Politisch brenzlig wurde es aber erst ab dem Jahre 2011. Alles begann mit einem vertraulichen Dokument, das über den Umweg des „Mouvement écologique“ an die Öffentlichkeit gelangte. In einem Brief hatten sich die damaligen Regierungsmitglieder Jean-Claude Juncker, Jean-Marie Halsdorf (beide CSV) und Jeannot Krecké (LSAP) an die Bauunternehmer Guy Rollinger und Flavio Becca gewandt und ihnen ihre Unterstützung für den alternativen Bau eines nationalen Fußballstadions in Liwingen zugesagt. Von einer „aktiven Begleitung“ des Megaprojekts durch die Regierung war die Rede – und das wohlgemerkt unabhängig von jeglichen gesetzlich vorgeschriebenen Prozeduren oder Gutachten. Zudem soll politischer Druck auf Rollinger ausgeübt worden sein, damit dieser sein ursprüngliches Projekt eines Einkaufszentrums in Wickringen aufgebe.
Die damalige Opposition lief Sturm. Von der Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien und gar von Korruption war die Rede. Die einstigen Fraktionschefs von DP und Déi Gréng, Claude Meisch und François Bausch, gaben eine gemeinsame Pressekonferenz und erhöhten so den politischen Druck auf die beiden Mehrheitsparteien. Vor allem die Minister Halsdorf und Krecké standen in der Schusslinie. Ihnen wurde versuchte direkte Einflussnahme vorgeworfen. Juristisch verlief die Affäre zwar im Sand, doch politisch wurde viel Porzellan zerschlagen. Da nicht nur die CSV, sondern auch ein LSAP-Minister im Visier der Kritik standen, schweißte die Episode „Wickringen/Liwingen“ die Koalitionspartner zunächst aber enger zusammen.
Nur Jeannot Krecké zog indes mit gewisser zeitlicher Verzögerung die Konsequenzen aus der Affäre und trat im Februar 2012 zurück. Sein Nachfolger im Amt des Wirtschaftsministers wurde ein gewisser Etienne Schneider, einst Fraktionssekretär der LSAP und seit 2004 Kreckés rechte Hand im Ministerium.
Zwei weitere Affären sollten das gegenseitige Vertrauen der Koalitionspartner jedoch weiter belasten. Einerseits ging es um den Verkauf von Cargolux-Anteilen an Qatar Airways. Nach selbst für einige Kabinettsmitglieder undurchsichtigen Verhandlungen und einem etwas mehr als einjährigen Intermezzo der katarischen Investoren bei der luxemburgischen Frachtfluggesellschaft platzte im November 2012 der von Finanzminister Luc Frieden im Alleingang eingefädelte Deal. In einer Debatte im Parlament gingen die Sozialisten öffentlich auf Distanz zu Frieden. LSAP-Fraktionschef Lucien Lux unterstellte dem Finanzminister, dass dieser die Übernahmeverhandlungen mit Qatar Airways „gegen den Aufsichtsrat der Cargolux“ geführt habe. Andererseits kochte im Januar 2011 die Affäre um Arbeitsminister Nicolas Schmit (LSAP) hoch. Schmit soll bei einer polizeilichen Anhörung seines Sohnes, der wegen einer Amtsbeleidigung vorgeladen wurde, Druck auf die Polizeibeamten ausgeübt haben. So legte es jedenfalls das Protokoll einer anwesenden Polizistin nahe. Der Minister geriet infolgedessen in den Medien unter Beschuss. Die Oppositionsparteien – nicht zuletzt DP und Déi Gréng – forderten seinen Rücktritt. Im Parlament sprach Premier Jean-Claude Juncker seinem Arbeitsminister allerdings das Vertrauen aus. Schmit, der in seiner Partei schon als möglicher Spitzenkandidat bei den kommenden Wahlen gehandelt wurde, ging dennoch beschädigt aus der Affäre hervor und sollte besonders Juncker persönlich dessen staatsmännisch zur Schau gestelltes Vertrauensbekenntnis übel nehmen. Beide Episoden trugen jedenfalls zur weiteren Entfremdung zwischen den Koalitionspartnern bei.
Im Schatten der Affären der CSV-LSAP-Koalition fanden sich Liberale und Grüne, die seit 2005 zusammen in der Hauptstadt den Schöffenrat stellten. Nach den Kommunalwahlen im Oktober 2011 regierte Blau-Grün hier unter einem Bürgermeister namens Xavier Bettel. Auch in der für beide Parteien seit 2004 anhaltenden Oppositionszeit auf nationaler Ebene machte man immer öfter gemeinsame Sache. Erstmals seit den 1970er Jahren entwickelte sich so allmählich ein neues fortschrittliches Lager in der Luxemburger Politik. Die Annäherung zwischen DP und Déi Gréng basierte aber ursprünglich weniger auf einem übergreifenden, etwa „liberal-ökologischen“ Projekt, als vielmehr auf den persönlichen Beziehungen der daran beteiligten Personen, also in erster Linie von Xavier Bettel und François Bausch. Die LSAP stand jedoch angesichts ihrer Regierungsloyalität mit der CSV zunehmend zwischen den Fronten. Die alte Garde der Sozialisten hatte trotz allem immer noch eine klare Präferenz für eine Koalition mit den Christsozialen. Doch innerhalb der jüngeren Generation und vor allem an der Basis der Partei konnte man sich auch schon früh andere Koalitionsmodelle vorstellen.
