Peter Polonius Teichmann
Erzählungen von damals
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Jahre auf See
Peter Polonius Teichmann
published by: epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
In Erinnerung an meinen Freund Eberhard
der am 21. September 1957 zusammen
mit 80 Seeleuten auf dem deutschen Segelschulschiff
~ P A M I R ~ unter gegangen ist
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Diese Geschichten widme ich meiner Generation von Seeleuten. - Die Schiffe auf denen wir damals fuhren sind längst Geschichte, abgewrackt auf den Schiffsfriedhöfen von Alang, Gadani Beach, Chittagong, Kaohsjung oder anderswo auf der Welt. - Es gibt in der Handelsschifffahrt keine Ausbildungsverordnung mehr die den Weg vom Schiffsjungen zum Matrosen aufzeichnet, keine Matrosenprüfung, keinen Schiffszimmermann oder Bootsmann keinen Funker oder gar eine Funkerin. Sogar das alte Seefahrtbuch hat man abgeschafft. - Viele Seemanns- und Seefahrtschulen wurden geschlossen. - Einen Transport von Stückgut so wie es früher üblich gewesen ist, gibt es nicht mehr. Die Container haben alles verändert. Angefangen bei den Häfen über die Schiffe bis hin zu den Mannschaften. - Verändert haben sich auch die vielen Geschichten und Stories der Seeleute. Abends in der Mannschaftsmesse konnte man sie hören oder beim gemeinsamen Farbewaschen, beim Anstreichen der Bordwand in einem Reedehafen in südlichen Breiten oder in einer Bar an der Westküste. - Die Story vom Schippi mau mau, vom I.O. Jule, von Krake, dem stiernackigen Bootsmann, von Einstein und dem Schreiben an Doktor Konrad Adenauer das bei einer ausgelassenen Geburtstagsfeier auf See geschrieben, vom Zimmermann unterschrieben und im nächsten Hafen an das Bundeskanzleramt abgeschickt wurde. Vom Ehrentanz in der Finkenwerder Elbhalle und der Story vom Seeteufel. - All diese wunderbaren Geschichten gibt es nicht mehr, weil diese Welt der Vergangenheit angehört, weil sie unter gegangen ist genau wie so manch schönes Schiff.
So will ich versuchen einiges aus der Erinnerung zurück zu holen, zu erzählen und fest zu halten, oder wie der Seemann auf Küstenspanisch sagt: „Ola hombre, habla mucho rapido“ - damit es nicht auch für Dich zu spät wird alter Freund.
BRT: 1176
Länge: 75 m
Breite: 11 m
Motorleistung: 800 PS
Geschwindigkeit: 10,5 kn
Besatzung: 15 Mann
Bauwerft: Kieler Howaldtswerke AG
Baujahr: 1950
Ende: 1984 aus dem Register gelöscht
Ich erzähle hier keine Märchen. Das Wort "Seemannsgarn" kenne ich nicht. Das gibt es nur im Sprachgebrauch der "Landratten"; genau wie Klabautermann und so viele andere Worte, die man uns andichten will. Auf Fullbrass oder Schäkelschlüssel lässt sich zwar auch ein Reim machen, aber weniger gut verkaufen.
Ja, wo gerate ich denn jetzt hin? - Mitten hinein in eine "Story"; und genauso heißt das bei mir. Jawohl! - und es ist die Wahrheit, die reine Wahrheit! - Aber lassen Sie mich etwas ausholen, sonst begreifen Sie nichts.- Die schlimmste Zeit war überstanden. Ich war kein Ramses, Monkey, Flunkey, Moses oder wie sonst noch; kein Decksjunge mehr. Alles war richtig korrekt gelaufen; um gemustert vor dem zweiten Konsul in Dakar, Westafrika. Befördert vom Decksjungen zum Jungmann. Dies nach zwölf Monaten Knüppel harter Decksarbeit auf der vorletzten Stufe. Und das auf unserem Zampan, Zossen, Zorochel oder wie der Eimer sonst noch hieß. Junge, Junge. Ein soeben ernannter Generaldirektor ist da nichts dagegen; ein Lottokönig ein armseliger Wicht. Ich sehe mich noch in den ersten Tagen. In Kiel-Holtenau war's und sie hatten mir bei der Übernahme von Ausrüstung so mit zwei Mann ein Kistchen Eisenschrauben oder ähnlichem auf die Schultern gehoben. Um ein Haar wären mir die Beine eingeknickt und ich in die Schleuse gefallen. Und das Gelächter hinter mir, wie ich mich da mit der Kiste an der Pier entlang schleppe. - "Was ist los mit Dir, Seemann?” - Das ist jetzt über ein Jahr her. Nun ist Theo unser neuer Decksjunge und dem haben sie gleich bei der Proviant Übernahme einen Zentner Kartoffeln im Sack so eben mal hoppla vom Lastwagen herunter auf die Schulter gehoben und schwupp war er unter dem Laster verschwunden als hätte es ihn nie gegeben. Na dann linst man schon mal wohlgefällig, hebt den Sack locker vom Boden auf und legt ihn sich selbst genussvoll auf die Schulter. - Verstehen Sie jetzt was ich meine, von wegen Generaldirektor und Lottokönig?
