Was war das?!
Traum oder Wirklichkeit?
Neben ihm lag ein schwerer Eisenhaken, der an einem Seil befestigt war und sich offensichtlich in den Korbboden gebohrt hatte!
Betrüger-Schorschi kniff sich in den Arm und spürte einen Schmerz. Ohne Zweifel: Er war wach.
Aber was sollte dann der Haken neben ihm? War er gekapert worden? Aber falls ja, von wem?
Es gab einen weiteren Ruck, und Betrüger-Schorschi bemerkte, dass der Ballon nach unten gezogen wurde!
Er fröstelte. Hatten ihn womöglich jetzt schon die gefährlichen Bergbewohner am Haken?
Mit mulmigem Gefühl und zittrigen Knien stand er auf und spähte vorsichtig über den Korbrand.
Glück gehabt!
Offensichtlich war er doch noch nicht im Blauen Gebirge! Denn die winzig kleine Person, die etwa fünfzig Meter unter ihm neben ihrem Haus stand und an dem Seil zog, war kein gefährlicher Bergbewohner, sondern niemand anders als Tante Pim!
Gute, hellsichtige Tante Pim!
Tante Pim war eine kleine, drahtige Person mittleren Alters und hatte immer wichtige Dinge am Laufen. Eine Aura des Besonderen und Einzigartigen umgab sie. Sicher hatte sie geahnt, dass ihr Neffe im Korb eingeschlafen war und deshalb verpasst hatte, die Puppenbeine rechtzeitig zum Sinken zu bringen! Und sicher hatte sie schon den ganzen Tag am Fenster gestanden und auf ihn gewartet!
Tante Pim hatte zwar nicht den siebten Sinn, aber immerhin treffsichere Ahnungen .
Jetzt manövrierte sie den Korb geschickt zwischen den Bäumen und Sträuchern hindurch auf die freie Rasenfläche vor dem Haus.
Betrüger-Schorschi schaute ihr fasziniert zu. Dabei vergaß er sogar, die Klappe in den Puppenbeinen zu öffnen, um Gas abzulassen, und so musste seine Tante ihre ganze Kraft aufbieten, um den vollgepumpten Puppen-Ballon nach unten ziehen zu können.
Mit rotem Gesicht und zitternden Händen knotete sie das Seil schließlich an einem Baumstamm fest.
Als Betrüger-Schorschi sicher gelandet war, öffnete er endlich die Klappe in den Plastikbeinen. Zu viel Luft wollte er allerdings nicht entweichen lassen, denn, wie er wusste, legte die Puppe großen Wert auf ihre Beine.
Dann sprang er aus dem Ballonkorb und umarmte seine Tante. Sie roch nach Pfefferminz. Seit er zurück denken konnte, roch seine Tante nach Pfefferminz!
Tante Pim löste sich aus der Umarmung, zeigte auf die Puppenbeine und fragte Betrüger-Schorschi: „Na, mein lieber Junge, wen hast du denn da mitgebracht?“
‚Sag’ nicht Junge zu mir’, dachte Betrüger-Schorschi verärgert. Doch er wehrte sich nicht laut dagegen, denn er wollte seinen Schlafplatz und den Proviant nicht aufs Spiel setzen.
„Das ist die Flupppuppe!“ sagte er deshalb laut. „Darf ich euch vorstellen: Die Flupppuppe, Tante Pim. Tante Pim, die Flupppuppe.“
„Sie sieht nett aus“, stellte Tante Pim fest. „Ich kann allerdings nur ihre Beine sehen!“
„Mehr gibt es bei ihr auch nicht zu sehen“, knurrte Betrüger-Schorschi. „Die Flupppuppe kommt jeden Sonntag und streckt ihre Beine durchs Fenster. Dann gibt es Suppe und alles ist gut.“
„Aha!“ sagte Tante Pim und zog ihre Augenbrauen nach oben. „Deshalb habe ich heute Abend also Suppe gekocht! Ich hatte mich schon gewundert. Hoffentlich stimmt, was du sagst! Erst heute habe ich einen Brief vom jungen Hubel bekommen. Aber leider nicht mit guten, sondern mit sehr schlechten Neuigkeiten.“
„Was schreibt er denn?“ fragte Betrüger-Schorschi neugierig.
Er kannte den jungen Hubel nicht persönlich. Aber er wusste von Tante Pim, dass er eine wichtige Persönlichkeit war. Er wurde oft in den Zeitschriften, die seine Tante las, abgebildet. In Betrüger-Schorschis Augen sah er aber wie ein gelackter Affe aus.
„Fährt der Flupppuppen-Ballon gut?“ lenkte Tante Pim vom Thema ab.
„Sicher!“ antwortete Betrüger-Schorschi stolz. „Über 3000 Meter Höhe!“
„Das scheint mir ein bisschen viel zu sein“, meinte Tante Pim skeptisch.