Während DP und LSAP ohnehin ihre gemeinsame Koalitionsfähigkeit unter Beweis gestellt hatten – beide regierten 1974 bis 1979 ohne die CSV –, kamen auf nationaler Ebene spätestens mit den Wahlen von 2004 Déi Gréng mit ins Boot der vier koalitionsfähigen Parteien. Vor allem in gesellschaftspolitischen Fragen – Euthanasie, Abtreibung, gleichgeschlechtliche Ehe, Familienpolitik, Trennung von Kirche und Staat und einigen mehr – gab es dabei längst die Grundlage für eine unausgesprochene Dreierkoalition. Politisch wurde somit bereits in den späten 2000er Jahren der Weg für eine mögliche spätere Zusammenarbeit der drei Parteien geebnet.
Auch auf rein persönlicher Ebene legten ähnlich denkende Politiker wie Xavier Bettel, Claude Meisch (beide DP), Etienne Schneider (LSAP), Felix Braz und François Bausch (beide Déi Gréng) in den kommenden Jahren die Grundlage für ein vertrauensvolles Verhältnis und eine engere politische Kooperation. Bei allen reifte nach und nach die Erkenntnis, dass eine von der CSV geführte Regierung nicht unbedingt das ewige Erfolgsmodell für Luxemburg sein müsse. Die Gründe zur Annahme, dass zumindest die große Koalition kein solches Erfolgsmodell mehr war, sollten sich in der Tat bald nur so häufen. Und rein arithmetisch erhöhte die Koalitionsfähigkeit der Grünen ohnehin die Chancen einer dauerhaften alternativen Mehrheit gegen die CSV. Was für die Realisierung dieser Mehrheit jedoch noch fehlte, war ein Präzedenzfall. Die Affären um Wickringen/Liwingen, Cargolux und Nicolas Schmit reichten dafür nicht aus – zumal nicht nur die CSV, sondern mit den Sozialisten auch einer der drei potenziellen Partner einer Dreierkoalition geschwächt aus diesen Episoden hervorging.
Die CSV-LSAP-Koalition sorgte unterdessen für weitere negative Schlagzeilen. Als es im Herbst 2012 darum ging, den Staatshaushalt für das kommende Jahr vorzustellen, gaben die Partner der großen Koalition ein für eine Regierung eher suboptimales Bild ab. Finanzminister Luc Frieden wurde sowohl vom sozialistischen Koalitionspartner als auch von seiner eigenen Fraktion zurückgepfiffen und damit öffentlich bloßgestellt. Sein erster, eigentlich nur als interne Vorlage dienender Haushaltsentwurf wurde in der Koalition förmlich zerrissen. Darin hatte der Finanzminister als „Denkanstoß“ weitreichende Sparmaßnahmen und Steuererhöhungen vorgeschlagen. Zu den vorgeschlagenen Sparposten gehörten unter anderem eine Rentenkürzung, eine Kürzung des 13. Monatsgehalts für Staatsbeamte sowie die Einführung von sozialer Selektivität bei den Familienbeihilfen, was insgesamt schon Einsparungen im Haushalt von über 300 Millionen Euro ausgemacht hätte.
Doch der Premier erteilte dem Entwurf auf ganzer Linie eine Absage, was nach Junckers gescheitertem Wechsel nach Brüssel ein weiterer Affront gegenüber dem eigentlich zuständigen Ressortchef war. Mit seinem nachgebesserten Budgetentwurf erntete Frieden dann auch öffentlich vorgetragene Kritik aus den Reihen der Mehrheitsparteien. Absurderweise warfen ihm jetzt sowohl Parteikollegen als auch Sozialisten mangelnden Mut zur Haushaltssanierung vor. Der im Parlament eingereichte Alternativentwurf der Fraktionsvorsitzenden Marc Spautz (CSV) und Lucien Lux (LSAP), der weit hinter Friedens erster Vorlage zurückblieb, ließ den Finanzminister schließlich komplett desavouiert dastehen. Frieden selbst sah das allerdings nicht so. Er schluckte die bittere Pille, ließ sich nach außen keine persönliche Enttäuschung anmerken und blieb weiter im Amt. „Ein Haushalt bleibt immer ein Kompromiss. Es ist der Haushalt der gesamten Regierung. Es ist nie der Haushalt, so wie der Finanzminister ihn sich im Detail vorstellt“, so seine Erklärung im Rückblick.
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