Fast die ganze Besatzung war abgemustert und jetzt kamen neue Leute an Bord. - Mein zweites Plus! - Ich kannte inzwischen jede Rostbürste an Bord, jede Stelle am Lukensüll, die man - weil von der Brücke nicht einsehbar - schlampig gestrichen hatte; jeden Eimer Teufelsdreck, pardon Beize. Ich kannte die vielen schwachen und wenigen besseren Teile unseres Schiffes am besten, denn der Kapitän und der Bootsmann waren auch neu.
Dann liefen wir aus. - Nicht wie Sie vielleicht denken mit viel Höö die Höö. Sondern ganz schlicht und einfach irgendwann nachts und es regnete und an der Pier stand nur ein schlecht gelaunter Zöllner und ein Polizist, der noch vergrellter aussah. Wir liefen aus, wie jeder grundehrliche Frachter, ohne viel Aufhebens, ohne weinende Frauen an der Pier, dafür aber mit einer Besatzung, die 20 Stunden und länger auf den Beinen war und hart gearbeitet hatte. Wie gesagt, alles völlig normal. Es war meine Wache und ich stand am Ruder. Na Sie wissen schon am Steuerrad und das war bei uns noch echt. Aus Holz und groß und man musste mächtig drehen, um die Kiste einigermaßen auf Kurs zu halten, besonders dann, wenn sie auf dem Kopf lag. - Vor dem Ruder stand der Kompass. Da gab's keine Elektronik wie auf den Brücken der Containerschiffe oder Tanker. Alles solide, fest und schwer. Die Arme konnte man sich herausreißen. Der Käpt'n selbst muss an die drei Zentner gewogen haben. Schwer und stumm saß er in einer Ecke der Brücke und zog an seiner Pfeife. Der Lotse war noch an Bord. Sonst nichts, nur Regen und Hitze. Die Klamotten klebten einem am Körper. Die Luftfeuchte war fast 100 Prozent - relativ, versteht sich - Westafrika kann sein wie ein Treibhaus. Plötzlich ein schrilles Pfeifen. - "Wat is dat denn?" - Die Pfeife ist's, die im Messingrohr steckt, das auf der Brücke anfängt und unten im Maschinenraum endet. Der Alte stemmt sich hoch und legt sein Ohr auf's Sprachrohr. Und dann Maschinenschaden! Der Telegraf rasselt auf "Stopp". Das Schiff macht keine Fahrt mehr. Wie lange wird's dauern? Ein, zwei Stunden, dann soll es weiter gehen. Die Wache bleibt "stand by". Der Lotse geht von Bord - er hat es eilig - kein Wunder. Der Alte sackt wieder auf seinem Stuhl zusammen; es regnet immer noch. Die Maschine ist still geworden. Jedenfalls hören wir nichts hier oben. Unten werden sie schön fluchen und toben und an ihren Ventilen herum schrauben. Kein guter Job; schon gar nicht bei dieser Hitze.
Im Moment bin ich arbeitslos. Ich habe nichts zu tun als dösend hinter dem Ruder darauf zu warten, dass die Maschine in Ordnung kommt und die Reise weiter geht. Jetzt sticht mich der Hafer und: "Sollten wir nicht Fahrtstörungslichter setzen, Herr Kapitän?", frage ich ganz harmlos. "Hmmm" tönt es aus der Ecke. Die Pfeife qualmt, der Regen rinnt, Schweigen, sonst nichts. Als ich schon denke: "never mind", das war wohl nichts, brüllt der Alte: "Pfander, mook man die twee roten Lampen kloar!" - Nun ist Pfander der neue Matrose mit dem ich die Wache gehe und er ist nicht tot, sondern hängt in der Backbord Brückennock und ist gerade dabei, gut aufgestützt, im Stehen, einzuschlafen. - Das muss man nämlich bei Wind und Wetter jederzeit beherrschen, um am Leben zu bleiben. - Ja und Pfander, der ein waschechter Hamburger Jung ist, schreckt hoch und "mook wie" sagt er.
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