Stahl macht eine Pause, wirkt nachdenklich.
- Er liebt es, im Mittelpunkt zu stehen?
- Ja, aber er ist dabei kein Dampfplauderer, Herr Maier. Und er hat sich nie auf seinem leichten Start ins Leben ausgeruht, ist sogar noch ehrgeiziger als sein Vater.
Er legt eine zweite Pause ein, dreht sich zur Fensterfront und entscheidet, dass es genug an frischer Luft ist. Während er die Scheiben schließt, hat Maier Gelegenheit, die Öse der Rolle mit voller Aufmerksamkeit, aber immer noch umständlich, in den Haken des Ständers zu fummeln - was vorher wesentlich leichter gewesen wäre, vor dem Hochschieben.
- Verbandspräsident Kleingarten ist nur ein Jahr älter als Dr. Schönleben, aber, wie ich vermute, grundverschieden. Er wird genauso sein, wie man sich einen Verbandspräsidenten vorstellt: Ein Funktionär, der von seiner Wichtigkeit sehr überzeugt ist - ohne ihn darf nichts laufen. Um an diesen Posten zu gelangen, muss man sich durch endlose Schichten von Vereinsmeiern schneiden, die in allen Verbänden sitzen und alle Recht haben wollen, oft gar nicht der Sache wegen. Man muss selber Vereinsmeier sein, sonst gibt man vorher auf.
- Sind Sie selbst in einem Verein, Herr Stahl?
- Nein. Nie gewesen.
- Und Ihr Parteibuch?
- Also, Herr Maier! Erwarten Sie etwa, dass ich darauf eingehe?
Maier hakt nicht ein, nur die Karte, die endlich da ist, wo er sie hinwill.
- Kleingartens Kontakte sind für uns Gold wert - seine kurzen Wege garantieren uns eine hohe Geschwindigkeit, an Informationen zu gelangen, vor allem an Insiderwissen. Er darf bei der Konferenz nicht fehlen. Ich bin froh, dass er so kurzfristig kommen kann.
So, die Karte ist drin und ich glaub', auch richtig herum. Den Spaß von damals kann ich mir heute nicht erlauben. Jetzt nur noch die andere unten drankleben.
- Danke für die Einführung, Herr Stahl.
Auch wenn es Maier mittlerweile gewohnt ist, Menschen von seiner Kompetenz zu überzeugen, die doppelt so alt sind wie er - seine Hände zittern leicht beim Kleben, er hat Lampenfieber, denn die Herren sind gleich da. Geballt hochkarätig, und auch noch aus der Heimat - da darf erst recht nichts schiefgehen. Die Erwartungen an den Außen-, bzw. Horchposten in Brüssel sind unglaublich hoch.
Stahl geht zum Telefon und ruft den Empfang an, während Maier zufrieden mit seiner Klebearbeit die beiden Karten zu einer großen Rolle zusammenrollt.
- Wenn Dr. Schönleben und der Herr Wirtschaftsminister da sind, schicken Sie sie bitte in den Obersten. Sie kennen sich bereits hier ... wie, bitte? Sie sind schon auf dem Weg? Gut. Geben Sie mir aber Bescheid, wenn Herr Kleingarten da ist. Ich werde ihn persönlich abholen.
5
Stahl legt kopfschüttelnd auf, weil er solche Überraschungen nicht mag. Er will informiert werden, wenn jemand kommt, das ist ja wohl das Mindeste, als Hausherr. Und ihm bleibt nicht einmal Zeit, sich darüber zu ärgern. Noch während er den Hörer auflegt, treten die beiden Männer auch schon in den Saal.
- Wir sind in der gleichen Maschine gesessen. Grüß' Sie, Herr Stahl!
- Guten Abend, Herr Wirtschaftsminister, Herr Dr. Schönleben. Ich freue mich, dass Sie beide hier sind. Ich will Ihnen gleich meinen Dolmetscher für Osteuropa, Herrn Maier, vorstellen.
Nach einem kurzen Hin und Her der Hände klingelt das Telefon, Kleingarten ist eingetroffen. Stahl eilt nach unten, bevor der auch noch auf die Idee kommt, sich nicht abholen zu lassen, während die drei am vorderen Tischende Platz nehmen, an der bayrischen Tafelrunde. Die beiden Fluggäste setzen sich Maier gegenüber hin und führen ihre Unterhaltung fort, was ihm Gelegenheit gibt, die beiden eingehend zu mustern.
Dr. Schönleben trägt einen dunklen Maßanzug, dazu keine Krawatte, den obersten Hemdknopf lässig geöffnet - eigentlich wie sonst auch, wenn man ihn in den Medien sieht. Er strahlt und hat blitzweiße Zähne, kurzum: Er macht eine sehr gute Figur und scheint zufrieden mit sich und der Welt.
