„Wo soll unser Ausflug eigentlich hingehen?“, fragte ich die anderen und biss hungrig in mein Brötchen.
„Darüber müssen wir noch mit den anderen disku... diskusieren“, brummelte Timbu, stolz darauf, dass er sich eines der Fremdwörter gemerkt hatte, die Albert ihm erst vor kurzem beigebracht hatte.
„Es heißt diskumieren, nicht diskusieren“, wandte Cangoo kauend ein. „Und überhaupt, kannst du mal aufhören, dauernd mit Fremdwörtern um dich zu werfen?! Das nervt zum Beispiel.“ Timbu verstummte etwas eingeschüchtert und widmete sich konzentriert seinem zweiten Topf Honig.
„Wenn ihr’s genau wissen wollt, es heißt diskutieren, mit ‚t‘, sagte ich und nahm mir noch ein Brötchen.
„Diskutieren, quatschen, reden, labern“, kreischte Mintz von der Stange, „ist doch alles dasselbe.“
Die Tür ging auf, und mein Vater kam rein. Sofort flog Mintz ihm auf die Schulter und zerzauste ihm liebevoll die Haare. Denn seit Mintz bei uns eingezogen war, waren mein Vater und er die dicksten Freunde. Mein Vater kraulte ihn am Schnabel und sah uns erstaunt an.
„Wieso seid ihr schon alle auf?“
„Weil wir einen Ausflug machen zum Beispiel“, erklärte Cangoo ihm kauend. „Aber erst mal müssen wir darüber dismu... disku... dingsa, wohin überhaupt.“
„Das entscheiden wir erst, wenn alle da sind“, sagte mein Vater, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und setzte sich zu uns. Er sah müde aus. Wie meistens hatte er bis spät in die Nacht Leinwände bespannt, die Watahulu, der Elefant, dann bemalt hatte.
„Wo bleibt Watahulu überhaupt?“ fragte ich.
Als hätte er das gehört, spazierte der Elefant in diesem Moment herein und trompetete dabei eine fröhliche Melodie auf seinem Rüssel. Denn Watahulu war nicht nur ein toller Maler, er konnte auf seinem Rüssel auch ausgezeichnet Trompete spielen. Kurz darauf saßen auch Pferdfreund, unser schöner Schimmel, Noko, das Krokodil und Albert am Tisch. Nun waren alle versammelt. Mein Vater schenkte sich eine zweite Tasse Kaffee ein. „Habt ihr euch schon überlegt, was ihr machen wollt?“
Schüchtern hob Watahulu den Rüssel. „Ich bin dafür, dass wir uns eine Bilderausstellung ansehen.“
„Totaler Quatsch“, protestierte Cangoo, der für Kunstkram, wie er es nannte, überhaupt nichts übrig hatte. „Ich will ins Aquarium, Fische angucken.“
„Können wir nicht lieber ins Kino gehen“, wandte Noko, das Krokodilmädchen, zaghaft ein.
„Keinen Bock zum Beispiel“, maulte Cangoo. „Du willst dir ja bloß wieder irgend einen bekloppten Liebesfilm reinziehen.“ Ertappt senkte Noko den Kopf, denn sie hatte wirklich eine große Schwäche für romantische Filme. Auch, wenn sie dabei meistens vor lauter Rührung weinen musste.
„Ruhe“, ermahnte mein Vater Cangoo. „Jeder von uns hat das Recht, seine Wünsche zu äußern. Mintz, was möchtest du?“
„Mir egal“, kreischte Mintz. „Hauptsache wir gehen irgendwohin, wo ich nicht friere.“ Mintz kam nämlich ursprünglich vom Amazonas, und wenn er etwas nicht leiden konnte, so waren es Kälte und Schnee. Es schneite zwar nicht mehr, aber für April war es trotzdem noch nicht besonders warm, und meistens wehte vom Meer ein kühler Wind herüber.
„Albert?“ Fragend sah mein Vater Albert an.
„Ich bin für eine philosophische Vorlesung“, erwiderte Albert mit seiner hohen Stimme. Denn Albert las für sein Leben gern, und das schon seit 875 Jahren, seit er auf der Welt war.
„Philo... philo... was?!“ regte Cangoo sich auf, der mit Büchern überhaupt nichts am Hut hatte.
„Eine philosophische Vorlesung“, wiederholte Albert ruhig. „Wo man etwas darüber erfahren kann, warum die Menschen und Tiere auf der Welt sind, woher sie kommen und wohin sie gehen.“
„War ja klar, dass so ein Schwachsinn nur von so einem blöden Gespenst wie dir kommen kann“, rief Cangoo wütend. „Ich habe jedenfalls keinen Bock, vor Langeweile tot umzufallen.“
„Erstens ist Albert schon lange kein Gespenst mehr, sondern letztes Jahr sichtbar geworden. Und zweitens würde es dir garantiert gut tun, wenn du endlich mal was für deinen Kopf tun würdest, außer dir die Haare zu kämmen“, verteidigte Pferdfreund Albert.
