„Aber das machen wir doch jetzt schon.“, protestiert Magda. „Meine Familie ist schon seit vielen Jahren am gleichen Ort, bestimmt schon vier Jahre oder so. Wie die anderen Bauern in unserem Dorf auch. Gibt ein Feld nicht mehr genug Ernte, machen wir nebenan ein neues Feld. Irgendwann probieren wir dann wieder das alte Feld oder machen noch ein drittes Feld. Wir wandern nicht mehr so oft. Das hat uns der Herr so aufgetragen, hat mein Onkel mal gesagt.“
„Das ist doch auch schon mal ein Anfang und das ist gut. Ihr könnt aber auch gleich mit drei Feldern auf einmal anfangen. Ein Feld für die Sommerpflanzung, eines für die Winterpflanzung und eines liegt brach. Und das immer wieder wechseln.“
Magda sah Eringus ungläubig an. „Das schafft kein Mensch. Drei Hufe auf einmal bearbeiten geht nicht. Ein Huf sind 30 Morgen, also was ein Bauer halt an dreißig Morgen bearbeiten kann und jeder Morgen ist so groß, dass ich bestimmt hundert mal hundert mal hundert Schritte machen muss, um drum herum zu laufen. Das ist viel.“ Stolz verkündet Magda ihr Wissen, das sie von der Großmutter gelernt hatte, auch wenn sie nur bis hundert zählen kann, wenn man Geduld hat. Hundert ist viel, das weiß sie.
Tief atmete Eringus durch. Dann beginnt sein Kampf, Magda das zu erklären, was man heutzutage eine Drei-Felder-Wirtschaft nennt. Nach langer Zeit hat sie es zumindest zur Hälfte verstanden.
„Und was hat das mit den Halben zu tun? Machen die das auch schon so?“
„Ja, die machen das auch schon so. Und weil es ihnen weh tut, wie die Menschen den Wald kaputt machen und sie den Wald noch mehr lieben als du, machen sie sich die Mühe und versuchen, auf solchen Wüstungen wieder einen schönen Wald anzupflanzen. Doch das ist viel Arbeit, die nicht nötig wäre.“ Man merkt Eringus an, dass seine Geduld so langsam erschöpft ist, ob der vielen warum und wieso und noch mal bitte, mit denen Magda seine Erklärungen durchlöchert.
„Aha!“ In Magdas Kopf beginnt es langsam zu arbeiten. Sie macht ein verbissenes Gesicht vor Anstrengung, das sich dann erhellt, als ihr ein Einfall kam. „Das ist prima. Ich geh sofort zu unserem Herren und erklär ihm das und dann wird er sich freuen und mich loben und ich darf wieder in unserem Dorf leben und kann dort bei meiner Großmutter mein Kind bekommen und …“. Magda stockt und ihr eben noch fröhlich strahlender Blick trübt sich zur Traurigkeit. „Nein, ich kann nicht!“
Eringus, der sich mit Magda über ihre Erleuchtung freute, blickt verdutzt. „Wie? Was? Wieso kannst du nicht?“ Genau das soll Magda für ihn tun. Den Menschen sagen, wie es besser geht und richtig ist.
„Wer bin ich denn, dass ich vor den Herren trete und ihn belehren will? Die unwichtigste seiner Mägde, eine, die seinem Sohn ein Kind anhängen will, wie er sagt. Voll Schande vom Hof vertrieben. Dumm! Ich kann das nicht. Er wird mich auslachen, prügeln lassen. Ich darf nie mehr nach Hause kommen. Mein Dorf wird mich fort jagen. Mit Steinen und Ästen nach mir werfen. Nein, das geht nicht.“ Kraftlos und zutiefst traurig hängen Kopf und Schultern.
„Oh! Daran hab ich auch nicht gedacht. Ihr Menschen habt ja eine Ordnung, in der nur die hohen Herren das Sagen haben. Und Frauen gelten nichts.“ Eringus Plan hat eine Lücke, die er so schnell nicht schließen kann. „Darüber muss ich nachdenken. Das krieg ich schon hin.“
Langsam versinkt inzwischen die Sonne am Horizont.
„Für heute werden wir noch mal im Wald schlafen. Morgen gehen wir dann zu den Halben und sehen, ob du dort für die nächste Zeit ein Heim finden kannst.“
Eringus lässt sich einfach dort, wo er steht nieder und rollt sich ein wenig ein.
„Komm her und leg dich mir zur Seite. Ich werde dich warm halten. Eine Nacht im Wald kann noch recht kühl sein.“
Magda kuschelt sich an sein rechtes Vorderbein und bettet ihren Kopf, halb sitzend, irgendwo an seine Seite. Vorsichtig breitet Eringus seinen Flügel als Decke über ihr aus und legt seinen Kopf auf die Vorderfüße. Jade saß auf einem Baum, von wo aus sie die ganze Zeit zugehört hatte. Nun fliegt sie auf Eringus Haupt und findet dort ein sicheres Plätzchen. An etwas zu Essen für Magda hat noch keiner gedacht.