Daneben Doppler, zwischen normal und guttenbergeitel, mit Maßanzug und Schlips durchgestylt, würde er, selbst wenn er dürfte, den oberen Knopf niemals auflassen. Zu sehr ist er in seiner konservativen Rolle gefangen, was ihm als Staatsdiener bisher nicht geschadet hat. Sein Kopfhaar ist voll, wurde jedoch seit seinem 50. Geburtstag deutlich heller und heimgesucht von der grauen Diva, innerhalb nur eines Jahres, was seiner Jugendlichkeit allerdings nicht schadet. Er macht einen sehr aufgeweckten, wachen Eindruck, aber niemals vorpreschend, sondern erst einmal abwartend, weshalb er sehr ruhig wirkt, wieder im Gegensatz zum Doktor, den wiederum eine Unruhe umgibt, die Maier als ständige Aufbruchsstimmung deuten will.
Als ob er das gehört hätte, hält der Sunnyboy für einen Moment inne. Er und der Minister haben ihr Gespräch beendet und fangen ihrerseits an, ihr Gegenüber zu mustern.
Okay, jetzt bin ich an der Reihe. Ein gutes Zeichen, schon nach einer Minute.
Wie sehr diese kurzen Augenblicke des sich Beschnupperns zu vollen Sekunden werden, zu einem Männlichkeitsritual gar, wird sich gleich zeigen - wenn es überhaupt dazu kommt. Denn beide haben von Anfang an einen sehr lockeren Eindruck gemacht, sie scheinen sich sehr gut zu verstehen.
Und tatsächlich, sie binden Maier direkt in ihre Unterhaltung von eben ein.
- Hatten Sie auch in der Touristenklasse eingecheckt?
Maier ist überrascht darüber, dass sie nicht mindestens Business geflogen sind, sehr überrascht sogar. Und obwohl er das sympathisch von beiden findet, will er sich das nicht anmerken lassen, im Gegenteil-
- Nein, in der Ersten.
Die beiden sind im Nu still geworden, das Lächeln von Doppler hat sogar auf fassungslos umgeschalten. Maier fährt fort.
- Wegen der größeren Arbeitsfläche, aber in Wirklichkeit, ...
Maier beugt sich theatralisch nach vorne und wird derart leise, als wären sie nicht mehr unter sich und Stahl würde jeden Moment hereinkommen.
- ... weil man die Beine hochlegen kann. Ich bin froh, dass wir Dolmetscher diese Klasse endlich nutzen dürfen.
Doppler richtet sich schon auf, als wollte er was sagen, Maier will aber noch nicht auflösen.
- Auch ist das Essen besser. Und der Wein! Der Saint-Émilion rechtfertigt beinahe alleine die astronomisch höheren Kosten der Reise. Und man wird satt.
- Das ist mir neu, dass Beamte Ihrer Besoldungsstufe erster Klasse fliegen dürfen!
- Wieso fliegen? Ich bin mit dem ICE angereist.
Dr. Schönleben lacht laut auf, und auch dem Wirtschaftsminister entweicht die Anspannung, der sich nun wieder zurücklehnen kann - ihm kommt sogar ein kleines Schmunzeln aus. Er ist erleichtert darüber, dass seine Weltordnung wieder den Normen entspricht.
- Entschuldigen Sie, aber das konnte ich mir nicht entgehen lassen.
- Geht voll in Ordnung, Herr Maier. Haben Sie gut hingekriegt!
Dr. Schönleben nickt ihm immer noch erheitert zu, als die Tür aufgeht und die erwarteten Herren hereintreten. Abrupt findet die Ausgelassenheit ihr Ende, die Stimmung dreht sich um, und der Raum kühlt gute fünf Grad herunter. Maier macht Kleingarten als Schuldigen aus, der mit ernster Miene auf die Männer zugeht.
Sie stehen auf, damit sie Stahl mit dem Neuankömmling bekannt machen kann - erst mit dem Wirtschaftsminister, dann mit Dr. Schönleben, dann mit Maier.
Immer schön die Rangfolge einhalten.
Kleingarten, mit gut einem Meter siebzig einen halben Kopf kleiner als die anderen, ist opulent. Seine Krawatte bildet wenig unterhalb des Windsorknotens bereits einen Viertelkreis um seinen Bauch, wirkt dadurch zu kurz. Nicht zu kurz kommt sein Haar, das in voller Pracht ins Auge sticht wie seine riesigen Finger, Wursthänden gleich, die Maier Mühe bereiten, beim Händeschütteln mitzuhalten, wie den anderen vor ihm auch. Und auch wenn Kleingarten nach dem Treppensteigen noch schwer und kurz atmet, mit ihm würde sich Maier nicht anlegen wollen.
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