Da Nordenham nur etwa 1 ½ Stunden von Bremerhaven entfernt liegt, trieb uns der Steuermann erbarmungslos an. Wir mussten die Lukenkeile herausschlagen, die Schalklatten herausnehmen, die schweren Verschlussbügel wegräumen und die steifen Persenninge zusammenrollen, wobei auf jede Lage des Frostes wegen Salz gestreut wurde. Kaum war der letzte Lukendeckel abgehoben, als wir auch schon in Nordenham anlegten, einer kleinen Stadt in Niedersachsen mit einem riesigen Kohlehafen direkt an der Weser. Die gewaltigen Krananlagen konnten mit ihren großen Greifern ganze Eisenbahnwaggons auf einmal be- oder entladen. Theoretisch hätte ein Kran unser Schiff in zwei Stunden beladen können, wenn das Trimmen und Schließen der Luken nicht so zeitaufwendig gewesen wäre. Der Alte rechnete mit etwa sechs Stunden Liegezeit, bis wir wieder ablegen konnten. Kaum hatten wir die letzten Scherstöcke mit unseren Ladebäumen an Deck gehievt, als auch schon der erste Greifer seinen Inhalt in den Laderaum schüttete. Nach jeder Greiferfüllung konnte man sehen, wie das Schiff tiefer ins Wasser tauchte. Da die Kräne stationär waren, mussten wir das Schiff erforderlichenfalls mit unseren Leinen vor- und zurückziehen, damit der Kran die Ladung gleichmäßig verteilen konnte. Es dauerte dann auch nicht mehr lange, bis wir, mit Schaufel, Trimmblech und Kabellampe ausgerüstet zum Trimmen unter Deck verschwanden. Tauchten wir wieder an Deck auf, klopfte der Alte oder der Steuermann mit einem Besenstiel das Deck ab und wenn eine Stelle hohl klang, jagte er uns wieder hinunter.
Nach dem Trimmen mussten wir, so ausgelaugt und erschöpft wir auch waren, die Luken über dem vollen Laderaum wieder mit dem bekannten Aufwand seefest verschließen, um Platz für die Deckslast zu schaffen. Da wiederum Zeit Geld kostete, weil der Kran warten musste, trieben uns der Alte und der Steuermann weiterhin erbarmungslos an. Die ganze Zeit gab es für uns weder Pausen noch Essen, alles musste zurückstehen. Nach einigen Greiferinhalten war unser Schiff bis auf Winterlademarke voll beladen. Nachdem wir den Koks an Deck mit Schaufeln eben getrimmt und die Ladebäume heruntergedreht hatten, verließen wir auch schon den Ladeplatz in Richtung See via „Alte Weser“ und Elbe zum Nord-Ostsee-Kanal und bis auf den Mann der Wache, der das Schiff restseeklar machte, gingen wir übrigen Besatzungsmitglieder unter Deck, der Steuermann in seine warme Kammer und wir wieder in den warmen Maschinenraum, wo wir uns auf den Flurplattenboden fallen ließen und sofort einschliefen. Anlässlich des Wachwechsels gab es eine Kleinigkeit zu essen und ausnahmsweise eine Tasse echten Kaffee.
Irgendwie mussten wir eine günstige Tide erwischt haben, denn kurz vor Ende meiner Wache erreichten wir Brunsbüttelkoog und liefen auch gleich in die Schleuse ein. Dort erfuhren wir auch, dass unser Löschhafen Nykøbing in Dänemark sein sollte. Wir waren immer noch nicht gewaschen und müssen mit unseren schwarzen Gesichtern für die Leute an der Schleuse zum Fürchten ausgesehen haben. Der Alte nahm einen Kanallotsen und teilte sich mit dem Steuermann die achtstündige Durchfahrt, während Gerhard und ich uns alle zwei Stunden beim Steuern ablösten. Peter hatte vorne den Ofen angezündet und endlich konnte ich mich waschen. Ich nannte es „Russisches Bad“ und man hatte nur eine Möglichkeit, das Bad einigermaßen angenehm zu überstehen. Da wir nur kaltes Wasser hatten, brachte ich 1 ½ Eimer voll davon und einen kleinen leeren Topf nach vorne. Mit dem kleinen Topf - ein größerer passte nicht auf unseren Ofen - machte ich mir heißes Wasser und schüttete es in den halbvollen Eimer, so dass das Wasser nicht mehr ganz so kalt war. Anschließend wusch ich mir mit dem lauwarmen Wasser die Haare und seifte meinen Körper gründlich ein. War ich eingeseift und das Haar gewaschen, goss ich den Rest lauwarmen Wassers mit dem Eimer über den Kopf und anschließend den vollen Eimer mit dem kalten Wasser hinterher. Trocknete man sich sofort hart ab und rieb anschließend seinen Körper tüchtig mit einem zweiten Handtuch, empfand man eine wohlige Wärme. Gleichzeitig fühlte man sich erfrischt und sah einigermaßen gewaschen aus. Unsere tägliche Wasserration zum Waschen bestand normalerweise nur aus einem vollen Eimer, den halben extra gab es nur nach dem Trimmen.
