.
Jeldrik sah, dass sie etwas bedrückte. „Was ist denn los?“
Althea druckste verlegen herum, aber Phelan kam ihr zuvor: „Althan kann noch nicht richtig reiten.“ Althea senkte den Kopf.
„Wie, du kannst noch nicht richtig reiten?“, rief Jeldrik verwundert.
Currann begann hämisch zu grinsen, was Althea nicht entging. Wütend blitzte sie ihn an. „Bei uns lernt man erst mit zehn Jahren in der Heerschule reiten, ich habe gerade erst angefangen“, verteidigte sie sich.
Phelan legte ihr tröstend den Arm um die Schultern. „Du kannst ja hinter mir aufsitzen“, sagte er, aber glücklich war er über die Lösung auch nicht.
Jeldrik entging der Konflikt nicht und fasste einen Entschluss. „Nein, warte“, rief er, „ich habe eine Idee!“
Er nahm die Leine von Jerika und drückte sie Althea in die Hand. „So, jetzt pass mal auf. Bei uns lernen die Kinder reiten, bevor sie laufen können. Wir werden solange üben, bis du es kannst, oder wir reiten alle nicht los. Geht bitte dort rüber, wo wir etwas Platz haben und die anderen Pferde nicht im Wege stehen. Oder hast du etwa Angst?“
„Natürlich nicht!“, erwiderte Althea.
„Dann freunde dich mit Jerika an, ich hole nur schnell eine längere Leine“, rief er und schon war er zwischen den Zelten verschwunden.
„Unglaublich!“, murmelte Currann ungehalten.
„Nein, entweder alle oder keiner“, entgegnete Phelan. „Es ist seine Pflicht als Gastgeber“, wies er seinen großen Bruder zurecht. Currann schnaubte und entfernte sich wütend. Althea streichelte unterdessen Jerika, die hingebungsvoll an ihrer Apfelspenderin herumknabberte.
Dann tauchte Jeldrik mit der versprochenen Leine in der Hand wieder auf. „So, dann wollen wir mal.“ Er nahm Althea die kurze Leine aus der Hand. „Phelan, hilf ihm bitte rauf. Wir fangen mit Schritt an.“ Jerika begann, im Kreis zu gehen. Er wies Althea an: „Setz dich gerade hin, Althan, Rücken durchbiegen, aber locker bleiben, und mach die Beine runter. Nicht so festklammern! Gut so!“
Jeldrik ließ Jerika ein paar Runden im Kreis gehen. „Nun wollen wir es einmal mit Trab probieren.“ Er schnalzte mit der Zunge, und Jerika wechselte in den Trab. Sofort geriet Althea ins Rutschen und landete schließlich im Gras. Geschickt rollte sie sich ab und wollte gleich wieder aufspringen.
„Nein, halt, warte!“ Jeldrik hielt die Stute an und ging zu ihr. Althea ließ den Kopf hängen. Ruhig half er ihr wieder hinauf und blickte mit seinen klaren blauen Augen zu ihr auf. Sie fasste sofort wieder Mut. „Du musst den Rhythmus des Pferdes fühlen. Bleib locker, mach meinetwegen die Augen zu.“ Althea nickte. Currann kam langsam heran und schaute interessiert zu. Der Junge konnte wirklich etwas, war geduldig und einfühlsam, das musste er zugeben. Er selbst hätte wahrscheinlich längst die Geduld verloren.
Jeldrik ließ wieder das Schnalzen hören, und die Stute setzte sich in Bewegung. „Also noch einmal, Rücken gerade, Beine runter und Augen zu!“
Althea tat, wie ihr geheißen. Zuerst war sie etwas unsicher, aber bald spürte sie nur noch die Bewegungen des Pferdes. Jeldrik trieb die Stute vorsichtig in den Trab, und diesmal blieb Althea oben. Jeldrik sagte nichts mehr, sondern überließ sie ganz ihrer Konzentration. Auch Phelan hielt gebannt den Atem an.
Althea war, als würde sie fliegen. Unwillkürlich streckte sie die Arme nach beiden Seiten aus. „Unglaublich!“, murmelte Currann leise. Jeldrik lächelte nur und trieb die Stute vorsichtig in einem leichten Galopp. Althea begann glücklich zu lachen, behielt aber die Augen zu und die Arme ausgestreckt. Sie hielt sich perfekt, das musste sogar Currann zugeben. Jeldrik wechselte noch mehrmals zwischen den Gangarten hin und her, und Althea bewältigte die Übergänge problemlos. Schließlich hielt sie die Stute von selbst an.
„Du warst sehr gut“, lobte Jeldrik. „Im Gelände ist es zwar noch ein wenig anders, aber im Grunde hast du es begriffen.“ Er half Althea herunter. Sie strahlte ihn an. ‚Schau an’, dachte Jeldrik, ‚seine Augen sind ja auf einmal ganz grün!’ Das war wirklich erstaunlich.
Er wandte sich an Currann und Phelan. „Wollen wir uns ein paar Pferde suchen und losreiten? Althan, du reitest am besten auf Jerika, die kennst du ja nun. Ich überlasse sie dir gerne.“ Glücklich schmuste Althea mit der Stute, während die anderen zu den übrigen Pferden gingen und Jeldrik einige Tiere aussuchte. Schnell waren diese aufgezäumt, und sie konnten losreiten.
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