Der Leichtmatrose war 26 Jahre alt, hellblond, auch mittelgroß und athletisch gebaut. Er stammte aus Ostpreußen und hatte sich mit 17 Jahren freiwillig zu den Fallschirmjägern gemeldet. Bis zum Zusammenbruch hatte er mit seiner Truppe noch in Ostpreußen gegen die Russen gekämpft und sich vor der Gefangenschaft in den Westen retten können. Mit seinen blauen Augen und markantem gebräunten Gesicht sah er sehr gut aus und hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem Filmschauspieler Hardy Krüger. Man hätte beide für Zwillingsbrüder halten können. Er war ruhig, sehr verschlossen und sprach wenig. Wir wussten kaum etwas über ihn, nur dass er seit 2 ½ Jahren zur See fuhr und nun hier bei uns an Bord Leichtmatrose war. Trotzdem war er ein guter Kamerad. Der Matrose tat sich am Anfang sehr schwer an Bord, verstand aber sein Handwerk und damit bewahrheitete sich die alte Volksweisheit, dass man, was man einmal gelernt hat, auch immer wieder verwerten kann. Auch unser Leichtmatrose war tüchtig in seinem Fach und immer ruhig und ausgeglichen. Beide tranken und hurten nicht und das „Thema 1“ war fortan an der Back tabu. Von den insgesamt 17 Monaten, die ich an Bord verbrachte, begann jetzt die angenehmste Zeit, die ich auf diesem Schiff erlebte. Der Steuermann hielt sich nach dem Vorfall mit Gerhard zurück, und auch der Alte wurde außergewöhnlich zahm. Wir machten Reisen nach England und Irland und es war das erste Mal, seit ich an Bord war, dass die Seefahrt mir Spaß machte.
Einmal lagen wir über das Wochenende bei Wexford in Irland an einer einsamen Kai, wo wir am Montag löschen und laden wollten. Kurz nach Mitternacht hörten wir an unserer Decke unter der Back in kurzen Zeitabständen klickende Geräusche, als ob jemand kleine Kiesel auf die Back warf. Der Leichtmatrose, Peter und ich stürzten an Deck und sahen im Mondschein drei junge Mädchen den einsamen Strand entlang davonlaufen. Wir drei sofort hinterher und wie bei der Lotterie griff sich jeder von uns eine. Meine war am weitesten gelaufen und als ich sie zu fassen bekam, stürzten wir beide in den weichen Sand. Ich sah im Mondschein ein weißes, blasses Gesicht mit großen Augen, roten Haaren und unter mir den hübschesten Mund. Wir schauten uns beide erstaunt an und lachten. Wahrscheinlich hatten wir beide das richtige Los der Lotterie gezogen. Auch meine beiden Kameraden mussten die richtige Wahl getroffen haben, denn als der Sonntagmorgen an diesem denkwürdigen Tag im Mai zu grauen begann, hatte jeder von uns seine Beute fest im Arm.
Als wir uns bei dem beginnenden Tageslicht alle zusammen betrachten konnten, mussten wir alle lachen, denn meine Kameraden und ich hatten außer unseren Unterhosen nichts weiter an. Wir waren so, wie wir in der Koje gelegen hatten, an Deck gestürzt. Meine Eroberung hieß Peggi, war 17 Jahre alt und für mich damals das schönste Mädchen der Welt. Der Leichtmatrose hatte die größte der drei Grazien erwischt. Sie war 18 Jahre alt, auch rothaarig, sommersprossig und ungemein gut proportioniert. Voller Bewunderung schaute sie immer wieder auf seine athletische Brust. Peter hatte die Kleinste der drei. Sie war 16 Jahre alt, schwarzhaarig und an allen Ecken rund. Als es schon hell wurde, bekamen die Mädchen plötzlich Angst, dass sie irgendwer sehen könnte, was damals in Irland für ihren Ruf fatale Folgen gehabt hätte. Sie erzählten uns, dass sie am Abend vorher zum Tanzen gewesen seien und da hier seit Jahren kein Schiff gelegen habe, hätten sie beschlossen, nach dem Tanzen unser Kümo anzusehen.
