„Und was sind die eigentlich wichtigen Dinge?“ fragte Betrüger-Schorschi. „Die abgenagten Fingernägel?“
„Keine Ahnung“, platzte Tante Pim unerwartet heraus. „Ich weiß wirklich nicht, was mit dem jungen Hubel los ist. Aber seine Nachrichten, die er mir aus dem Blauen Gebirge schickt, werden immer rätselhafter und wirrer! Und das, obwohl der junge Hubel eine so seriöse Person ist!“
Tante Pim sah Betrüger-Schorschi besorgt an.
„Vielleicht hat er tatsächlich nur ein Problem mit zerrupften Haaren oder abgenagten Fingernägeln“, fuhr sie fort. „Aber vielleicht ist er auch das Opfer eines schlimmen Verbrechens und seine Briefe sind verschlüsselte Hilferufe!“
„Wie das?“ horchte Betrüger-Schorschi auf.
„Hast du noch nie etwas vom Blauen Gebirge gehört?“ fragte Tante Pim. „Dort drohen einem viele Gefahren!“
Betrüger-Schorschi nickte und dachte an die merkwürdigen Geschichten, die er darüber gehört hatte.
„Und warum ist der junge Hubel dann dort hingegangen?
„Weil er ein tapferer junger Mann ist!“ sagte Tante Pim überzeugt. „Vielleicht wollte er Luisa Schönkopf imponieren! Bisher sind nur sehr wenige aus dem Blauen Gebirge wieder gekommen.“
„Also ist Luisa doch keine Erfindung!“
Tante Pim machte eine wegwerfende Handbewegung und sagte:
„Das ist doch nur die offizielle Version.“
Sie schlug sich erschrocken mit der Handfläche auf den Mund. Offensichtlich hatte sie sich verplappert.
„Und die inoffizielle?“ fragte Betrüger-Schorschi neugierig.
„Inoffiziell ist der junge Hubel in geheimer Mission unterwegs“, sagte Tante Pim gedehnt. „Natürlich darfst du das gar nicht wissen. Und natürlich darfst du das auch niemandem verraten!“
„Natürlich“, sagte Betrüger-Schorschi und setzte sein Ich-bin-ein-spitzenmäßiger-Geheimnishüter-Gesicht auf. „In welcher Mission ist der junge Hubel denn unterwegs?“
„Ich weiß es nicht genau“, sagte Tante Pim. „Ich weiß auch nur das, was der junge Hubel mir in seinen Briefen schreibt. Aber anscheinend soll er herausbekommen, warum fast niemand aus dem Blauen Gebirge zurück kommt.“
„Warum ist das denn wichtig?“ fragte Betrüger-Schorschi überrascht. „Es wird doch niemand gezwungen, dort hin zu gehen.“
Tante Pim beugte sich zu Betrüger-Schorschi vor und flüsterte ihm ins Ohr: „Man nimmt an, dass im Blauen Gebirge riesige Diamanten- und Edelsteinvorkommen sind! Das will man sich hier natürlich nicht entgehen lassen.“
Betrüger-Schorschi pfiff durch die Zähne.
„Du kannst dir sicher vorstellen, dass derjenige, der einen ungefährlichen Zugang zwischen hier und dem Blauen Gebirge schafft, mit Ruhm und Ehre überschüttet wird!“ fuhr Tante Pim fort. „Ich bin deshalb unheimlich stolz auf den jungen Hubel. Und erst sein Vater, der alte Hubel! Aber leider ist die Mission unwahrscheinlich gefährlich! Ich mache mir schreckliche Sorgen um ihn!“
Betrüger-Schorschi starrte Tante Pim an. Der junge Hubel interessierte ihn kein Bisschen. Und es war ihm egal, wenn seine Nägel bis zum Fleisch abgefressen oder er zehnmal in eine Felsspalte gestoßen werden würde, aber – war diese Mission nicht eine einmalige Gelegenheit für ihn selbst?
Die Entdeckung des Blauen Gebirges war genau das, was er brauchte, um reich und berühmt zu werden! Er hatte sich also intuitiv richtig entschieden, als er sein Glück im Blauen Gebirge suchen wollte. Im Geist sah er sich schon mit mehreren Säcken voller Edelsteinen auf einem roten Teppich zum Präsidenten eilen. Die Masse hinter der Absperrung jubelte ihm zu. Und mit dem Wissen, sich selbst einige Säcke davon abgezweigt zu haben, würde er diese Ehrbezeugung ohne Abstriche genießen können.
„Der junge Hubel ist auf jeden Fall die am besten geeignete Person für diese Mission!“ riss ihn Tante Pim aus seinen Träumereien.
„Warum denn der junge Hubel?“ fragte Betrüger-Schorschi irritiert. Hatte er gerade nicht sich selbst auf dem roten Teppich gesehen?
