Noch am selben Abend beschloss ich, aufzuräumen. Ich sammelte alle Bücher ein, die mich angeblich verdreht hatten und verbrannte alle an einer Grillstelle (das war mein Wille, es hat mich niemand dazu gedrängt). Feierlich mit einer Flasche Rotwein saßen mein Mann und ich da und betrachteten das Feuer.
Auch Filme warf ich weg, vor allem einen: „Die Neun Pforten“ (es tat mir ehrlich gesagt schon weh, dies zu tun, gab ich aber nicht zu).
Mein Mann sagte: „Weißt du, wie ich mich fühlte, als mir der Pfleger von der Irrenanstalt erzählte? Ich musste so handeln, du hast es selbst erfahren müssen, wir alle konnten dir nicht mehr helfen! Wenn es jetzt nicht ‚Klick‘ gemacht hätte, so hätten wir dich halt in der Klapse besucht. Du hättest uns tief reingezogen.“
Das gab mir zu denken. Du reißt so viele mit in den Strudel (gewisse Bücher sollten wirklich nur auf Rezept zu haben sein).
Am Abend ging es einigermaßen, außer Herzklopfen war alles normal. Nachts musste mein Mann ganz eng an mir liegen und mich festhalten. Ich traute mich nicht, einzuschlafen, und immer wieder sprach ich zu mir, ganz leise: „Dableiben, ich will dableiben, ich will bei meiner Familie sein.“
Am nächsten Tag verbrachte ich meine Zeit mit den Kindern in der Stadt. Ich lenkte mich ab, kaufte irgendwas zum Anziehen und genoss die Großstadt. Meine Tochter war souverän. Sie sagte: „Mami, mach dir keine Sorgen, alles wird gut. Hör nur auf, zu lesen.“
Ich bemühte mich mehr schlecht als recht, mich zusammenzureißen, was mir gelang. Ich half meinen Eltern beim Renovieren. Tapeten abreißen, war angesagt, wie eine wilde riss ich die Tapeten ab. Ich lenkte mich einfach ab. Zwar hatte ich immer noch Schwindelanfälle aber nicht mehr so stark, auch setzte ich mich immer wieder auf den Boden, statt Stuhl, und hielt mich krampfhaft an jedem Grashalm fest. Meine Eltern fragten mich, was bloß mit mir los sei, ich erzähle ihnen ein bisschen davon über die Gefühle, die ich hatte, (kann man nicht in Worte fassen) aber sie versuchten mich zu verstehen. Und sie verstanden es, sie hakten nach, wenn sie was nicht verstanden, alles wollten sie ganz genau wissen. Schon wieder was dazugelernt, ich dachte immer, ich wäre ihnen egal, als ob sie mich nicht mochten, aber das stimmte überhaupt nicht. Sie waren echt erschüttert und empfanden tiefes Mitgefühl. Zum ersten Mal in meinem Leben sah ich, wie sie litten. Zum ersten Mal sah ich hinter ihre Fassade. Meine ganze Kindheit (nur das Gefühl) sah ich wie ein Film an mir vorbeiziehen. Sie konnten gar nicht anders reagieren, sie selber waren gefangen von der Gesellschaft.
Auch meine Schwester, die ein acht Monate altes Baby hatte, drückte mir die Kleine in die Arme. Sie wusste, dass ich aus der Irrenanstalt kam, ich hätte nie gedacht, dass sie solch ein Vertrauen zu mir hat.
Ich beschloss, bei meinen Eltern im Garten im Zelt zu übernachten, meine Kinder waren auch dabei.
Es ging mit zwar immer noch schlecht, aber ich konnte wieder essen. Ich konnte sogar ein Essen genießen. Ich zwang mich, auch morgens zu essen, würgte das Zeug aber einfach herunter und hielt mir den Mund zu. Das ging zwei Tage gut, dann musste ich mein Morgenritual abbrechen. Das Mittagessen klappte. Immer wenn ich das Gefühl hatte, ich löse mich auf, stand ich auf und putzte wie eine Irre oder schnappte die Kinder und kaufte ein. Mein Arzt staunte wegen der Blutwerte: alles perfekt! Ich sah dazu noch toll aus!
Es folgten einige Tage, oder Wochen? Keine Ahnung. Alles stand still. Alles, aber auch alles stand still. Für mich war das so, als ob es keine Stunden mehr gäbe, keine Tage, keine Wochen, keine Monate. Nichts, als ob die Erde sich nicht mehr drehen würde. Schwierig zu erklären.
