Die Technik war im Jahr 2000 einfach noch nicht so weit. Heute ist sie es. Mobile, leistungsstarke Endgeräte, weit verbreitete schnelle Internetverbindungen sowie Web-basierte Workflow-Software, weltweite Dokumentenstandards und komplett digitalisierte Arbeitsabläufe emanzipieren den Arbeitnehmer immer mehr von Zeit und Raum. »Du bist die Festplatte, wir sind dein Backup«, brachte es 2007 die Werbung des Herstellers Lacie für externe Speichermedien auf den Punkt. Wir haben erstmals wirklich alle notwendigen Informationen und Werkzeuge in unserem Laptop, unserem Smartphone und unserem Kopf, um von überall aus arbeiten und trotzdem Verbindung zur Firma halten zu können. Wo die technischen Möglichkeiten konsequent angewendet werden, ändert sich eben doch die Art, wie wir arbeiten und leben.
Die Kosten für die Mobilisierung und Emanzipation des Arbeitnehmers vom Büro sinken gen Null: »Eine Internet-Standleitung kostete in den Neunzigern noch vierstellige Summen pro Monat - eine gleich schnelle DSL-Leitung heute fast nichts mehr. Auf diese belastbare und günstige Web-Anbindung von Mitarbeitern habe ich zehn Jahre lang gewartet«, sagt der Geschäftsführer einer Berliner Agentur im Interview in Kapitel 8. Chris Anderson, Chefredakteur der Zeitschrift Wired und Autor des Bestsellers The Long Tail hat als nächsten Trend »Free«, also »Umsonst« ausgemacht: Der Preis von technischer Infrastruktur wie Bandbreite, Transistoren auf Chips und Speicher sinkt - in Relation zu ihrer Nützlichkeit - permanent so stark, dass er heute als nahezu Null betrachtet werden kann.
Unsere Berufswelt hat sich verändert: Nichtlineare Jobbiografien sind heute für viele Menschen normal. Was der Soziologe Richard Sennett 1998 noch als Problem des entwurzelten »flexiblen Menschen« kritisierte, ist heute häufig Alltag: Wir haben nicht mehr einen Job bis ans Ende unseres Lebens, wir brauchen nicht mehr nur den Beruf, um unserem Leben eine Struktur zu geben, und das ist auch gut so. Die Globalisierung ist in unserem Berufsleben zunehmend kein abstrakter Begriff mehr, sondern pragmatischer Alltag: Internationale Teams, Outsourcing sowie Kunden und Geschäftspartner aus aller Welt sorgen dafür, dass wir nachts E-Mails aus Indien bekommen oder abends Anrufe aus den USA. Mit einem klassischen 9-to-5-Arbeitstag ist das kaum zu vereinbaren.
Der zunehmende weltweite Wettbewerb motiviert Unternehmen, permamente Effizienzoptimierung zu betreiben: Wer seine Mitarbeiter per Notebook und Datenverbindung in die Freiheit entlässt, steigert Produktivität, Zufriedenheit und Flexibilität. Gleichzeitig spart er an Immobilien und Infrastruktur. Beides zusammen macht Firmen fit im Kampf gegen internationale Wettbewerber.
Die Gefahren durch Terroranschläge und Naturkatastrophen motivieren vor allem in den USA viele Unternehmen, die Krisenresistenz ihrer Produktionsprozesse zu überdenken. Zentralisierte Infrastrukturen sind anfälliger als vernetzte. Alle Arbeitsplätze und Informationen in einem Bürogebäude zu versammeln, bedeutet, dass die Produktion stillsteht, wenn hier etwas schief geht. Mitarbeiter an verschiedenen Orten arbeiten zu lassen und diese digital zu vernetzen, heißt, dass die Arbeit auch im Katastrophenfall weitergehen kann. Das mag hierzulande überängstlich wirken, wird in Amerika aber heiß diskutiert.
Die gesellschaftlichen Parameter sind verschoben: Dass Frauen heute berufstätig sind, ist weitgehend Normalität. Männer wiederum fordern mehr Teilhabe am Familienleben, wollen auch Zeit mit ihren Kindern verbringen. Deshalb ist für die meisten Paare die zentrale gemeinsame Herausforderung geworden, Familie und Job zu vereinbaren. Unser Bedürfnis nach einem Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben, der viel beschworenen Work-Life-Balance, ist insgesamt gestiegen: Wir definieren uns nicht mehr ausschließlich über beruflichen Status, sondern wollen ein in vielerlei Hinsicht erfülltes Leben haben. Der demografische Wandel und die damit beschriebene Alterung der Bevölkerung in der westlichen Welt wird zu einem zunehmend dramatischen Nachwuchskräftemangel führen. Wer künftig die besten Köpfe für sein Unternehmen gewinnen will, muss ihnen Freiheit und Flexibilität anbieten. Außerdem werden wir alle später in Rente gehen - deshalb müssen Arbeitsplätze künftig stärker altersverträglich gestaltet sein.
