Der Begriff »Telearbeit«, von dem in diesem Buch regelmäßig die Rede ist, klingt bereits etwas angestaubt. Immer wieder wird auch behauptet, das Konzept habe seine beste Zeit bereits hinter sich und sei im Grunde gescheitert. Das liegt vor allem an der begrifflichen Verengung dieser Definition auf »Menschen, die zumindest teilweise am Computer zu Hause arbeiten, statt ins Büro zu gehen«. Die Wirklichkeit ist komplexer und aufregender. Der an der Universität Tokio lehrende Architekt Martin van der Linden hat sie auf den schönen Nenner »Post-Telework-Condition« gebracht, zu deutsch: der Zustand nach der Telearbeit. Gemeint ist eine Berufswelt, in der die Technologie es möglich macht, zu jeder Zeit und an jedem Ort zu arbeiten und in der die Menschen dies darum beim Kunden tun, in Flugzeugen, Zügen, zu Hause oder auch im Büro. Van der Linden: »Die Wahrnehmung und das Konzept des Büros durchleben einen dramatischen Wandel. Die klare Trennung zwischen Telearbeit und Büroarbeit verwischt immer mehr, während wir das Entstehen der Post-Telework-Condition beobachten.«
Die Trendforscher der britischen Future Foundation bestätigen dies in ihrer Prognose fürs Jahr 2020: Die reguläre Telearbeit werde bis zu diesem Zeitpunkt durchaus zunehmen, wenn auch nicht so stark wie das in der Vergangenheit teilweise vorausgesagt wurde. Der Grund: »Wir stellen fest, dass die eigentlich zugrunde liegende Idee von „Telearbeit“ zunehmend veraltet ist, beruht sie doch auf einem Konzept aus der Industriegesellschaft, dass nämlich Arbeit und Zuhause zwei unterschiedliche Orte sind.« Die Foundation schlägt für die vielen unterschiedlichen und neuen Arbeitsformen, die künftig massiv zunehmen werden, den Begriff »FreE-Working« vor. Er bezeichnet die große Anzahl von Arbeitnehmern, »die Technologie nutzen, um an einer Vielzahl von Orten außerhalb ihres eigentlichen Arbeitsplatzes zu arbeiten - wenn sie denn überhaupt noch einen solchen haben.«
Auch Hermann Hartenthaler, der in den »T-Labs« für die Telekom Innovationen wie das Büro der Zukunft erfindet, beobachtet den globalen Trend, in flexiblen Strukturen zusammenzuarbeiten, an verschiedenen Orten auf der Welt, zu verschiedenen Zeiten: »Wenn man mit Kollegen in den USA oder Asien kollaboriert, muss man oft frühmorgens oder spätabends arbeiten. Das macht man natürlich gern von zu Hause aus.« Die Grenze zwischen Privat- und Arbeitsbereich, zwischen Arbeiten im Büro, zu Hause oder unterwegs löse sich zunehmend auf: »Wir haben zum Beispiel eine kleine Box entwickelt, wenn man die zu Hause an den Laptop anschließt, hat man nicht nur Zugang ins Firmennetz, sondern sogar dieselbe Telefonnummer wie im Büro.« Dies sei nicht die starre Telearbeit der achtziger und neunziger Jahre mit großer Infrastruktur zu Hause, sondern flexibel und klein: »Ich habe meinen Laptop und da ist alles drauf.«
Uwe Schimanski, der bei IBM in den neunziger Jahren das so genannte »e-place«-Modell eingeführt hat (davon später mehr) und damit einer der Pioniere von zeit- und raumunabhängigen Arbeitsweisen ist, findet den Begriff »Telearbeit« ebenfalls veraltet und nennt den heutigen Zustand des Immer-und-überall-aktiv-Seins schlicht »Mobiles Arbeiten«.
Ob »Post-Telework-Condition«, »FreE-Working«, oder »Mobiles Arbeiten« - ich werde diese verschiedenen Ausprägungen der Einfachheit halber, und um Begriffsverwirrung zu vermeiden, weitgehend synonym verwenden, gelegentlich einfach von »Telearbeit« sprechen, oder eben allgemeiner von der »Easy Economy«. Gemeint ist dabei nicht nur die klassische Vorstellung des Angestellten, der auch zu Hause an den Rechner gehen darf, sondern gemeint sind alle Schattierungen und Ausprägungen neuer flexibler Arbeitsformen, die technischer Fortschritt und sozialer Wandel inzwischen möglich machen.
Warum ich dieses Buch schreibe
Vor dem Frühstück - es gab Rührei und frische Mangos - bin ich heute am Strand Laufen gewesen. Die Sonne war gerade aufgegangen und spiegelte sich glitzernd im Meer bei Pranburi in Thailand. Meinen doppelten Espresso habe ich mit vor die Hütte genommen, jetzt logge ich mich ins schnelle W-Lan-Netz des Resorts ein, und beantworte zuerst ein paar dringende Mails. Ich sitze - entschuldigen Sie das Klischee, aber so sieht es hier wirklich aus - unter einer Palme, schaue aufs Wasser. Der Wind kühlt angenehm, nachher werde ich schnorcheln gehen. Die Schlagzeilen in Deutschland: Koalitionskrach und Blitzeis. Ich schließe die Website von Google-News schnell wieder und dann - arbeite ich.
