Danach herrscht Stille. Man meint, der Wald und all seine Bewohner, der Wind, die Sonne, der Bach, alles hielte den Atem an. Eringus hebt schnell seinen Kopf und blickt mit staunenden Augen auf Magda herab. Dann gluckst es in ihm. Und es gluckst immer doller, bis es schließlich aus ihm heraus bricht. Eringus lacht. Er lacht so schallend, dass die Bäume sich schütteln und ein einsamer Wanderer in der Ferne erstaunt in den blauen Himmel blickt und sich wunderte, wo da wohl ein Gewitter versteckt sei. „Du hast recht, Jade, sie ist ein Recke.“
* * * * *
Es hat zwar noch einige Zeit gedauert, doch ganz langsam hat sich Magda daran gewöhnt, diesen Koloss neben sich als verständiges und, für sie, ungefährliches Wesen zu sehen. Nachdem sich Eringus von seinem Lachanfall erholt hat, macht er aber sofort eines klar: „Ich bin kein Tier!“ Seine weitschweifigen Ausführungen und Abgrenzungen zu Tieren bezüglich Instinkt, Verstand, Intelligenz, Sprache und so weiter hat Magda mit unverständigem Blick über sich ergehen lassen. Mit dem Resümee: Drachen sind keine Tiere kann sie etwas anfangen. Eringus, der sich dabei so richtig in Fahrt geredet hat, merkt erst am Ende, dass seine Feststellungen und Darlegungen bei Magda völlig ins Leere gehen. Sie kann ihn nicht verstehen.
„Du bist wirklich nicht Wodanaz, unser großer Kriegsgott?“ Magda ist anfangs der festen Meinung, Eringus sei die Fleisch gewordene Erscheinung des nordischen Gottes.
„Nein, bin ich nicht. Es gibt keine Götter.“
„Das glaub ich dir nicht. Meine Großmutter hat es von ihrer Großmutter und die von; ach keine Ahnung. Sie hat mich gelehrt, welcher Gott wofür gut ist. Es gibt dich und Punraz und Teiwaz und Frijo und Fullo, die hat mich bedacht, obwohl ich noch gar nicht um ein Kind gebeten habe, und …“
Hier unterbricht sie Eringus mit dem gelangweilten Einwand: „Nochmal: Ich bin kein Gott und es gibt überhaupt keine Götter.“
„Einen Gott muss es aber geben. Davon hat der Mönch, mit dem ich gekommen bin, gesprochen. Der hat auch einen und er hat sehr überzeugt gewirkt.“, beharrt Magda.
„Glaub, was du willst.“, erwiderte Eringus missmutig und übersieht Jades Grinsen. „Die Diskussion will ich hier und jetzt nicht weiter führen.“
„Kannst du mir dann nochmal erklären, wofür du mich brauchst, Eringus?“ Auch das hat er Magda schon erklärt. Doch die einfache junge Frau ohne jegliche Bildung als die, die ihre ebenso unwissende Großmutter ihr geben konnte, ist nicht in der Lage, seinen umfänglichen Erklärungen zu folgen.
„Muss ich ja wohl, sonst kannst du mir nicht helfen, wenn du nicht verstehst, worum es geht. Also: Ich habe kleine Freunde, die Halben, die sind sehr um die Pflanzen und Bäume bedacht. Ja? Und die leiden immer, wenn die Menschen für Ihre Felder die Wälder und Wiesen niederbrennen. Ja? Und wenn die Menschen dann weiter ziehen, bleiben die Äcker ungeschützt durch Bäume liegen und verwüsten. Das sieht hässlich aus und sie sind dann traurig und haben viel Arbeit, denn sie müssen dann dafür sorgen, dass dort wieder Bäume und Sträucher und Gräser wachsen. Du verstehst; Ja?“ So einfach wie möglich versuchte Eringus das Problem der Halblinge klar zu machen. Sicher wäre es aber besser gewesen, nach jedem Ja nicht einfach zügig weiter zu reden, sondern erst einmal zu prüfen, dass das Gesagte angekommen ist.
Also kommen jetzt von Magda weitere Nachfragen. „Die Halben sind die kleinen Menschen, die ich im Wald als kleine Teufel angesehen habe und vor denen ich fortgelaufen bin. Richtig?“, fragte Magda nach.
„Ja.“ Eringus hat seine Mühe, geduldig zu bleiben.
