René reagierte ruhig. Zumindest sah es äußerlich so aus. Innerlich tobte auch er vor Wut über das Verhalten von José. Dennoch schaffte er es ein vernünftiges Gespräch mit Cassandra zu führen.
„José will sich von seiner Frau scheiden lassen. Wusstest Du das?“ fragte er sie nun. Sie nickt traurig. „Ich habe versucht es ihm auszureden, aber er will nicht auf mich hören.“ Sie seufzte vor Verzweiflung. René sah ihre ehrlich empfundene Betroffenheit und nahm sie in seine Arme. Sie spürte sein Nähe, Wärme und Zuneigung. Es gab ihr Halt und ein starkes Gefühl der Geborgenheit.
„René“, sagte sie nun mit leicht zitternder Stimme. „Ich will nicht, dass er sich scheiden lässt. Antonia ist eine gute Ehefrau und Mutter. Er muss einfach verheiratet bleiben. Er muss einfach.“ Flehend sah sie ihren Mann nun an. Er nickte und spürte deutlich wie sehr diese Angelegenheit seine Frau bewegte. Er wollte sie trösten, aber alles was ihm einfiel, war die Tatsache, dass sie morgen schon nach Deutschland zurück fliegen würden.
„Er wird sich beruhigen. Da bin ich mir sicher“, sagte René nun mit seiner sanften, aber kräftigen Männerstimme. „Aber Du bleibst jetzt hier bei mir. Wir beide müssen sowieso noch unsere Koffer packen.“ Sie sah ihn traurig an und nickte.
„Wenn wir dann alles für unsere morgige Abreise organisiert haben, gehen wir beide gemeinsam zum Abendessen. Du kannst Dir sicher sein, dass ich Dir nicht mehr von der Seite weiche, bis sich José von uns morgen am Flughafen verabschiedet hat.“ Er drückte seine Frau innig an sich und hoffte so ihr gemeinsames Problem lösen zu können.
Auch Henri hatte den Streit von Cassandra und José mitbekommen. Aber da die beiden auf Spanisch gestritten hatten, war er sich nicht sicher gewesen, worum es ging. Erst nach Rücksprache mit Michael wusste er wieso sich die beiden gestritten hatten. Er schüttelte besorgt den Kopf und war froh, dass er morgen schon mit Cassandra und René und den Kindern nach Hause flog.
Zwar hatte er sehr gern in Mexiko Urlaub gemacht. Doch Josés unbedachtes Verhalten ließ ihn schaudern. Umso mehr freute er sich, als er sah wie liebevoll und ruhig René nun Cassandra umarmte. René stand für Verantwortung und Vernunft. Er neigte ganz und gar nicht zu unüberlegten Handlungen. Eine Eigenschaft, die Henri an ihm sehr schätzte und die auch Cassandra immer wieder zugutekam.
Enrique blieb auch ganz ruhig und erklärte Isabella sachlich, dass sein Vater schon mehrfach den Wunsch geäußert hatte, sich von seiner Mutter scheiden zu lassen. Bisher hatten sich seine Eltern dann immer wieder versöhnt. Doch auch Enrique musste zugeben, dass es dieses Mal sehr ernst aussah.
„Wir fliegen morgen zurück nach Deutschland. Ich hatte auf einen schönen letzten Abend hier in Puebla gehofft. Was wird nun daraus?“, fragte Isabella ihn enttäuscht. Enrique lächelte charmant. Er hatte bis zuletzt gehofft, doch noch mit Isabella schlafen zu können. Doch nun war ihm klar, dass ihm sein Vater sehr wahrscheinlich auch die letzte Möglichkeit dazu genommen hatte. Aber das wollte er natürlich nicht zugeben. Daher sagte er nun immer noch ein bißchen hoffend.
„Ich bin mir sicher, dass meine Tante Maria mit ihrer guten Küche und ihrer versöhnenden Art, eine Möglichkeit finden wird, um die Gemüter wieder abzukühlen.“ Er schaute nun direkt in Isabellas blaue Augen. „Bis dahin können wir beide ja noch etwas Zeit mit einander verbringen.“ Sie sah ihn an und war irritiert, da er plötzlich ganz eigenartig grinste. Dennoch nickte sie nun. Sie wollte jetzt nicht allein sein. Außerdem hatte sie ihren Koffer schon gepackt. Sie hatte also Zeit um die letzten Stunden vor ihrer Abreise mit Enrique zu verbringen.
