Für unser Nachtlager müssen wir wieder einige Meilen zurückfahren auf dem Natchez Trace Parkway zum State Park; es ist eine historische Straße, an dessen Rand auf allerlei Geschichtliches hingewiesen wird – so tief wollen wir aber in die amerikanische Geschichte nicht eintauchen und rauschen an den Taferln vorbei.
Bei Baton Rouge überqueren wir den Mississippi. Baton Rouge ist eine Industriestadt, die von der Ölindustrie dominiert wird. Die kommt uns auf der Staatsstraße (LA) 1 massiv. Wir fahren diese Straße, weil an ihr schöne alte Herrensitze aus der Sklavenzeit liegen. Heute wirken sie wie aus der Zeit gefallen. Die Plantagen in der fruchtbaren Schwemmebene gibt es nicht mehr, nur noch eine weite kahle Ebene neben dem Deich, die an Friesland erinnern könnte, wäre da nicht die feuchte Hitze. In dieser Ebene wechselt sich Landwirtschaft mit Raffinerien, chemischen Fabriken und riesigen Feldern mit Öl-und Treibstofftanks ab. In Nottoway Plantation, ganz in weiß, das "Weiße Schloß von Lousiana" könnte man edel absteigen und speisen, Oak Alley Plantation zeichnet sich, wi der Name schon sagt, durch eine beeindruckende Alle uralter Eichen aus, an dessen Ende das klassizistische Herrenhaus hindurchlugt. Die Sklavenhalter wussten zu leben und hatten Geschmack. Zu jener Zeit hatte Louisiana die größte Millionärsdichte der USA. Als es mit der Beendigung der Sklaverei auch mit den Extraprofiten vorbei war, haben die sicher anderswo investiert und so könnte in dem riesigen Ölkapital, das heute den Landstrich beherrscht, auch noch Geld von damals stecken.
Auf der Autobahn brausen wir dann nach New Orleans, was nicht berichtenswert wäre, wenn diese über solides Land geführt würde. Auf Betonstelzen ist sie über Meilen durch den Mangrovensumpf genagelt: eine riesige Betonbrücke, die auch noch über weite Teile des Lake Pontchartrain nördlich von New Orleans führt. Wo ein amerikanischer Wille ist, da ist dann auch ein Weg.
Der erste Schwall Kühlflüssigkeit hatte seit Charleston 1100 km gehalten, der zweite nur 600, so dass nicht auszuschließen ist, dass sich das Leck zwischenzeitlich vergrößerte. Also ist jetzt die Zeit gekommen. Mercedes in New Orleans repariert keine Sprinter, nur Mercedes in Baton Rouge; da müssen wir wohl in einer Stadt, die wir uns sonst nie ausgesucht hätten, verweilen. Es wäre zu schön gewesen, die Reparaturzeit des Wagens mit Jazzsessions zu verbringen. Was willste machen, kannste nix machen. Den KOA-Camping in New Orleans zu finden gestaltet sich nicht so einfach, wenn man keinen Navi hat. Da wir uns vorzüglich in freier Natur bewegen wollten, erachtete Manfred das Gerät für überflüssig. Naja, kommt ja noch.
Mit Bus und Streetcar (Trambahn) geht es in die Innenstadt. Letztere ist ein Bummelbähnle, ersterer gibt einen Eindruck von den riesigen Entfernungen in amerikanischen Großstädten. Die Trambahn führt durch die Charles Ave., in der eine schöne Südstatenvilla neben der anderen steht: von klassizistischen Säulenveranden bis zu kleineren victorianischen Häusern. Ein edles Villenviertel, da kann Schwachhausen nicht mithalten. Im French Quarter dann sind die Balkone und Veranden meist aus feinziselierten schmiedeeisernen Säulen und Brüstungen, über denen große Blumen-und Farnampeln hängen und Üppigkeit in die Stadt bringen. Dazwischen Boutiquen mit Faschingszubehör, d.h. italienischen Masken, Perlenschnüren und mit T-Shirts mit originellen Aufschriften: "I'm retired, but I work part-time as a pain in the ass." oder "Jesus loves you! The rest of us think you're an asshole.", "I've got the body of a god. Unfortunately it's Buddah." Und immer wieder Musik: Bands, Duos, Trios, die an Straßenecken aufspielen: "The more you pay, the better we play." Alles sehr virtuos und für unsere ungeübten europäischen Ohren alles andere als amateurhaft klingend. New Orleans (sprich: Nawlins) swingt.
