Diese Tafelmalerei der Gotik, Tempera auf Holz: diese sanften und zarten Gesichter, die stilisierte Jugend, der dünne Hals mit der langen Nackenlinie, die warmen und kostbaren Farben, diese holdselige Anmut und harmonische Ruhe der Madonna. Ich meine, die Künstler hatten sich ja etwas dabei gedacht, was sie da malten, es ging um Erbauung, um Mystik, der Betrachter sollte in eine religiöse Stimmung kommen. Ich hatte immer schon das Gefühl gehabt, daß da irgendwas nicht stimmt. Es kann nicht richtig sein, wenn ein reicher Bürger sich ein Bild bestellt und bekommt, vor dem er dann so richtig kontemplativ sein kann, weil der Maler das so geschickt vorausberechnet hat. Heiligenbilder hatte es ja vorher auch schon gegeben, und neu war nur die Technik. Vorher, im Mittelalter, da sah man den Figuren noch an, was sie einem sagen wollten. Hintenherum, das war eine Erfindung der Gotik.
Es war schon merkwürdig, wie ich dieses Lied hörte. »Gonna fly, now«, diese typische Joggermusik, die ja auch ziemlich gut berechnet ist mit den schmetternden Trompeten und den hohen Frauenstimmen: Los, leg' noch was zu, und dann fliegst du!, man kann sich dem kaum entziehen. Und als ich vor ihm stand, da wußte ich nicht, ob diese Stimmen seine Seele begleiteten, die gerade in den Himmel sprang, oder ob es ein zynischer Abgesang auf einen Jogger war, der sich selbst überschätzt hatte. Ich dachte an Stephan Lochner, wie er in seiner Werkstatt arbeitete, und seinen Lehrling anmeckerte, weil er schon wieder nicht genug Rot in die Farbe für Marias Haare gemischt hatte: rot, rot ist die Farbe, von der den Betern schwummerig wird, wann begreifst du das endlich?!
Der Notarzt kam, fragte mich, ob ich den Mann kenne, und wie lange er schon so da säße. Dann faßte er ihm kurz an den Hals, leuchtete ihm ins Auge, murmelte etwas zu dem Sanitäter, sie schoben den Mann in den Rettungswagen und fuhren nach etwa fünf Minuten ohne Blaulicht ab. Ich ging ins Büro, und ich dachte etwas von frühem Mittelalter, von der Wiederentdeckung des Menschen in der Renaissance und von Lüge.
kann ja jeder. Das ist irgendwie keine Kunst. Man muß das schon ein bißchen vorbereiten. Wenn ich mich vor den Fernseher setze, weiß ich ganz genau, was in den Programmen kommt, mindestens fünf Programme weiß ich auswendig, und die Fernsehzeitung liegt genau vor mir auf dem Tisch. Die wichtigen Sachen sind rot angestrichen, da sehe ich mit einem Blick, worauf es ankommt.
Die Fernbedienung kann ich im Schlaf schalten. Das geht so schnell, da merkt man gar nicht, daß man den Kanal wechselt.
Am besten ist es, wenn irgendein James Bond kommt. John Wayne geht auch, oder meinetwegen auch Schwarzenegger. Aber James Bond ist besser. Das Problem ist doch das: Wenn also der Bond auftritt und die Gangster erschießt, da möchte man ja dabei sein und selber schießen. Aber dann weiß man doch irgendwie, daß das nicht echt ist: Also das Blut ist ja gar kein richtiges Blut, und die Gangster oder die einfachen Polzisten sind ja gar nicht richtig tot. Das ist doch alles nur gestellt, die Szene wird gedreht, und wenn sie dann tot sind und das ist im Kasten, dann sind sie wieder lebendig und stehen auf. Und dann komme ich.
Ich schalte dann um. Ich weiß nämlich genau, wo gerade Nachrichten sind, da schalte ich dann hin, und dann sind die Leute ja wirklich tot. Also manchmal erst beim zweiten oder dritten Versuch, wenn gerade keine Toten in den Nachrichten sind, aber irgendwo finde ich dann schon was. Und wenn also die richtigen Toten da waren, dann schalte ich wieder zurück, und dann sehe ich James Bond, wie er einen richtig totgeschossen hat. Oder meinetwegen John Wayne oder Arnold Schwarzenegger, aber dann stelle ich mir also vor, daß ich James Bond bin; nur, daß ich ein richtiger Held bin, weil ich ja richtig die anderen erschossen habe und nicht nur Schauspieler.
Nur wenn ich keine Nachrichten kriege, das ist schon blöd, dann sucht man hin und her, und wenn man wieder zurückschaltet, dann sind da nur diese blöden Filmszenen, aber da darf man sich nicht beirren lassen. Denn dann muß man sich das eben vorstellen, daß das Blut doch echt ist, und man geht da so über die echten Leichen und so, und das ist ja auch die Kunst dabei. Da muß man sich schon anstrengen, und das ist echt Arbeit dann, aber wenn es klappt, dann hat es sich auch gelohnt. Ja, weil sonst wär’ ich ja auch kein Künstler.
in einer guten Ehe muß es auch guten Sex geben. Manche Ehen scheitern ja sogar daran, daß das nicht funktioniert. Eigentlich schade, daß deshalb so viel Leid in glückliche Ehen kommt.