„Schluss jetzt!“ sagte mein Vater ruhig, der befürchtete, dass Cangoo und Pferdfreund sich gleich wieder in den Haaren haben würden. „Kira, wofür bist du?“
„Ich finde Watahulus Idee gut. Bilder angucken macht Spaß.“ Genervt vergrub Cangoo seinen Schädel zwischen den Pfoten. Watahulu strahlte wie ein Honigkuchenpferd.
„Gut, dann ist es beschlossene Sache. Wir sehen uns eine Ausstellung an“, beendete mein Vater die Diskussion.
Abends um sechs saßen wir alle gemeinsam vor dem Kamin, in dem ein warmes Feuer knisterte, und sprachen über die Ausstellung, zu der wir extra in die nächst größere Stadt gefahren waren.
„Am besten hat mir die Landschaft mit den Kornblumen gefallen“, schwärmte Watahulu, der noch immer ganz begeistert von dem war, was er gesehen hatte.
„Hast du jetzt wieder Ideen für neue Bilder bekommen?“ fragte Albert ihn und machte dabei ein ganz ernsthaftes Gesicht.
„Jede Menge. Die Bilder haben mich total inspiriert“, sagte Watahulu begeistert.
„Inspi... was?!“ maulte Cangoo, dem es überhaupt nicht passte, dass alle dauernd mit Fremdwörtern um sich warfen. „Könnt ihr nicht mal Deutsch reden?“
„Wenn jemand von etwas inspiriert ist, heißt das, dass er eine Anregung bekommen hat“, erklärte mein Vater ihm.
„Anregung, was ist das zum Beispiel?“ fragte Cangoo verständnislos. Auch das Krokodil sah meinen Vater so an, als ob er von einem anderen Planeten käme.„Eine Anregung ist eine Idee, eine Art Geistesblitz. Man sieht, liest oder hört etwas, das einen so begeistert, dass man sofort Lust bekommt, selbst etwas zu schaffen.“
„Wenn schon“, murrte Cangoo unwillig. „Dann bin ich dauernd inspi... miert.“
„Ja, zum Fressen“, neckte Pferdfreund ihn. „Aber sonst kriegst du doch nichts auf die Reihe.“
„Hört auf, ihr zwei!“ rief ich. Ich wusste, dass Cangoo sich nichts mehr ersehnte, als eines Tages berühmt und von allen bewundert zu werden. Aber da er am liebsten berühmt geworden wäre, ohne etwas dafür zu tun, hatte der Ruhm bisher noch auf sich warten lassen. Um so mehr beneidete Cangoo den bildschönen Schimmel Pferdfreund, der schon eine Menge Filme gedreht hatte und sogar in Hollywood eine Berühmtheit war.
„Du bist zum Beispiel total blöd“, blökte Cangoo Pferdfreund an. Denn er ärgerte sich darüber, dass Pferdfreund immer so tat, als ob er etwas Besonderes wäre. Und dass alle anderen das auch zu glauben schienen, erzürnte ihn fast noch mehr.
Pferdfreund wollte gerade etwas erwidern, als mein Vater wieder das Wort ergriff. „Hört endlich auf zu streiten!“ wies er die beiden zurecht. „Im Moment gibt es etwas viel Wichtigeres zu bereden.“
„Was denn?“ fragte Noko schüchtern und robbte etwas näher an meinen Vater heran.
„Kiras elften Geburtstag“ sagte mein Vater. „Der ist nämlich übermorgen.“
GEBURTSTAGSVORBEREITUNGEN
Als ich am nächsten Morgen, einen Tag vor meinem Geburtstag, die Augen aufschlug, stand Albert an meinem Bett und sah mich mit seinen großen Kulleraugen, die vom vielen Lesen schon ganz rund waren, nachdenklich an.
„Was machst du denn schon hier?“ fragte ich und rieb mir den Schlaf aus den Augen. Im Zimmer war es nicht besonders hell, und durch die Fensterscheibe sah ich dichte Schneeflocken durch die Luft wirbeln.
„Dich zu einem Spaziergang überreden“, sagte Albert.
„Bei dem scheußlichen Wetter?“
„Schnee ist nicht scheußlich, sondern schön, sogar im April“, erwiderte Albert und fügte hinzu „In vielen Teilen der Welt gibt es Leute, die alles dafür geben würden, einmal Schnee zu sehen, weil sie gar nicht wissen, wie es aussieht, wenn die Straßen und Plätze so weiß wie Puderzucker sind.“
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