Drache!!
Ja, ein Drache, denkt Magda auf den fremden geflüsterten Gedanken. „Hey, jetzt reicht es aber. Ich weiß nicht, wer Ihr seid, doch ich höre euch ganz deutlich. Ihr denkt wohl, Ihr könnt euren Spaß mit mir treiben. Zeigt euch, gefälligst.“, ruft Magda in den Wald. Bestimmt und ihres Standes völlig ungehörig fordert Magda den Unbekannten. Nichts geschieht. Entschlossen steht Magda auf. Das einlullende Brummen lässt stark nach. „Wo seid Ihr?“
„Ich bin hier, gleich neben dir auf deiner Schulter.“ Die Stimme ist sehr fein und zart und scheint mehr in ihrem Kopf zu sprechen, als denn mit den Ohren hörbar zu sein. Sie dreht den Kopf nach rechts und nach links, findet aber niemanden.
„Was soll das, auf meiner Schulter? Ich sehe dich nicht. Wie klein bist du denn überhaupt, dass du auf meiner Schulter zu sitzen kommst?“ Magda spricht nun schon ohne jeglichen Respekt, wie mit Ihresgleichen.
„Streck deine Hand aus!“ bittet die Stimme.
Magda tut, wie ihr geheißen und streckt die rechte Hand vor sich aus. Ihr scheint, als sei ein Lichtreflex zu ihrer kleinen, schwieligen Hand gehuscht. Automatisch, um besser zu sehen, hebt sie die Hand vor die Augen. Den Blick auf das bisschen Licht fixiert. Langsam erkennt Sie ….
„Wer oder was bist du? Mir scheint, du seiest eine Libelle. Doch viel viel kleiner und leuchtender.“
„Ich nenne mich Jade und ich bin eine Traumfee. Ich habe dir die Träume in der Nacht gegeben. Weil es wichtig ist, dass du weißt, was du sehen wirst und damit du keine Angst hast.“
„Was ich sehen werde? Ich sehe eine winzig kleine Gestalt, vor der ich wahrlich niemals Angst haben werde. Mir wird zwar nie ein Mensch glauben, was ich sehe, doch Angst machst du mir nicht. Ich kenne keine Angst seit dieser Nacht. Kein Wolf oder Bär kann mich schrecken. Nicht mal ein ….“ Das letzte Wort, das sie sagen will, bleibt dann doch im Halse stecken. Nur langsam kann Magda fortfahren „ … Drache?!?
„Na endlich! Jetzt ist es raus. Sie hat es gesagt. Ja, einen Drachen wirst du sehen.“ Der kräftige Bass des Drachen lässt Magda trotz aller Beruhigungsmaßnamen erschrocken herumfahren. Wieder schaut sie sich um und kann, außer dem hellen Felsen, erneut nichts sehen.
Hätte Jade tatsächlich auf der Hand gesessen, wäre sie unweigerlich abgestürzt. So aber schwebt sie immer noch nahe bei Magda. „Sei nicht so ungeduldig. Du machst doch alles wieder kaputt.“, schimpft sie. Und zu Magda gewandt: „Sieh mich an, …. Äh, wie heißt du eigentlich?“ Diese Frage ist genauso unnötig, wie die Antwort, denn Jade kennt den Namen schon längst. Sie und Eringus sind des Gedankenlesens mächtig und während der Träume hatte Magda selbst den Namen preis gegeben. Aber zur Ablenkung war die Frage genau das Richtige. Magda versucht zunächst erst wieder Jade zu finden, die sie eben ansprach. „Wie kann so ein kleines Wesen, das man kaum sieht, so laut reden?“
„Ich rede nicht wirklich. Du kannst aber meine Gedanken verstehen und ich deine. Würde ich meine Stimme, die ich tatsächlich habe, als solche verwenden, könnte ich damit nicht mal eine Fliege aufscheuchen. Dein Kopf glaubt nur, mich zu hören.“, lautet Jades Antwort. Inzwischen hat Eringus wieder mit dem Brummen begonnen und Magda wird auch wieder deutlich ruhiger. „So, Magda, versuchen wir es jetzt noch einmal und mit Ruhe und ungestört.“ Der letzte Teil bezieht sich auf Eringus, der dieses Mal auf eine Antwort verzichtet. „Denk an den Traum.“, fährt Jade fort. „Du musst wirklich keine Angst haben. Dir wird nichts geschehen. Du wirst gebraucht.“
Wäre Magda nicht so aufgeregt gewesen, hätte sie sich bestimmt gefreut. Ihr wurde schon lange nicht mehr gesagt, dass sie gebraucht wird. Zuletzt hat die verstorbene Mutter dies gesagt. So blieb die Bemerkung ungeachtet.
„Wir werden den Bock am Besten von hinten aufzäumen.“, beginnt Jade.