„Du darfst nicht vergessen, dass das kein gewöhnlicher Ballon ist, sondern die Flupppuppe!“
„Glaubst du, sie könnte es bis ins Blaue Gebirge schaffen?“
„Sicher“, sagte Betrüger-Schorschi. „Ich hatte sogar vor, mit ihr morgen zum Blauen Gebirge zu fliegen. - Aber was ist denn jetzt mit dem Brief vom jungen Hubel?“
„Das erzähle ich dir lieber in der Küche bei einem Löffel Suppe“, sagte Tante Pim. „Was sollen wir mit deiner Freundin so lange machen?“
“Wir öffnen das Küchenfenster, und lassen sie ihre Beine hindurch strecken“, sagte Betrüger-Schorschi. „Etwas anderes ist sie nicht gewöhnt.“
Als alle drei in der Küche waren und genüsslich ihre Suppe schlürften, kam Tante Pim wieder auf den jungen Hubel zu sprechen:
„Also, Junge. Eigentlich geht es dich natürlich nichts an, was mir der junge Hubel schreibt. Aber ich hoffe, dass die Sache unter uns bleibt?!“
„Klar“, antwortete Betrüger-Schorschi und sah seine Tante betont treuherzig an. Insgeheim hoffte er allerdings, dass er aus dem Brief irgendeinen Nutzen schlagen konnte. „Du kannst mir das Geheimnis des jungen Hubel ohne Sorge anvertrauen“, sagte er mit einschmeichelnder Stimme. „Ich werde schweigen wie ein Grab!“
„Der junge Hubel steckt in Schwierigkeiten!“ sagte Tante Pim.
Betrüger-Schorschi nickte ernst, aber eigentlich war ihm eher zum Lachen zumute. Welches großartige Problem konnte der junge Hubel, das geschniegelte Vorzeigesöhnchen seiner Region, schon haben? Hatte er vielleicht Haarfresser oder kaute er heimlich an den Nägeln?
Tante Pim sah Betrüger-Schorschi fest in die Augen und sagte: „Junge, dir wird das Lachen schon noch vergehen. Wenn ich nicht glauben würde, dass du und die Flupppuppe dem jungen Hubel helfen könnt, würde ich dich einfach weiterhin einen Kindskopf sein lassen ...“
Betrüger-Schorschi hasste es, wenn seine Tante so zu ihm sprach! Sie nahm ihn offensichtlich nicht ernst! Ihn, Betrüger-Schorschi, Spezialist unwahrscheinlicher Krankheiten, Koch nie da gewesener Speisen und Weltentdecker unverhoffter Gegenden! Er würde seiner Tante schon noch zeigen, was aus ihrem Neffen inzwischen geworden war! Er richtete sich hoch über seinem Suppenteller auf und schaute seiner Tante herausfordernd in die Augen.
„Na endlich!“ seufzte Tante Pim. Sie wusste nur zu gut, dass Betrüger-Schorschi oft etwas anders behauptete als er dachte. In ihren Augen war ihr Neffe einfach nur ein kleiner, hochstaplerischer Betrüger. Aber immerhin war jetzt sein Ehrgeiz geweckt. Deshalb sagte sie: „Gut, dann höre zu, was der junge Hubel schreibt:
Liebe Tante Pim,
gleich zu Beginn: Es ist noch nicht zu spät. Als ich heute im Restaurant ‚Zwick mich’ saß, kam das große Huhn und blähte sich gewaltig auf und rupfte mir ein paar Haare vom Kopf. Sie sehen jetzt wirklich zerfressen aus. Auch meine Nägel werden immer abgenagter, ich kann mich bald nicht mehr in der Öffentlichkeit sehen lassen. Was das bedeutet, liebe Tante, weißt du nur zu gut. Deshalb bitte ich dich, nein, ich flehe dich an, sende mir sofort einen Luftboten ins Blaue Gebirge in die Stadt der Kinder. Dort bin ich noch relativ sicher. Ich werde bis dahin überlegen, welche weiteren Schritte eingeleitet werden müssen. Wie geht es dem alten Hubel? Sag ihm, dass ich ihn vermisse und richte auch Luisa Schönkopf einen Gruß von mir aus!
Ich grüße dich herzlich,
dein junger Hubel“
„Wer ist Luisa Schönkopf?“ fragte Betrüger-Schorschi.
„Luisa Schönkopf?!“ sagte Tante Pim, „Warum interessierst du dich ausgerechnet für sie? Luisa Schönkopf spielt in der Sache keine Rolle.“
„Immerhin lässt der junge Hubel sie schön grüßen.“
„Pah, Luisa “, machte seine Tante, „Ich habe noch nie etwas von ihr gehört. Wahrscheinlich hat der junge Hubel den Namen nur erfunden, um von den eigentlich wichtigen Dingen abzulenken.“
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