* * * * *
Am Morgen erwacht Magda mit einem mächtigen Knurren im Bauch. Zuerst hat sie gedacht, es sei Eringus bis sie merkt, dass ihr Magen dringend Beschäftigung brauchte. Sie kriecht unter dem Flügel hervor. Im Schlaf ist sie ganz darunter gerutscht. Nun steht sie auf und sieht sich um, ob etwas Essbares zu finden sei. Leider wieder nichts. Voll Sorge denkt sie an das Kind in ihrem Bauch.
Jade ist gerade mit ihrer Morgenwäsche beschäftigt. In einem Blütenkelch badet sie und singt ein kleines Lied, das aber leider keiner hören kann. Ihre Stimme ist halt zu schwach. „Guten Morgen, Magda!“, denkt sie und das kann man verstehen. „Was suchst du?“
„Ich habe seit Tagen nichts mehr zu essen gehabt. Kannst du mir sagen, wo ich etwas finde?“
„Leider nein. Von Blütennektar wirst du wahrscheinlich nicht satt werden.“ Dann erhellt sich ihr Gesicht. „Mir fällt ein, dass ich im Flug da hinten einem Bienenschwarm ausgewichen bin.“ Ihre Armbewegung ist für Magda leider nicht erkennbar. Und selbst wenn sie es hätte sehen können, hätte es ihr nichts genutzt, denn die Wegweisung war mehr als ungenau. „Magst du Honig?“
„Sehr gerne.“, lautet Magdas verständliche Antwort. „Wo war das?“
„Komm ich zeige es dir.“ Dabei fliegt Jade auf Magdas Ohr. „Ich glaube, du musst hier rechts gehen.“
Gemeinsam versuchen sie nun, den Bienenstock zu finden. Leider ohne Erfolg. Magda ist traurig. Leckerer Honig, das wäre es jetzt gewesen. Doch nun steht sie im Wald, hungrig wie zuvor. „Lass uns zu Eringus zurück gehen. Vielleicht kann er mir helfen.“
„Es tut mir leid, Magda. Wirklich. Aber fliegen bringt eine andere Sicht als gehen. Vielleicht hätte ich fliegen sollen. Dann hätte ich es bestimmt wieder gefunden, vielleicht.“
„Sei es, wie es ist. Wo geht es zu Eringus?“
„Oh!“ Auch Jade hat den Weg verloren. „Ich hab nicht aufgepasst. Das ist mir ja noch nie passiert. Einen Moment, bitte.“ Sie konzentriert sich auf den immer noch schlafenden Drachen. „Er schnarcht sogar im Traum. Das ist leicht. Jetzt erst einmal wieder zurück. Umdrehen und los.“
Magda kämpft sich ihren Weg durch den Wald, denn Jades Gedankenorientierung kennt nur den geraden Weg und nimmt keine Rücksicht auf umgestürzte Bäume und Unterholz. Ab und zu flüchtet ein Eichhörnchen von ihnen aufgeschreckt. Ein Eichelhäher schimpft über die Ruhestörung. Eine Amsel schilt mit ihnen aus Angst, ihrer Brut könne etwas geschehen.
„Bleib mal stehen.“, sagt Jade. „Ich höre etwas.“
Augenblicklich steht Magda still und rührt sich nicht. Sie lauscht in den Wald. Da ist nichts Besonderes zu hören.
„Die Bienen. Dort!“ Jades feines Gehör hat die kleinen Brummer wahrgenommen, obwohl Magda nicht gerade wenig Lärm bei ihrem Marsch durch den Wald gemacht hat. Sie hat jetzt auch gelernt, Magda gegenüber mit ihren Anweisungen genauer zu sein. „Rechts oben, in der Buche. Der zweite Ast von unten auf der linken Seite. Da ist der Stock. Kannst du ihn sehen?“
Angestrengt versucht Magda den richtigen Baum zu finden. „Eine Buche. Aha!“
Jade beginnt zu steuern. „Dreh dich ein wenig nach rechts, reicht, gerade aus, etwa dreißig Schritte.“
Hier muss man nun zugeben, dass wahrscheinlich kaum ein Mensch dies hätte finden können. Es handelte sich um eine ganze Buchengruppe und der gesuchte Baum war mitten drin. Der fragliche Ast wurde zudem noch von davor stehenden Bäumen stark verdeckt. Vom Bienenstock war kaum ein Zipfel richtig zu erkennen. Magda stolpert in die angegebene Richtung, bis sie auch die Bienen sehen und hören kann. Jetzt kann sie ohne weitere Anweisung ihrem Frühstück näher kommen. Doch schon zeigt sich das nächste Problem. Wie kommt man an den Honig? Der Stock hängt hoch über ihr. Suchend blickt Magda sich um, ob sich nicht ein abgebrochener Ast fände. Aber genau hier lag nichts und auf der angrenzenden Wiese gleich gar nichts, was man hätte benutzen können. Immer so! Wenn man was braucht, ist es nicht da.
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