„Bock!?!“, protestiert Eringus.
„Sei doch ruhig“, weißt ihn Jade an. Als sie dann die fragenden Augen Magdas sieht: „Ach so, das kannst du noch nicht verstehen.“
„Wir fangen mit dem an, das dir sicher am wenigsten Angst machen wird.“, beginnt Jade noch einmal. „Dreh dich ein wenig nach rechts herum. – Ja, so ist es gut. Jetzt schau gerade aus. Siehst du etwas Helles vor dir?“
„Ja, dort neben der großen Weide.“, antwortet Magda.
„Sehr gut, Magda. Das ist das Schwanzende. Nun dreh dich nach links, bis du nichts Helles mehr siehst.“
„Da neben dem morschen Baum ist das Letzte, was ich sehe.“ Inzwischen hat sich Magda halb um die eigene Achse gedreht.
„Richtig. Das ist die Nase des Drachen. So lang ist er. Darf er dich jetzt auch einmal ansehen?“, bittet Jade.
Magda atmete ganz tief durch und antwortete stoßartig: „Ja.“
Langsam öffnet Eringus sein linkes Auge und blickt durch die Blätter eines kleinen Bäumchens. Magdas Augen wollen anscheinend die gleiche Größe wie das Drachenauge erreichen. Als Sie nun immer noch nicht zu schreien anfängt, dreht Eringus ein wenig seinen Kopf und blickt auch mit dem zweiten Auge zu Magda. Stocksteif steht sie da. Unfähig, sich zu rühren.
„Es scheint zu klappen, Jade.“ brummte Eringus und erhebt sich zu voller Größe. In gleicher Geschwindigkeit hebt sich auch Magdas Blick und Kopf, bis dieser im Nacken liegt. Dann kippt sie mit einem Seufzer rücklings um.
„Oder auch nicht!“ piepst Jade. „Solltest du nicht warten? Hatten wir nicht ausgemacht, dass ich dich langsam vorstelle? Du Trampel!“, schimpft Jade und schwebt herab auf Magdas Brust. „Du hast Glück, ihr Herz schlägt noch. Zumindest das hat keinen Schaden genommen. Ich hoffe für dich, dass auch ihr Verstand heil geblieben ist.“
Langsam kommt Eringus zwischen den Bäumen hervor. Dabei bewegt er sich so bedacht, dass auch nicht ein Blatt vom Baum fällt. Er weiß, wie sehr seine kleinen Freunde alle Pflanzen lieben. Gerade als er den halben Schritt näher kommt, öffnet Magda wieder die Augen. Ihr Blick, noch leicht verschwommen, trifft auf Eringus, welcher nun versucht, eine menschliche Reaktion nachzuahmen; er grinst.
Natürlich sieht das bei einem Drachen absolut nicht freundlich aus. Im Gegenteil: Wer die Reihen gewaltiger Drachenzähne in diesem riesigen Maul erblickt, denkt mit Sicherheit nicht an ein freundliches Lächeln. Magda, die ihren Kopf leicht hebt, um nach der Ohnmacht besser sehen zu können, stöhnt nur tief und sinkt wieder in die schützende geistige Umnachtung zurück.
„Ich glaub´s doch nicht. Jetzt reißt du auch noch dein Maul auf. Das kann doch nie was werden.“ Jade ist sehr ungehalten und dreht Eringus empört den Rücken zu. Um das zu sehen, müsste man allerdings den scharfen Blick eines Drachen haben. Zu Magda gewandt flötet Jade: „Magda, wach auf. Es ist alles gut. Er macht dir doch nichts. Magda!“
„Jetzt reg dich nicht so auf. Ich kriege das schon hin.“, brummt Eringus zurück. Er senkt seinen Kopf ganz dicht zu Magda hinab. In seinem zartesten Brummen flüstert er: „Magda. Ich fresse dich nicht. Du kannst die Augen aufmachen.“ Dabei öffnet er ganz leicht sein Maul und kitzelt mit den Spitzen seiner gespaltenen Zunge ganz sanft Magdas Gesicht.
Ist es nun das Kitzeln mit der Zunge oder die damit verbundene Feuchte im Gesicht, gleichwohl schlägt Magda die Augen wieder auf. Mühsam richtet sie sich auf und sitzt benommen auf dem moosigen Waldboden. In gleichem Abstand schwebt immer noch Eringus´ Maul vor ihr. Nahezu in einer Bewegung hebt Magda zuerst den Blick, dann den Kopf und dann ihre kleine Faust. Sie holt aus und schlägt mit aller Kraft ihres kleinen Körpers mit flacher Hand Eringus auf die Nase. So, als wolle sie jemandem eine Ohrfeige verpassen. Erschreckt von ihrer eigenen Reaktion wirft sich Magda auf den Bauch. „Verzeiht mir großer Wodanaz.“
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