Die Einschätzung von Enrique war zutreffend. Maria bemühte sich Antonia und José zumindest eine Zeitlang voneinander zu trennen, damit sich beide wieder beruhigen konnten. Michael half ihr dabei, indem er José in ein Gespräch verwickelte, während sie mit Antonia in die Küche ging und mit ihr beriet, was sie heute Abend leckeres kochen konnten. Schon nach kurzer Zeit lachten die beiden Frauen und machten sich vergnügt an die Zubereitung für das Abendessen.
Michael redete mit José über die verschiedensten Dinge und machte ihm nach und nach klar, dass er es gut getroffen hatte mit der Wahl seiner Ehefrau. Sie führte seinen Haushalt und kümmerte sich liebevoll um die gemeinsamen Kinder. Er hatte keinen Grund sich zu beschweren.
Zu Michaels Überraschung stimmte José ihm zu. Ja, er gestand ihm gegenüber sogar ein, dass er eigentlich sehr zufrieden mit seinem Leben war. Dennoch huschte plötzlich erneut ein Schatten der Leidenschaft über sein Gesicht. José grinste versonnen und schwieg. Michael ahnte, dass José an Cassandra dachte und lenkte das Gesprächsthema auf die Planung der morgigen Fahrt zum Flughafen der mexikanischen Hauptstadt.
Eigentlich war die Fahrt dorthin unproblematisch. Doch ausgerechnet morgen sollte in der Nähe des Flughafens ein Streik der gewerkschaftlich organisierten Mitarbeiter eines Teils des Flughafenpersonals stattfinden. Michael hatte herausgefunden, wo die Demonstration sein sollte und wollte nun mit José besprechen wie sie der Veranstaltung ausweichen konnten.
Sie waren so gut wie fertig mit ihrer Planung, als ein leckerer Duft aus Richtung Küche zu ihnen hinüber wehte. Beide Männer grinsten in Vorfreude auf ein leckeres Abendessen und legten die Straßenkarten zur Seite, da Maria nun auch schon mit den ersten Schüsseln zu ihnen an den Tisch kam. „Ihr dürft gern beim Aufdecken helfen“, forderte sie ihren Mann und ihren Bruder auf und verschwand wieder im Haus.
Beide Männer grinsten einander an und folgten ihr. Sie wussten, dass Maria nach so einer Aufforderung grantig wurde, wenn sie ihr dann nicht halfen. Glücklicherweise beteiligten sich auch die Kinder am Tischaufdecken. Daher war in kurzer Zeit alles fertig.
Cassandra und René konnten sich an einen üppig gedeckten Tisch setzten. Doch bevor sie dazu kamen, sich hinzusetzen, bot Michael ihnen ein Getränk an. José stand neben ihm und lächelte Cassandra charmant an. René erhielt ein freundliches Kopfnicken von José, das er ebenso freundlich erwiderte.
Doch beide Männer wussten, dass der eine die Frau geheiratet hatte, die auch der andere begehrte und nie in Ruhe lassen würde. Daher war das Gespräch der beiden eher kühl. Michael versuchte einmal wieder zu vermitteln, doch José hatte durch seinen offen betriebenen Scheidungsversuch neue Gräben aufgeworfen.
Dennoch gelang es Michael zusammen mit Cassandra die beiden Konkurrenten bei Laune zu halten, damit es trotz allem ein schöner, versöhnlicher Abschlußabend werden konnte. Daher setzte sich Cassandra nun neben ihren Mann. Henri half ihr und setzte sich auf ihre andere Seite. José nahm auf einem Stuhl ihr direkt gegenüber Platz, um ihr zumindest immer wieder ins Gesicht schauen zu können.
Seine Frau setzte sich neben ihn und lächelte Cassandra wohl wollend zu. Sie hatte kein Interesse an einem erneuten Streit. Wozu auch? Das Objekt der Begierde ihres Mannes würde morgen bereits wieder nach Deutschland zurückfliegen. Die wenigen Stunden bis dahin würde sie noch irgendwie durchstehen.
Das leckere und reichhaltige Essen sowie für die Erwachsenen ein paar Gläser Wein sorgten für eine entspannte Stimmung. Cassandra trank etwas mehr als sie sollte. Doch das tat sie mit voller Absicht. Sie wusste, dass René dafür sorgen würde, dass sie gut ins Bett kam. Außerdem wollte sie heute Nacht an nichts mehr denken und nur noch schlafen, damit sie ausgeruht war für den langen Rückflug nach Deutschland.
Als Cassandra aufwachte, war das Bett neben ihr leer. Verwundert sah sie sich im Zimmer um. Ihre Koffer standen nicht mehr neben dem Bett. Nur noch ihr Handgepäck und die Kleidung für den Rückflug lagen auf dem Stuhl neben ihr.
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