Immer und immer wieder sprach ich zu mir: „Du bleibst jetzt hier, du hast Kinder, einen Mann und eine Familie. Du kommst sofort zurück!“
Und immer wieder rannte ich auf meinen Spaziergängen, stampfte, schrie und war außer mir (wortwörtlich). Ich schrie mich an (hörte niemand): „Du bleibst jetzt bei mir!“
Wenn ich mir so zusah (und das tat ich), glaubte ich, dass ich wahnsinnig geworden war. Ich ließ mir Tabletten für die Psyche verschreiben, die mir jemand empfohlen hatte. „Die helfen“, hatten sie mir hoch und heilig versprochen, da es noch viele wie mich gäbe, die auch in einer Krise steckten. Ab einem gewissen Alter habe man das und sowieso, wenn die Kinder schon groß sind. Ich dachte mir, die müssen recht haben (auch wenn ich sehr daran zweifelte), schließlich sind die Symptome zum Teil gleich. Ich schluckte das Zeugs, obwohl mehr Nebenwirkungen als Wirkung auf dem Rezept angegeben waren. Es stand, dass bei 0,001 Prozent Fieber auftreten könne. Und wer kriegte Fieber? Ich! Ich schmiss die Packung weg.
***
Es ist der 4. September 2005 um 13.45 Uhr. Das Ganze dauert nun 9 Monate. Ich lebe wieder, bin zwar noch nicht ganz darüber hinweg, aber komme zurecht. Ich denke sehr viel nach und kann sagen, dass ich alles herausgefunden habe. Es herrscht nur noch ein heilloses Durcheinander in meinem Kopf, ich muss alles zuerst sortieren und auseinanderhalten. Schließlich muss ich das noch auf Papier bringen, irgendwie. Ich muss es tun, ich werde dazu gezwungen, ich werde keine Ruhe finden, bevor dieses Buch fertig ist! Ganz ehrlich, ich könnte stundenlang schreiben, aber dafür brauche ich Kraft, die ich im Moment einfach nicht habe. Ich könnte nur noch schlafen, aber geistig rattert’s – und wie.
Ich lese ab und zu meine Geschichte, die ich hier aufschrieb. Und da ich immer noch sehr viel denke und die Bilder und Worte im Kopf gespeichert habe, fügt sich alles zusammen wie ein Puzzle. Meine Geschichten sind alle verschlüsselt, es sind alles Codes, alles. Dieses Buch hat mein Unterbewusstsein geschrieben, sprich meine Seele. Meine Gefühle, meine Wahrheit, meine Erinnerung, alles steckt in diesen Zeilen. Denn deine Gefühle sind die Wahrheit und wenn du die Wahrheit kennst über dich, kannst du dich erinnern, erinnern, woher du kommst!
Ich bin gestorben und wurde wiedergeboren im Hier und im Jetzt! Es ist wie ein Ausatmen (tot) und Einatmen (lebendig). Die Großstädte, Autos, Flugzeuge auf der Erde, auf der wir leben, sind eine Illusion! Unsere Gesetze, Glaubensvorstellung, Werte, Grenzen, die wir vertreten, existieren nur in unseren Köpfen. Wir sind Gefangene unserer Selbst (hatte ich erwähnt, dass ich ausgestiegen bin?). Ich sehe, wie die Erde blutet, ich sehe die Wirklichkeit. Ihr seht die Welt in Glanz und Gloria, ihr seid verblendet. Ja, die Erde wurde ausgebeutet bis aufs Letzte und man tut es immer noch, aber alles, was wir der Erde antun, tun wir uns selbst an. Es steht alles geschrieben, es wurde alles verfilmt und gesagt, wie es ist, es ist uns dennoch immer noch nicht bewusst, weil wir es einfach nicht verstehen wollen! Alles ist eins. Wir sind verbunden mit Menschen, Pflanzen, Tieren, Steinen – alles ist verbunden, bis zum kleinsten Sandkorn. Wir sind eins mit dem Universum. Das Universum ist eins mit uns.
Fantasie und Menschenverstand sind real. Fantasie ist das Universum! Menschenverstand ist das, was wir tun. Das Universum ist allwissend. Es hat alle Informationen, die wir brauchen. Wir sind allwissend, weil wir ein Teil des Universums sind. Es gibt Abertausende solche Teile. Es gibt keine Vergangenheit und keine Zukunft, alles passiert in der Gegenwart, im Jetzt. Alles ist vorherbestimmt: deine Geburt, deine Kindheit, dein Erwachsenenalter, dein Tod. Du siehst es manchmal nicht ein, weshalb etwas so ist, wie es ist, weil du zuerst heranwachsen und Erfahrungen sammeln musst. Das ganze Leben ist eine einzige Schule. Wenn du gut aufpasst, und gute Noten nach Hause bringst, darfst du in die höhere Schule. Wenn du faul bist und nicht aufpasst, wirst du ermahnt durch Krankheit, Unfall oder irgendwas. Wenn du dann immer noch faul bist und nicht lernen möchtest, dann viel Spaß beim Wiederholen. Ich habe mich in diesem Leben nun sehr angestrengt. Ich werde das jetzt mit ganz einfachen Worten aufzeichnen, so als ob es ein Kind (das ich bin) geschrieben hätte.
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