Wexmell lächelte, doch es erreichte seine Augen nur halb.
»Wex, ich schwöre dir bei allem, was mir heilig ist – also bei deiner Liebe zu mir – das, was auch immer geschehen mag, ich nicht von deiner Seite weiche. Ob du nun König bist – oder nicht.« Er lächelte und fuhr mit einem Daumen über Wexmells Lippen, eher er ihm leise zu hauchte: »Du gehörst zu mir, ich gehöre zu dir. Bis in alle Ewigkeit.«
Wexmell begann losgelöst zu lächeln und umschlang Desiderius‘ Nacken mit beiden Armen. Sie küssten sich innig und voller Liebe.
Desiderius würde eines sehr vermissen, die Selbstverständlichkeit, mit der sie sich in Carapuhr lieben durften.
»Ich begleite euch ein Stück des Weges«, beschloss Desiderius.
»Zu freundlich!«, lallte Melecay und schlug ihm beim Verlassen des Hauses auf die Schulter.
Desiderius schüttelte grinsend den Kopf. »Einer muss ja dafür sorgen, dass du nicht vom Pferd fällst!«
»Wir könnten ihm ein Seil um den Fuß binden und hinter den Pferden herziehen«, schlug Karrah vor und folgte mit Melvin dem Großkönig, der sich von einer Leibwache auf sein silbergraues Pferd helfen ließ.
Bevor Desiderius folgen konnte, legte ihm Wexmell von hinten eine Hand auf die Schulter.
Noch einmal drehte Desiderius sich zu seinem Geliebten um und konnte sich kaum überwinden, dem funkelnden Ausdruck in dessen eisblauen Augen zu wiederstehen, den Wexmell immer bekam, wenn er zu viel Bier und Wein getrunken hatte.
»Beeil dich«, bat Wexmell und schmunzelte mokant, »dein Bett erwartet dich.«
»Wärme es für mich vor, unbekleidet und willig, und ich kehre schnell zurück um in deine Arme zu sinken«, versprach Desiderius und küsste ihn noch einmal. Dann warf er sich seinen dicken Wollumhang um die Schultern und trat hinaus ins Freie, wo Wanderer schon auf ihn wartete.
Am Ende eines langen Waldweges verabschiedeten sie sich. Sie stiegen von den Pferden und drückten sich die Handgelenke.
»Pass mir gut auf sie auf«, warnte Desiderius, als er sich von Melvin verabschiedete.
Wie immer nickte der jüngere Mann ein kleinwenig eingeschüchtert.
Als er sich von Karrah verabschiedete, nahm er sie in den Arm und fragte leise in ihr Ohr: »Hast du was von Zazar gehört?«
Doch Karrah schüttelte den Kopf.
Desiderius versuchte, seine Trauer über seinen seit Monaten verschollenen Bruder zu verbergen und löste sich von seiner Ziehtochter.
Er legte ihr eine Hand auf den aufgedunsenen Bauch, der sich deutlich unter ihrem schwarzen Kleid abzeichnete. »Wenn er raus will, möchte ich dabei sein.«
Sie lächelte nur, sagte aber nichts dazu.
Plötzlich fiel ihr etwas ein. »Oh, warte!« Sie durchsuchte ihre dunkelroten Gewänder. »Hier, nimm das an dich.«
Zögerlich nahm Desiderius das kleine Buch in die Hand, das sie ihm reichte, und drehte es herum. Seine Augenbrauen schnellten nach oben. »Melecays Tagebuch?«
Sie nahm es ihm wieder ab, um es ihm unter die Kleidung zu schieben, wo es genau über dem Herzen stecken blieb. Karrah klopfte darauf und sah traurig zu ihm auf. »Trag es an deinem Herzen, vielleicht schützt es dich vor einem Pfeil.«
»Wie kommst du da ran?«, fragte er verwirrt.
Sie zwinkerte frech. »Ich habe es gestohlen. Er wird es nicht vermissen.«
»Du musst es ja wissen«, schmunzelte er. Immerhin konnte sie gelegentlich mehr sehen, als alle anderen.
»Wieso ausgerechnet dieses Buch?«
In Karrahs Blick lag etwas tief Trauriges, als sie zu ihm aufsah. »Du wirst es brauchen, Vater.«
Stutzig geworden runzelte er die Stirn.
»Ich weiß nicht viel«, gestand sie nervös, noch immer lag ihre Hand auf dem Buch und über seinem Herzen. »Ich habe von dir geträumt. Du standst auf einem Berg im Abendrot und hattest das Buch in der Hand. Dreck und Blut hafteten dir an, wie nach einem schweren Kampf. Dein Gesicht war eine Maske des Grauens. Ich weiß nicht, was es bedeutet.«
Es behagte ihm nicht, dass sie von ihm geträumt hatte. Karrahs Träume bedeuten nie eine harmlose Wendung. Er nickte und vertraute auf sie.