All diese Faktoren lassen sich nicht mehr mit der altmodischen, aber verbreiteten Lebensweise vereinbaren, den ganzen Tag in ein Büro eingesperrt zu sein. Die Lösung des Schreibtischdilemmas liegt in einer flexiblen und mobilen Arbeitsauffassung. Wer kennt nicht das wunderbare Gefühl, morgens mal später zur Arbeit zu müssen, mehr Zeit für Kinder, Frühstück und Zeitungslektüre zu haben, vielleicht noch kurz in Ruhe seine E-Mails zu checken oder draußen in der Sonne einen Kaffee zu trinken. Nicht selten geht man dann mit mehr Lust ins Büro, hat vielleicht vorher schon eine gute Idee entwickelt für eines der Projekte, an denen man gerade sitzt. Oder nachmittags: Man geht zwei Stunden früher nach Hause und entdeckt geradezu ein Paralleluniversum, sieht die Welt mit den Augen der anderen, die nicht den ganzen Tag im Büro hocken müssen. Zugegeben: Ärzte, Lehrer oder Schichtarbeiter haben diese Option nicht. Wer alles zur beschriebenen Zielgruppe der Wissensarbeiter oder der kreativen Klasse gehört, wird später im Buch noch detailliert diskutiert.
Wirklich effektiv ist nur, wer sich dem zähen Trott der 9-to-5-Routine komplett entzieht. Das wird nicht einfach, denn wir alle haben gelernt, wie Arbeit auszusehen hat - nämlich den ganzen Tag am Schreibtisch sitzend. Was künftig aufhören muss: Der Spott der Kollegen, wenn man morgens später kommt, dafür aber abends länger bleibt. Die schiefen Blicke des Chefs, wenn man aus dem Büro verschwindet, um einzukaufen. Das Schuldgefühl, an einem Meeting nur telefonisch teilzunehmen oder früher Feierabend zu machen, um sein Kind abzuholen. Die totale Unmöglichkeit, im Büro zu sagen: »Ich muss den Kopf freibekommen und gehe heute Nachmittag ins Museum.« Oder: »Ich arbeite morgen zu Hause.« Oder gar: »Die nächsten zwei Wochen erreicht ihr mich auf der Finca.« Erst wenn wir solche Sätze ganz lässig aussprechen, werden wir alle zu »Freiangestellen«.
Fortschrittliche Firmen räumen ihren Mitarbeitern schon heute maximale Freiheit ein. Die Idee: Manager müssen weg von der Logik der Anwesenheitspflicht. Arbeitnehmer dafür das Konzept des Feierabends aufgeben, der Trennung zwischen Job und Freizeit. Wir brauchen nicht mehr dumpf Zeit am Schreibtisch abzusitzen, sondern können Arbeit erledigen, wann und wo sie anfällt. Dafür - das ist der Preis - müssen wir hochflexibel und fast immer erreichbar sein. Doch erstmals haben wir nun einen Anreiz, den Arbeitstag aus Eigeninteresse effizienter zu gestalten: Wer heute sowieso acht oder neun Stunden im Büro bleiben muss, weil Kollegen und Chef auch noch da sind, hat keinen Grund, seine Arbeit schneller zu erledigen. Wer sich aber künftig den Tag beliebig einteilen kann, der wird sehr wohl versuchen, seine Aufgaben schnell abzuarbeiten, um dann frei zu haben. Zum Glück haben wir alle noch erhebliche nicht genutzte Produktivitäts- und Effizienzreserven. Dazu später mehr. In den USA erlösen große Konzerne wie Google oder Best Buy ihre Mitarbeiter von Schreibtischzwang und Stechuhr. Auch in Deutschland sind es innovative Branchenführer wie SAP, BMW, IBM oder die Deutsche Bank, die begriffen haben, dass Arbeit nicht gleich Anwesenheit ist, dass Spaß und Flexibilität zu mehr Kreativität führen. Nennen wir diese Art der neuen Arbeitsorganisation und der daraus resultierenden Gewinne für Arbeitgeber und Arbeitnehmer »Easy Economy«.
Dieses Buch will den Weg aufzeigen zu einer effizienteren und besser gelaunten Art, Leben und Arbeit miteinander zu verbinden. Obwohl die gegenwärtige Situation in all ihrer Tristesse angeprangert werden muss, ist meine Grundhaltung konstruktiv und optimistisch. Alle Voraussetzungen, durch moderne Arbeitstechniken eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu erreichen, sind da. Wir müssen sie nur nutzen.
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