Manche Leute glauben, ich wäre Motorrad gefahren. Dabei hatte ich nie einen Motorradführerschein. Nein, ich ging gerade über einen Zebrastreifen, und ein betrunkener Autofahrer hat mich erwischt.
Da ist so ein Halswirbel gebrochen. Als ich aus dem Koma erwachte, konnte ich den Kopf bewegen und sonst nichts. So ist es auch geblieben.
Inzwischen helfen mir eine Reihe technischer Hilfsmittel. Ich kann meinen Rollstuhl selber steuern, ich kann einen Computer bedienen. Ja, ich habe einen Löffel – eine Art Negativ von meinem Gebißabdruck – mit einem Holzstab dran. Damit kann ich tippen, auch telefonieren. Meine Frau unterstützt mich dabei. Wir führen eine sehr harmonische Ehe; unser Sexualleben ist erfüllt. Doch, ich sprach doch schon von dem Holzstab. Ich habe auch einen mit einer Zahnbürste dran – natürlich einer weichen –; meine Frau spreizt die Beine, ich bewege den Stab. Wir haben schon eine Menge verschiedener Stellungen ausprobiert, und sie hat noch jedesmal einen Orgasmus bekommen.
ich von Neuseeland.
Ich denke: Canterbury Plains, Southland, Haere Inn am Highway 34. Ich sehe: die große Ebene unter dem Franz Josef Glacier; Farmerfamilien, die sich bei Sonnenuntergang auf einen Schluck treffen, Maoris und Pakehas, Weiße, die sich Kiwis nennen, nach dem Vogel, nicht nach der Frucht. Ich fühle: Freiheit?
Peter würde mir zuliebe auswandern. Aber Peter ist kein Farmer. Er verträgt das Klima nicht. Wir waren zwei Tage in Auckland, da ist seine Schuppenflechte explodiert. Es wäre für ihn schwerer, in Neuseeland zu leben, als für mich, hier zu bleiben.
Ich glaube, daß wir glücklich sind. Ich kann nicht sagen, daß ich leide. Ich verstehe nicht, warum mich das manchmal überfällt. Es ist ja nur eine fixe Idee, ein überwertiger Gedanke. Es ist ein Achja, eine hartnäckige Traurigkeit. Peter ahnt, was mit mir vorgeht. Ich glaube nicht, daß er es versteht; aber er bemüht sich. Er beklagt sich nicht, wenn ich ihn nur flüchtig begrüße, wenn ich nicht recht zuhöre. Er sagt: Quäl dich nicht, sprich mit mir, wenn du willst, ich lasse dich solange in Ruhe.
Meine Freundin meint, daß sie das kennt. Sie würde im Sommer lieber ans Meer fahren, und sie müßte immer in die Berge. Aber das ist was anderes, das ist im Kopf, nicht im Bauch. Gisela empfiehlt, ich soll eine Therapie machen. Ich soll herausfinden, was Neuseeland wirklich für mich bedeutet. Es sei mein Es, das mich treibt. Ich soll das aufdecken. Wo Es war, soll Ich werden. Wenn es nicht anders ginge, müsse ich mich von Peter trennen. Aber ich kann mich nicht von Peter trennen, ich will es nicht; und man kann auch keine Therapie machen, weil man woanders leben will.
Als ich bei Vater war, habe ich geweint. Wir saßen in seinem Garten, unter einem Pflaumenbaum, und tranken Orangensaft. Auf der Flasche stand »orange juice«, über dem Baum war eine Quellwolke. Ich dachte: wie in Whakatane, aber es war nicht dort, es war hier. Vater überlegte, dann fragte er, ob mit meiner Ehe etwas nicht stimmt. Aber das Problem ist ja, daß die Ehe stimmt. Er sagte: Du wolltest immer weg von hier. Du warst immer auf der Suche. Aber so wirst du es nicht finden. Schau mal, sagte er, wir hatten es damals leichter nach dem Krieg. Ich habe auch nicht davon geträumt, Bahnbeamter zu werden; aber ich war froh, daß ich die Stelle hatte, und deine Mutter war es auch. Das Wichtigste ist der Mensch, den du liebst. Es ist schwer geworden, sich zu entscheiden. Aber du mußt wissen, was du willst, weil dir das niemand abnehmen kann; und dann mußt du zufrieden sein mit dem, was du bekommst, und dem, was du dafür aufgibst. Ich habe ihn gefragt, wie er das geschafft hat, und er sagte, daß ich klarer sehe, wenn ich Mörike lese und Stifter.
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