Noch einmal umarmten sie sich, und er sagte ihr, dass er sie liebte. Dann ließ er sie los und hatte das bedauernde Gefühl, sie für eine lange Zeit nicht mehr wiederzusehen.
Schließlich trat er zu Melecay. Sie führten ihre Pferde noch ein kleines Stück den Weg entlang.
Nach kurzem Schweigen brachte Desiderius den Mut auf, den anderen Mann um etwas zu bitten. »Melecay, ich brauche ein Schiff.«
Melecay nickte. »Ich habe mich schon gefragt, wann es endlich soweit ist.«
»Wexmell möchte nicht, dass ihr uns begleitet, aber …«
»Ich werde eine Armee bereitstellen, falls ihr Hilfe benötigt, doch ich dränge trotzdem darauf, euch begleiten zu dürfen.«
»Ich muss Wexmell leider zustimmen«, gestand Desiderius und blieb stehen. »Nohva ist nicht Carapuhr. Und wenn wir mit einer Barbarenarmee einfallen, könnten die Völker Angst bekommen. Das wollen wir jedoch vermeiden. Wexmell will so wenig Blut vergießen, wie möglich. Und – tut mir leid, dir das sagen zu müssen, aber – du bist nicht gerade für deine Zurückhaltung bekannt. Ebenso wenig wie deine Männer.«
»Mit Diplomatie wird Wexmell König Rahff nicht dazu bringen, abzutreten«, warf Melecay belustigt ein.
»Mittlerweile ist viel Zeit vergangen, und Gerüchten zu Folge hat Rahff wegen der Tyrannei seiner Kirche viele Anhänger verloren. Wir wollen versuchen, ihn damit in die Enge zu treiben, indem wir den Großteil unserer Völker auf Wexmells Seite ziehen. Das gelingt uns besser, wenn wir ohne eine beängstigte Zahl Fremder anreisen.«
Melecay betrachtete ihn für einen Moment, dabei war ihm deutlich anzusehen, dass er nicht an ihren Plan glaubte.
»Außerdem möchte ich nicht warten, bis ihr genug Schiffe für eine Flotte gebaut habt. Wenn Rahff stirbt, bevor wir zurückkehren, könnte man uns Feigheit vorwerfen. Und den Weg über Elkanasai will ich nicht gehen. Wie ich dir bereits mehrfach sagte, werde ich erst mit dir über einen Einmarsch ins Kaiserreich sprechen, wenn wir Nohva zurückerobert haben.«
Wie jedes Mal enttäuschte das Melecay. Er sah in den Wald hinein, der den Weg einzäunte, und sagte murmelnd: »Das Kaiserreich ist ein großes Imperium und ein mächtiger Gegner, den ich noch immer fürchte. Ich brauche einen Mann auf dem Thron des Kaisers, dem ich vertraue. Und davon gibt es nur noch wenige.«
»Wir finden eine Lösung. Aber nicht jetzt.«
Melecay nickte einverstanden, er wusste, wie sehr das Herz eines Mannes an seiner Heimat hängen konnte. »Also gut. Solange meine Heimat nicht bedroht wird, kann ich geduldig sein. Aber was, wenn ich dir sage, dass es vielleicht eine Möglichkeit gibt, ohne Schiffe nach Nohva zu gelangen? Und ohne über Elkanasai zu reisen?« Er grinste verschwörerisch. »Dürfte ich euch dann begleiten? Und sei es nur ich und ein kleiner Trupp, um meine Verbundenheit zu euch zu demonstrieren? «
Desiderius wurde stutzig. Die kalte Herbstluft wehte durch sein Haar, als er neugierig darauf wartete, dass Melecay erklärte, was ihm vorschwebte.
»Es gibt ein Portal unterhalb Carapuhrs, in alten Bergruinen«, platzte Melecay heraus.
Desiderius verstand kein Wort und schüttelte den Kopf. »Ich verstehe nicht …?«
»Wir fanden Hinweise darauf in alten Schriften. Laut einigen Überlieferungen gibt es Portale, die die Kontinente unserer Welt miteinander verbinden. Sie werden von deinem Volk Götterportale genannt. Laut einer Legende, soll der Eroberer Carapuhrs sie entdeckt und genutzt haben, um Truppen gegen die Spitzohren schneller in das Land zu schleusen. Er kam nie über das Meer, wie viele glaubten. Er nutzte die Portale. Er war ein gerissener Lügner.«
»Wie kann das möglich sein?«
Melecay zuckte mit den Schultern. »Die Schriften sprachen von alten Zauberern und Hexen, die diese Portale genutzt haben, um schneller reisen zu können. Eine uralte Magie, deren Verständnis im Laufe der Zeit verloren ging. Seit mehreren Jahrtausenden stehen sie still. Doch es soll Schlüssel geben. Wir sind dabei, herauszufinden, ob wir das Portal mit Hexenkraft öffnen können.«
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