„Ich?“ schreckte Betrüger-Schorschi aus seinen schönen Gedanken auf.
Er räusperte sich, setzte sich aufrecht hin und sagte: „Ich bin Betrüger-Schorschi! Anerkannter Arzt, offizieller Flugbegleiter der Flupppuppe und jugendliche Geheimwaffe von Tante Pim!“
„Tante Pim?“ fragte der Torwart und zog seine Schultern fragend nach oben. „Nie gehört. Wohnt sie im Blauen Gebirge?“
„Das nicht“, sagte Betrüger-Schorschi. „Aber sie hat mich hier her geschickt, um einen wichtigen Auftrag zu erledigen.“
„Ein wichtiger Auftrag?!“ fragte der Torwart misstrauisch. „Das muss ich wissen. Als Wärter des Tors bin ich für alle wichtigen Aufträge zuständig, die von Drüben kommen!“
Betrüger-Schorschi wand sich auf seinem Stuhl. Er war in geheimer Mission unterwegs. Sicher durfte er niemandem erzählen, worum es bei dem Auftrag ging. Und schon gar nicht jemandem aus dem Blauen Gebirge! Offensichtlich konnte der Torwart die Menschen jenseits des Gebirges sowieso nicht leiden. Wie viel weniger würde es ihm gefallen, wenn er erfahren würde, dass sich die Menschen aus seinem Land entschlossen hatten, die Steine aus dem Blauen Gebirge auszuführen?!
„Es hat etwas mit der Stadt der Kinder zu tun“, sagte er deshalb ausweichend.
„ Stadt der Kinder ?“ sagte der Torwart erstaunt. „Die gibt’s hier nicht!“
„Doch, doch“, beharrte Betrüger-Schorschi.
Es konnte nicht sein, dass es die Stadt hier nicht gab! Schließlich hatte der junge Hubel in seinem Brief davon berichtet!
„Glauben Sie mir“, sagte der Torwart. „Ich kenne das Blaue Gebirge wie meine Westentasche und bin mir sicher, dass es hier keine Stadt der Kinder gibt!“
„Es muss diese Stadt aber geben!“ sagte Betrüger-Schorschi aufgebracht. „Vielleicht kennen Sie die Stadt nicht, weil sich deren Bewohner so gut wie möglich von der Außenwelt abschotten. In der Stadt wohnen lauter Kinder oder kindische Personen. Niemand, der erwachsen geworden ist.“
„Ach!“ sagte der Torwart. „Sie meinen Entenhausen ?“
Betrüger-Schorschi zuckte unsicher mit den Achseln.
„Gibt es dort ein Großes Huhn ?“ fragte er.
„Eigentlich nicht“, meinte der Torwart. „Aber vielleicht meinen Sie Henriette Huhn, diese alberne Freundin von Minnie Maus und Klarabella Kuh? - Warum, was ist mit ihr?“
„Sie hat dem jungen Hubel die Haare abgefressen!“ erwiderte Betrüger-Schorschi.
„Das hört sich ja schrecklich an“, sagte der Torwart und sah belustigt zur Flupppuppe. „Wahrscheinlich hat er ihren Hut verrutscht. Wer ist der junge Hubel überhaupt?“
Betrüger-Schorschi schaute irritiert zur Flupppuppe. Warum kannte der Torwart weder die Stadt der Kinder noch den jungen Hubel? Schließlich musste der junge Hubel doch auch durch das Sturmauge ins Blaue Gebirge gekommen sein. Oder etwa nicht?
Und warum hörte sich beim Torwart alles so anders an als bei Tante Pim?
Die Flupppuppe bemerkte seine Verwirrung und fragte den Torwart: „Vielleicht liegt die Stadt der Kinder auf der anderen Seite des Gebirges?“
„Gut möglich“, sagte der Torwart. „Aber warum seid ihr dann zu mir gekommen?“
„Weil es wieder Zeit für Suppe bei euch ist“, antwortete die Flupppuppe.
„Wie wahr!“ sagte der Torwart und schenkte der Flupppuppe Suppe nach. „Tatsächlich brauchen wir dringend deine Hilfe!“
„Was gibt es denn?“ fragte die Flupppuppe.
„Das Baby will nicht mehr essen!“
„Oh!“ machte die Flupppuppe und legte ihren Suppenlöffel zur Seite. „Habt ihr es schon mit Pudding probiert?“
Der Torwart nickte.
„Mit gezuckerter Milch und Keksen?“
Wieder nickte der Torwart.
„Dann probiert es mal mit Leberpastete“, sagte die Flupppuppe zuversichtlich. „Das hat bis jetzt immer geholfen!“
„Dieses Mal eben nicht!“ rief der Torwart aus. „Selbst die Leberpastete hat es dieses Mal verschmäht!“
Die Flupppuppe schüttelte ungläubig den Kopf. Es konnte nicht sein, dass das Baby nicht einmal mehr Leberpastete essen wollte!