Die Generation unserer Eltern - vor allem die Väter - hat fast ihr ganzes Leben in Büros verbracht. Viele Menschen meiner Altersgruppe haben sich versprochen, es besser zu machen, flexibel zu bleiben, sich nicht vom Arbeitstrott dominieren zu lassen, lieber ungewöhnlich zu leben. Aber irgendwann mit Mitte Dreißig sind sie dann eines Morgens aufgewacht und haben gemerkt: Gar nichts machst du besser. Gehst jeden Tag ins Büro, sitzt da vor dem Computer, gehst wieder nach Hause. Mir ging es ähnlich. Zum Glück bin ich Journalist und also tat ich, was Journalisten in einer solchen Situation tun: Sie recherchieren. Muss das Leben so sein, funktioniert Arbeit eben so? Kann eine Gesellschaft nur durch Stechuhren zusammengehalten werden? Oder geht es auch ganz anders? Wenn ja, wie und wo? Heraus kam dieses Buch.
Ich habe meine These beim Schreiben gleich getestet: Kann ich heutzutage arbeiten, wann und wo ich will? Ein Teil dieses Buches entstand darum unterwegs auf der ganzen Welt. Ich habe auf der Terrasse einer Finca auf Ibiza geschrieben. In einer tief verschneiten, einsamen Holzhütte in Norwegen nach einem Tag Langlauftraining. Am Pool eines Designhotels in Bangkok, bevor es mit dem Wassertaxi ins Restaurant ging. Im Hof eines Damaszener Hauses in Damaskus, neben dem Laptop eine Tasse mit Kardamom-Kaffee. Und eben an diesem einsamen Strand in der Nähe des königlichthailändischen Badeortes Hua Hin.
Naja, sagen Sie: Für einen freiberuflichen Journalisten und Buchautor ist das wohl ein bisschen einfacher als für einen festangestellten Büromenschen. Stimmt natürlich - und auch wieder nicht. Denn wenn Sie die Botschaft dieses Buches beherzigen, können Sie bald ganz ähnlich arbeiten. Sie müssen sich diese Freiheiten nur nehmen - geschenkt wird Ihnen vermutlich nichts. Sie müssen dabei Schritt für Schritt vorgehen und strategisch klug.
Executive Summary: Das erwartet Sie
Wenn ich bei der Recherche für dieses Buch Menschen erzählt habe, dass ich herausfinden möchte, wie man sich aus dem Bürotrott befreit - aus der Tretmühle des morgens aufstehen ... duschen ... den immer gleichen Weg zur Arbeit gehen ... an den immer gleichen Schreibtisch ... den Tag mit seinen immer gleichen Konferenzen und Büroritualen . abends wieder nach Hause . essen .. Sofa . fernsehen ... schlafen ... und am nächsten Tag von vorn ... das richtige Leben passiert derweil irgendwo da draußen - als ich das also Menschen erzählte, hat eigentlich jeder wissend genickt. Und dann gleich rationalisiert: Klar, kenn' ich. Aber was soll man machen? Bei uns ist gerade so viel zu tun. Der Chef fordert immer mehr. Den Kollegen geht es auch nicht besser. In drei Monaten ist Urlaub ... eine Leier der Sachzwänge, die fast immer gleich klang.
Vielleicht muss man also gar nicht erklären, was an Büroarbeit nervt. Ich will es trotzdem kurz tun, denn jenseits der diffusen täglichen Unzufriedenheit gibt es jede Menge spannender Fakten zu diesem Thema, die Sie wahrscheinlich noch nicht kennen. Ich werde also im ersten Drittel des Buches zeigen, was alles falsch läuft in unserem Arbeitsalltag. Das wird nicht schön, manchmal sogar regelrecht deprimierend. Halten Sie durch. Die Belohnung folgt. Denn das zweite Drittel wird zeigen, wie es besser geht. Es werden Unternehmen präsentiert, die ihren Mitarbeitern extrem große Freiheit einräumen. Es sind sehr erfolgreiche Unternehmen, die verstanden haben, wie Arbeit in Zukunft funktioniert. Neben einer kurzen Kulturgeschichte der Kreativität und verblüffenden Erkenntnissen zum Zusammenhang von Arbeitszeit und Effektivität kommen Ökonomen und Zeitmanagement-Forscher ebenso zu Wort wie mutige Unternehmer, die Flexibilität fördern - und vom Ergebnis begeistert sind. Wissenschaftler berichten von Einfällen, die den Menschen beim Abwasch kommen, Personalchefs vom Produktivitätszuwachs durch Heim- und Halbtagsarbeit, Psychologen vom Zusammenhang zwischen Muße und Kreativität, Sozialwissenschaftler von Zukunftskonzepten, um unseren überreglementierten Arbeitswahn zu beenden. Nicht zuletzt erzählen immer wieder Angestellte von ihren Erfahrungen mit den neuen Arbeitsmodellen.
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