Wir essen dann auch die regionale Küche und sind nicht begeistert; Jambalaya, ein Reisgericht mit Würstchen, Seafood Gumbo (Pampe aus Meeresfrüchten und Bohnen) – alles hatte einen etwas ordinären Touch, war sehr sehr nahrreich und entstammt wohl aus der Küche für die Sklaven, die für die schwere Arbeit ordentlich genudelt werden mussten. Aber die rohen Austern im French Market waren prima. Auf dem Rückweg über die Bourbon Street zeigt New Orleans seine verruchte Seite. Die Striplokale öffnen (no cover!), Schlepper sprechen Passanten an, auch grauhaarige Rentnerpaare, leicht bekleidete Mädchen stehen zum selben Zweck vor der Tür, Nutten hängen ihre Brüste (mit cover) aus dem Fenster. Die Jazzlokale öffnen.
Die Musik gestern hat Appetit auf mehr gemacht. Da heute der erste Tag des French Quarter Festivals (The largest free music festival in the South) ist, fahren wir noch einmal rein, stellen unser Auto mit nicht ganz ungemischten Gefühlen am Beginn der Trambahn ab, und machen uns auf zum Riverfront Park. Es wird gegeben auf verschiedenen Bühnen: Cajun, Zydeco, Dixieland (Brassband), Free Jazz und die Pfister Sisters, die etwas unförmig wie Hausfrauen auf der Bühne stehen, aber eine unglaublich fetzige musikalische Performance hinlegen. Daneben auch wieder nicht zum offiziellen Programm gehörende Gruppen, die für einen Tip spielen und zu deren Musik ein junger Schwarzer und eine noch jüngere weiße Touristin akrobatisch tanzen.
Eigentlich viel zu früh verlassen wir das Festival, denn wir wollen noch raus aus Nawlins ans südliche Ende des Mississippideltas, an den Golf von Mexico, zum Grand Isle State Park. Die viele Fahrerei, das volle Besichtigungsprogramm ohne Pause hat ein gewichtiges Erholungsbedürfnis erzeugt. Wir fahren elend lang Kanälen entlang, in denen Hausboote, Schlepper, Schubschiffe (für die Ölindustrie) und mehr oder weniger rostende Fischkutter liegen. Anwälte bewerben die Opfer von Deep Water Horizon und andere Ölplattformarbeiter: "Offshore injuries? Spill claim denied? Offer too low?" Dann führt die Straße wieder über Betonstelzen und unendlich lange Brücken durch halb überflutetes Marschland, in dem die Öllochverschlüsse aus dem Wasser ragen. Draußen im Golf sieht man schon die Plattformen und auf einer Insel im Süden Raffinerien und Werften. Dann biegt die Straße nach Osten ab zur Grand Isle. Die Häuser des gleichnamigen Orts sind alle auf Stelzen gebaut, denn hier gehen die Hurricanes zuerst an Land. Am Ende des Orts, mit Ölindustrie im Hintergrund, aber vom Campground aus nicht sichtbar, liegt dann die Rentneroase der RVs am Golf. Waren "nur" 180 km hierher von New Orleans. Von Baltimore: 3000 km.
Schlafen, Yoga, Lesen, Strandspaziergang. Das Meer des Stateparks reizt nicht zum Schwimmen, braun-schmuddelige Wellenkämme über bleifarbenem Wasser. Es weht ein ordentlicher Wind und man fragt sich, wie die Beachcamper in ihren flatternden Zelten nachts überhaupt ein Auge zukriegen. Tagsüber großer Andrang von Tagesgästen, die ein halbes Dutzend Angeln und dicke Kühlkisten mit Bier und Cola an den Strand wuchten. Auf einer Baseballkappe das Motto: "Life is easy: eat, drink, fish."
Nach Gonzales, südlich von Baton Rouge, um morgen früh bei Mercedes aufschlagen zu können. Es ist drückend heiß und schwül, vom Meer treiben Wolken ins Land, die aber nicht abregnen und so etwas Kühle brächten. Den Camping, den wir gegoogelt haben, gibt es nicht mehr, an seiner Stelle ein privater Trailer-Park, wo arme Leute wohnen. Etwas weiter weg davon führt ein Weg vom Airline Hwy zu einem kommerziellen Gebäude, das weit genug von der Straße entfernt und heute unbemenscht ist. Hier stehen wir die Nacht über sehr gut. Die (erst) zweite Nacht in den USA' im Freien'. Um wieviel einfacher ist das doch in Europa! Nur der ewig lange Güterzug, der sich wie schon am Camping von New Orleans nachts mit lautem langgezogenen Trompeten dahinwälzt, weckt uns zwischendurch auf.
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