Nach der Passage des Nord-Ostsee-Kanals fing in der Ostsee der normale Bordbetrieb wieder an. Der Alte war zufrieden und guter Laune, denn er hatte in Nordenham die Trimmer gespart und außerdem zweimal die halbe Lotsengebühr kassiert. Es gab zur Feier des Tages Plum un Klüten und wir konnten uns die Bäuche wieder einmal richtig vollschlagen.. Es war die erste warme Mahlzeit nach dem Auslaufen aus dem Hamburger Hafen. Wir machten noch viele Kohle/Koks- und Getreidereisen, bei denen wir selber trimmen mussten, wobei ich das Trimmen des Getreides am unangenehmsten fand, da einem noch mehrere Tage danach die Brust und die Atemwege schmerzten.
Ich war jetzt mit fast acht Monaten Fahrzeit „vorne“ am längsten an Bord und kam mir unendlich „befahren“ vor. Hatte ich bislang vor Günther und „Hundepint“ gehörigen Respekt gehabt, so ließ ich mir von unserem neuen Leichtmatrosen Gerhard nichts mehr sagen. Irgendwann kam es dann in einem Hafen zum offenen Streit und hätte Peter uns nicht getrennt, hätte ich von Gerhard eine tüchtige Tracht Prügel bezogen. Wie erwähnt, war der Bursche ungewöhnlich zäh. So war nun die Rangordnung wieder klar. Aber Gerhard war trotz allem nicht Günther und wenngleich Peter und ich ihn als höheren Dienstgrad respektierten, war dies beim Alten und dem Steuermann nicht der Fall. Der Steuermann wurde immer unbeherrschter und der Alte noch maßloser. Herrschte früher noch ein einigermaßen erträglicher Ton an Bord, wurde jetzt, da Günther weg war, nur noch gebrüllt und gedroht. Kamen wir auch nur zwei Minuten zu spät an Deck, drehte der Steuermann durch und tobte fürchterlich. Der Alte ließ uns jeden Sonntag im Hafen im „Schiffsinteresse“ zutörnen (arbeiten) und drohte andauernd mit dem „Sack“.
Das war selbst Gerhard eines Tages zu viel. Als wir wieder einmal an einem Sonntag im Hafen im „Schiffsinteresse“ an der Kai außenbords malen mussten und uns dabei mit einigen Sonntagsspaziergängern unterhielten, brüllte uns der Steuermann vor einem großen Publikum fürchterlich an. Ich kann mich nicht mehr an die einzelnen Worte erinnern, aber dem Sinne nach lautete der Tenor, wir faulen Schweine sollten keine Volksreden halten, sondern zusehen, dass wir fertig werden. Da drehte unser Leichtmatrose durch und schrie noch lauter zurück: „Nun halt mal deine Schnauze, du Neandertaler, oder ich stopf dir den Pinsel ins Maul! Für mich ist hier morgen Feierabend an Bord, ich fahr doch nicht mit Psychopathen!“ Er warf seinen Pinsel hin und verschwand an Bord unter Deck. Der Steuermann war so verblüfft, dass er seinen Mund zu schließen vergaß und keine Erwiderung fand. Die vielen Spaziergänger, die das Schauspiel verfolgten, konnten selbst erleben, wie es bei der deutschen „christlichen Seefahrt“ zuging. Ich glaube nicht, dass Eltern ihren Kindern nach diesem Schauspiel raten konnten zur See zu fahren. Gerhard musterte tatsächlich am nächsten Tag ab und der Alte bestand aus gutem Grund nicht auf Einhaltung der 48stündigen Kündigungsfrist.
Wir waren jetzt nur noch zu viert an Bord unterwegs zu unserem nächsten Hafen, Hamburg, wo die Wasserschutzpolizei uns wegen Unterbesetzung festhielt, bis wir einen Matrosen und einen Leichtmatrosen angemustert hatten. Nun waren wir das erste Mal seit meiner Anwesenheit an Bord personell vorschriftsmäßig besetzt. Der Matrose, der erste Vollgrad, mit dem ich zu tun hatte, war Anfang dreißig und will vor dem Kriege als Steuermann gefahren und dann zur Marine eingezogen worden sein. Zusammen mit anderen Teilhabern hatte er nach der Währungsreform wohl eine Fruchtimportfirma gegründet und bis vor zwei Monaten ein gutes Leben mit eigenem Fahrer und Villa geführt, bis seine Kompagnons feststellten, dass er lastwagenweise Ladung zu seinen Gunsten verschoben hatte. Sie erstatteten Anzeige gegen ihn und da alle seine Konten bis zum Prozessbeginn gesperrt waren, erinnerte er sich, einmal zur See gefahren zu sein. Nun war er hier bei uns an Bord, um sich im gelernten Handwerk die nötigen Brötchen zu verdienen. Er musste wirklich eine „Wirtschaftsgröße“ gewesen sein, denn er zeigte uns Fotos, die ihn bei festlichen Anlässen und Banketts zusammen mit prominenten Politikern und Filmgrößen Arm in Arm zeigten. Darunter war auch eine sehr bekannte junge Schauspielerin, deren Film gerade in allen Kinos lief. Er war schlank, mittelgroß, sah gut aus und regte sich nie auf.
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