Wir verabredeten, uns am Abend bei einem alten Friedhof in der Nähe eines Dorfes wieder zu treffen. Dort würden sie an der alten Kapelle auf uns warten. Nachdem sie uns den Weg zum Treffpunkt noch einmal beschrieben hatten, verschwand unser Grazien-Tio in Richtung Dorf. Als wir drei frohen Mutes zu unserem Schiff zurückkehrten und - außer Peter, der ja bald seinen Küchendienst antreten musste - in unseren Kojen verschwanden, schlief unser Matrose noch tief und fest. Da am Sonntag nicht gearbeitet wurde, konnten wir - bis auf Peter - ausschlafen. Am Abend, kurz vor 21 Uhr, die Sonne ging schon langsam unter, machten wir drei uns auf den Weg zu unserem Rendezvous. Unser Matrose hatte freiwillig die Nachtwache übernommen, so dass diese Nacht uns gehörte. Wir hatten unsere schwarzen Nietenhosen mit den bunten Hosenaufschlägen an, die gerade große Mode waren und obgleich wir keinen Pfennig in der Tasche hatten, so waren wir doch jung, verwegen und strotzten nur so vor Selbstvertrauen. Die Straße von unserer abgelegenen Kai zum Dorf war mehr ein Feldweg, der nur benutzt wurde, wenn alle Jubeljahre ein Schiff dort anlegte und so begegneten wir keiner Menschenseele. Rechts und links des Weges standen einige Bäume, sonst wuchs überall nur Heide, garniert von großen Steinbrocken.
Nach ca. 45 Minuten konnten wir in der Ferne das Dorf sehen, welches malerisch in einer Senke lag. Etwa zwei Kilometer vor dem Dorf wurde das Gelände rechts der Straße buschig, und ein Feldweg bog zu einer kleinen Kapelle mit Friedhof rechts von unserer Straße ab. Es war inzwischen kurz nach 22 Uhr geworden, fast genau der Zeitpunkt, an dem wir uns treffen wollten. Als wir die Kapelle erreichten, war auch die Sonne hinter dem Horizont verschwunden und wir hielten vergeblich Ausschau nach unseren Mädchen. Es wurde immer dunkler und der Ort immer unheimlicher. Wir bedauerten schon, nicht unsere Finnendolche mitgenommen zu haben, die wir sonst immer bei der Arbeit trugen. Messer hatte man damals immer bei der Arbeit dabei und ein alter Seemannsspruch lautete: „Ein Seemann ohne Messer ist wie eine Frau ohne...“ - Kurz vor 23 Uhr, wir wollten schon zurück an Bord gehen, tauchten unsere Mädchen dann doch noch auf. Sie hatten so lange warten müssen, bis die Eltern von Peters Freundin schlafen gegangen waren und konnten erst danach unbemerkt das Haus verlassen.
Es war völlig dunkel und wir saßen zusammen auf der Treppe der kleinen Kapelle, deren Tür offen stand. Nur das Licht der „ewigen Lampe“ am Altar schien zu uns herüber. Die Mädchen erzählten uns, dass selten jemand hierher käme, da auf der anderen Seite des Dorfes ein neuer Friedhof angelegt worden sei. Nur ein Mesner würde jeden Abend mit dem Fahrrad herkommen, um nach der „ewigen Lampe“ zu sehen. Peters Freundin, die gehört hatte, dass Seeleute gerne einen Schluck trinken, hatte einen „Flachmann“ mit „Red Breast“ mitgebracht, den sie aus den Vorräten ihres Vaters ohne dessen Wissen hatte mitgehen lassen. Wir hatten von Bord genügend Zigaretten dabei, so dass es an diesem sonst so ruhigen und geheiligten Ort ziemlich lustig wurde. Es war übrigens das erste Mal in meinem Leben, dass ich Whisky trank. Peggi erzählte mir, sie arbeite in einer Bäckerei und müsse morgens immer sehr früh aufstehen. Das Mädchen unseres Leichtmatrosen war Näherin, und Peters Sechzehnjährige ging noch zur Schule. Gegen Mitternacht verteilten wir uns auf dem Friedhof und vielleicht haben wir den Toten ein wenig Abwechslung bei ihrer ewigen Ruhe geboten. Es fiel mir dabei ein lateinischer Spruch ein, den ich irgendwo einmal gelesen und aufgeschrieben hatte: „Taceant colloquis effugiatrius. His locus est ubi gaudet succuree vitae.“ Sinngemäß übersetzt: „Hier ist der Ort, an dem die Toten sich erfreuen, den Lebenden zu helfen.“
Im Morgengrauen schlichen wir uns, nachdem wir uns mit unseren Mädchen für den Abend wieder am gleichen Ort verabredet hatten, zurück an Bord. Um 6 Uhr früh warf der Steuermann uns aus den Kojen, denn um 8 Uhr musste das Schiff klar zum Löschen sein, da um diese Zeit auch die Hafenarbeiter mit ihrem Bus aus Wexford ankommen sollten. Wir drei machten an Bord nicht den frischesten Eindruck und irgendwie ahnte der Alte, dass wir die Nacht nicht auf dem Schiff verbracht hatten, denn bei einer passenden Gelegenheit bemerkte er: „Mensch, ihr seid wohl heute Nacht in der Kirche gewesen. Ihr seht ja alle ganz verorgelt aus. Die ganze Nacht wohl zentnerschwere Weiber gestemmt? Passt bloß auf, dass euch die Dorfjungs nicht zu fassen kriegen, die schneiden euch glatt die Eier ab.“
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