„Aha! Und warum machen die das?“
„Was?“
„Ja, Bäume und Sträucher pflanzen, und so!“
„Würden Sie das nicht machen, bräuchte die Natur viele Jahre, bis da wieder etwas wachsen würde. In der Zwischenzeit hätten Wind und Regen die gute Erde weggewaschen und –geweht. Dann wäre da nur noch Felsen, auf dem nichts mehr wachsen kann.“
„Aha! Und die lieben die Pflanzen, sagst du.“
„Ja, sehr. Und das ist gut so.“
„Warum?“
„Die Pflanzen sind die wehrlosesten Geschöpfe der Erde. Jedes bewegliche Lebewesen kann ihnen Leid zufügen, ohne selbst Schaden zu nehmen. Das bisschen Dornen der Rosen oder das Gift der Maiglöckchen ist kein Schutz vor zertrampeln. Bei Hochwasser können die Blumen nicht flüchten. Jämmerlich vergehen sie, ohne je geblüht zu haben. Feuer kann keine Pflanze entgehen, oder hast du schon mal einen Busch gesehen, der vor dem Feuer weg hüpft? Zwar können die Halben nicht alle Schäden verhindern, aber sie sind äußerst fleißig dabei, diese zu beheben. Zum Wohle auch der Menschen. Und außerdem: Ohne Pflanzen wäre es auf der Erde nicht so schön.“
„Aha.“ Schweigen.
Irgendwie geht es in dem Gespräch nicht weiter. Das merkt Eringus ganz deutlich. Hilfesuchend blickt er zu Jade, die mit immer breiterem Grinsen zu hörte. Jetzt zuckt sie nur mit den Schultern. Sie könnte vielleicht helfen, wenn Magda schliefe. Als Traumfee kann sie dann die meiste Macht ausüben.
„Komm mal mit, Magda. Ich will dir etwas zeigen. Vielleicht hilft das.“ Eringus führt Magda auf eine Lichtung am Hang. Unter dem leicht wolkigen blauen Himmel bildet ein ganzes Heer von Bäumen einen dichten geschlossenen Wald. Nur an den Lücken zwischen den Baumwipfeln ist der Verlauf der Chynzych zu erkennen. Sonst sieht man nur einen fast lückenlosen Urwald, in dem ein Eichhörnchen vom Meer, weit im Westen, bis zu den entferntesten Bergen im Osten hüpfen könnte, ohne je einen kleinen Fuß auf den Boden setzen zu müssen. Auf dem gegenüber liegenden Hang leuchtet im Licht der Sonne eine Lichtung mit satter grüner Weide. Eringus weißt mit einer Kopfbewegung zu seiner Linken. „Was siehst du da?“
„Ich sehe ganz viel Wald und es scheint ein Bach dazwischen zu fließen.“
„Richtig erkannt.“, lobt Eringus. „Findest du das schön?“
„Ja, natürlich!“ Magda erinnert sich an die Stille im Wald, ohne das Gezeter von Tante und Onkel und das Geplärre der kleinen Kinder. Dort hat sie sich immer am Wohlsten gefühlt. Das Zwitschern der Vögel in den Ästen und …
Eringus unterbricht ihren Gedankengang, den er ja lesen kann. „Nun sieh mal dort hin.“ Eringus schaut auf die rechte Seite und Magda folgt seinem Blick. Das hässliche Bild einer Wüstung zerreißt den lieblichen Anblick. Mühsam erkämpft sich die Natur das Land zurück, um die Narbe zu schließen.
„Dort haben einmal Menschen gelebt und ihren Acker bestellt. Aber jetzt gibt die Erde kaum noch Frucht. Sie ist ausgelaugt und die Bauern sind weiter gezogen.“ Magda sieht, was für sie normal ist. Einige Bäume zeigen immer noch Wunden der Brandrodung. Der ausgebeutete Boden trägt nur noch Disteln und Brennnesseln und Brombeerbüsche ragen darüber hinaus.
„Du willst mir jetzt aber nicht sagen, dass du das schön findest?“ Eringus will ihr irgendwie klar machen, worauf er hinaus will.
„Nein, schön ist das nicht. Aber wir Menschen müssen doch auch irgendwie leben. Im Wald kann man keine Felder anlegen. Und wenn dann nichts mehr wächst, müssen wir uns woanders einen neuen Platz suchen. Dort bauen wir wieder unsere Hütten und machen neue Felder.“
Jetzt hat Eringus Magda an einem Punkt, wo er wieder versuchen kann, ihr verständlich zu machen, worum es ihm geht. „Das ist aber nicht nötig, Magda. Ich kann den Menschen zeigen, wie sie nicht mehr weiter ziehen müssen. Wenn man es richtig macht, dann kann man an einem Ort bleiben und trotzdem gute Ernten haben. Mir ist das ja gleich, wie ihr lebt und wenn mir was nicht passt, habe ich die Menschen noch immer fort gekriegt. Das mach ich nur für die Halben. Die schaffen es schon gar nicht mehr, eure Schäden und Wüstungen wieder heil zu machen.“
Читать дальше