„Halt! Stopp!“ rief Betrüger-Schorschi. „Ich verstehe überhaupt nichts mehr! Auf welcher Seite vom Blauen Gebirge sind wir denn hier?“
„Auf der richtigen!“ sagte der Torwart knapp. „Wir sind hier, aber Sie sind von drüben!“
„Aber was machen wir denn dann hier?“ fragte Betrüger-Schorschi die Flupppuppe.
„Suppe essen!“, wiederholte die Flupppuppe und unterhielt sich weiter mit dem Torwart über das Baby.
„Um welches Baby geht es eigentlich?“ fragte Betrüger-Schorschi irgendwann dazwischen. „Was fehlt ihm denn?“
Eigentlich hatte er für Babys nichts übrig. Aber er konnte es nicht leiden, in einem Gespräch links liegen gelassen zu werden. Immerhin war er neben seiner momentanen Agenten-Tätigkeit auch Arzt und er konnte den Torwart sicher durch ein paar schlaue Bemerkungen beeindrucken.
„Von dem Baby natürlich“, sagte der Torwart ungeduldig. „ Jeder kennt das Baby!“
„Baby ist einfach Baby“, erklärte die Flupppuppe. „Es hat keinen Namen, denn niemand weiß, zu wem es gehört und woher es gekommen ist. Eines Morgens saß es plötzlich oben auf dem Kessel-Berg. Und seitdem sitzt es da und schreit, wenn es Hunger hat.“
„Warum holt es denn keiner vom Berg runter?“ fragte Betrüger-Schorschi verwundert.
„Weil es dafür viel zu groß ist!“ sagte die Flupppuppe. „Das Baby ist dreißig Meter hoch, fünfzehn Meter breit und wiegt 200 Tonnen.“
„220 Tonnen“ korrigierte der Torwart. „In den letzten beiden Jahren hat es noch mal zugelegt!“
Betrüger-Schorschi schluckte. „Und wer füttert das Baby?“
„Warum sind Sie eigentlich hier?“ knurrte der Torwart, „Warum sind Sie überhaupt mit der Flupppuppe mitgekommen, wenn Sie von uns offensichtlich keine Ahnung haben?“
„Weil er mir mit Rat und Tat zu Seite stehen kann!“ sagte die Flupppuppe überzeugt.
Betrüger-Schorschi wuchs ein paar Zentimeter. Ein Kompliment aus dem Mund dieser Frau war mehr als er verlangen konnte!
„ Der ?“ fragte der Torwart skeptisch. „Wie denn?“
„Er ist Arzt!“ erinnerte ihn die Flupppuppe. „Sicher weiß er, wie man das Baby wieder zum Essen kriegt.“
Die Flupppuppe lächelte den Torwart bezaubernd an und erklärte Betrüger-Schorschi: „Alle aus dem Blauen Gebirge müssen das Baby füttern. Weil das Baby so viel isst, wird es langsam knapp mit den Lebensmitteln. Vor allem Milch, Kekse und Puddingpulver gibt es fast nirgends mehr zu kaufen.“
„Schokolade gibt’s auch fast keine mehr!“ sagte der Torwart.
„Warum wird es dann noch gefüttert?“ meinte Betrüger-Schorschi. „Wenn es so schwer ist, würde ihm eine Diät sicher nicht schaden!“
Der Torwart sah Betrüger-Schorschi vernichtend an.
„Andere Länder, andere Sitten“, meinte die Flupppuppe vermittelnd.
„Weil das Baby sonst wütend wird!“ knirschte der Torwart zwischen den Zähnen. „Und wenn das Baby wütend wird, reißt es riesige Steine vom Berg, schmeißt sie ins Tal und zerstört dabei unsere Häuser!“
„Aber dann könnt ihr doch froh sein, wenn es zur Zeit gar nichts essen will!“ sagte Betrüger-Schorschi.
„Im Gegenteil!“ rief der Torwart. „Dann ist es noch unausstehlicher! Wahrscheinlich hat es vom vielen Essen Bauchweh und ärgert sich jetzt, dass es nichts mehr essen kann. Auf jeden Fall schmeißt es zur Zeit mit noch mehr Steinen um sich als sonst!“
„Nicht sehr sympathisch, dieses Baby“, fasste Betrüger-Schorschi die Fakten zusammen.
Die Flupppuppe und der Torwart nickten.
„So aus der Ferne kann ich natürlich nicht sagen, wie man das Baby wieder zum Essen kriegt“, sagte Betrüger-Schorschi. „Ich müsste es mir schon mal aus der Nähe ansehen.“
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