„Weil niemand sonst so gewandt, klug und unschlagbar wie er ist!“ sagte Tante Pim. „Deshalb ist der Gedanke auch unerträglich, dass ihm etwas zugestoßen sein könnte! Aber jetzt bin ich froh, dass du morgen mit deiner Puppe ins Gebirge fliegst und dort die Lage sondierst!“
„Halt, halt!“ sagte Betrüger-Schorschi. „Wer sagt denn, dass ich dem jungen Hubel helfen möchte? Ich habe ganz andere Pläne!“
„Aber du hast deinen Ballonkorb und die Flupppuppe!“ sagte Tante Pim. „Und hast du vorher nicht gesagt, dass du sowieso ins Blaue Gebirge fliegen willst?! Dann kannst du mir doch wirklich den Gefallen tun und einen kleinen Abstecher in die Stadt der Kinder zum jungen Hubel machen!“
„Ach, um mich sorgst du dich gar nicht“, sagte Betrüger-Schorschi. „Aber um den jungen Hubel!“
„Ich ahne Schlimmes für den jungen Hubel!“ sagte Tante Pim. „Aber was dich angeht, ahne ich nichts“
„Für mich empfindest du nichts!“ interpretierte Betrüger-Schorschi Tante Pims Worte. „Und trotzdem soll ich deinen Held retten? Wer bin ich denn? Ein Babysitter? Ich habe keine Zeit für aufgeblähte Hühner und abgenagte Fingernägel! Ich muss selbst reich und berühmt werden.“
„Und ich habe keine Zeit für Leute wie dich, die nur herkommen, um ihren Ballon abzustellen und Proviant einzuheimsen“, sagte Tante Pim wütend. „Pack deine Flupppuppe und verschwinde!“
Betrüger-Schorschi rührte sich nicht vom Fleck. Draußen war es schon dunkel. Bei Nacht konnte er unmöglich mit der Flupppuppe weiter fliegen. Er musste für diese eine Nacht bei Tante Pim bleiben.
„Liebe Tante Pim“, sagte er deshalb mit einschmeichelnder Stimme. „So war es doch nicht gemeint! Natürlich fahre ich zur Stadt der Kinder und sehe nach, ob ich den jungen Hubel retten kann. Aber versprechen kann ich es nicht!“
„Schön“, sagte die Tante und tat so, als ob sie die plötzliche Stimmungsschwankung ihres Neffen nicht bemerkt hätte. „Es wird auch wirklich höchste Zeit. Wer weiß, wer das große Huhn wirklich ist. Und wer weiß, was die abgenagten Fingernägel wirklich zu bedeuten haben.“
Während Tante Pim redete, kam Betrüger-Schorschi plötzlich ein glänzender Gedanke: Er würde den jungen Hubel tatsächlich im Blauen Gebirge suchen gehen. Aber sicher nicht, um ihm zu helfen, sondern ganz im Gegenteil, um ihn zu verstecken! Er selbst würde die Mission des jungen Hubels zu Ende bringen und seine eigenen Taschen mit den Diamanten des Blauen Gebirges füllen!
„Also gut!“ sagte Betrüger-Schorschi mit falscher Ergebenheit. „Ich werde den jungen Hubel finden und ihn in seiner abenteuerlichen Mission unterstützen!“
„Endlich begreifst du, dass die Sache auch dich etwas angeht“, sagte Tante Pim zufrieden. „Und wenn du deine Sache gut machst, wirst du sicher auch ein bisschen berühmt. Das willst du doch, oder?“
Betrüger-Schorschi nickte wie Tantes lieber Junge.
„Dann ist ja alles geklärt“, sagte Tante Pim lächelnd und stand auf.
Seltsamerweise ließ sie sich dieses Mal von Betrüger-Schorschis Falschheit täuschen und ahnte nicht seine wirklichen Absichten. Vielleicht war sie in Gedanken zu sehr mit dem Wohl des jungen Hubels beschäftigt, um das listige Funkeln in Betrüger-Schorschis Augen zu bemerken?
„Ich mache dir jetzt dein Bett zurecht“, sagte Tante Pim fürsorglich. „Für deine Reise musst du gut ausgeruht sein.“
Während sie in der Küche eine Pritsche aufstellte und ein paar Decken brachte, schaute Betrüger-Schorschi neben den Flupppuppenbeinen grinsend zum Fenster hinaus.
Außer der Flupppuppe war er niemandem gegenüber Rechenschaft schuldig. Und die Flupppuppe hatte sicher nichts gegen ein kleines Versteckspiel mit dem jungen Hubel. Er war frei und konnte tun und lassen, was er wollte. Vor diesem Hintergrund war es sicher nur eine Frage der Zeit, bis er im Blauen Gebirge alle wichtigen Fäden in der Hand hielt und reich und berühmt sein würde!
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