Miriam stürzte sich ins Gewühl des Netzes, ging jedem kleinsten Hinweis nach, verfolgte jede Spur, doch irgendjemand war ihr immer einen Schritt voraus. Frustriert lehnte sie sich zurück. Wenn das so weiterging, dann bekam sie gar nichts zusammen. Wer immer das tat, musste einen Grund haben, die Spuren auszulöschen. Ein wenig unheimlich, oder nicht? Jeder Mist blieb stehen, aber das hier verschwand.
Vielleicht sollte sie mit einem Freund von ihr sprechen. Er kannte sich mit so etwas gut aus, war sogar manchmal im Darknet unterwegs und hatte definitiv keinerlei Respekt vor den Ordnungshütern. Hastig griff sie zum Telefonhörer und rief Roger Montez auf seinem Handy an. Er ging natürlich nicht dran. Miriam hinterließ ihm eine Nachricht in Form eines Pfeiftons, denn natürlich sprach sie ihm nicht auf die Box. Das Zeichen hatten sie schon vor langer Zeit vereinbar, denn Roger Montez litt, neben seinem Hang die staatliche Ordnungsmacht zu ignorieren, an einem ausgeprägten Verfolgungswahn.
Ein paar Minuten später erhielt sie eine SMS mit nur zwei Wörtern. Roger war wirklich paranoid. Er wollte sie am Bahnhof von Bernhausen auf einer der Wartebänke der Bushaltestellen treffen.
Hastig packte sie ihre Tasche, nachdem sie den Artikel über Volker Röhns Tod dem Redakteur hingelegt hatte und stürzte aus dem Büro. Es war ja nicht weit.
Der Bahnhof in Filderstadt-Bernhausen war eigentlich recht hübsch. Sauber gepflastert und übersichtlich angelegt, reihten sich die Bushaltestellen um ihn herum auf. Ein großes Verwaltungsgebäude, in dem sich diverse Firmen eingemietet hatten, nebst einem Parkhaus und einem Kiosk, der Zeitungen und Tabakwaren verkaufte, begrenzte den Platz auf der einen Seite. Auf der anderen Seite stand ein kleines Gebäude, in dem das Bürgeramt untergebracht war und ein weiteres kleines Haus, das ein Café beherbergte.
Um diese Zeit war nicht viel los. Roger Montez saß schon da, seine Baseballkappe tief in die Stirn gezogen. Offenbar hatte er heute nicht viel zu tun, denn so schnell war er sonst nicht, auch wenn er im Zentrum von Bernhausen wohnte. Miriam kannte das Haus, ein unscheinbarer blockartiger Bau in einer Seitenstraße unweit des Friedhofs. Sie war auch schon ein paar Mal bei Roger zum Kaffee gewesen. Das war wirklich ein großer Vertrauensbeweis, denn Roger lud normalerweise nie jemanden zu sich ein und schon gar keinen von der Presse.
»Hi, Roger. Schön dass du Zeit hast«, rief sie schon von weitem.
Er runzelte die Stirn.
»Hallo Miri! Ja, du hast Glück. Ich war gerade zu Hause.«
Miriam setzte sich neben ihn auf die Bank. Es war heiß. Die Sonne brannte unbarmherzig herab und heizte die Steinplatten am Boden auf.
»Mensch, können wir nicht in eine der Eisdielen gehen? Ich bräuchte einen Kaffee«, murrte sie und blinzelte gegen die Sonne an.
Bernhausen besaß zusätzlich zum Peter-Bümlein-Platz am Bahnhof noch eine kleine Fußgängerzone mit diversen Cafés, Restaurants und Eisdielen. Miriam mochte am liebsten die gleich neben der Bibliothek, aber die hatte leider keine Tische auf der man sein Eis abstellen konnte, deshalb liebäugelte sie mit der anderen in der Fußgängerzone, doch Roger Montez zog ein Gesicht wie Sauerbier. Sie verschob das Eis auf später.
»Kommt drauf an, was du von mir willst. Ich denke aber, es hängt mit dem Todesfall zusammen«, antwortete Roger Montez ruhig und sah sich vorsichtig um.
Überrascht blickte Miriam ihn an. Woher wusste er davon? Hatte sich das etwa schon herumgesprochen? Das konnte doch nicht sein. Der Artikel war ja noch nicht einmal erschienen.
»Wovon sprichst du?«
»Verschwörungstheoretiker kennen sich!«, bemerkte Roger Montez kurz angebunden.
Tatsächlich, es ging um Volker Röhn, aber was sollte das denn nun wieder heißen? Ein fragender Blick in Rogers Gesicht ließ Miriam verstummen. So verängstigt hatte sie ihn noch nie gesehen.
»Was ist da los, Roger?«
»Miri, halt dich da heraus. Das ist gefährlich. Volker Röhn war da einer ganz großen Sache auf der Spur«
Miriam zog die Augenbrauen hoch, denn Roger klang irgendwie gehetzt. »Warst du schon bei der Polizei?«
Roger Montez lachte nur leise.
»Miri! Die stellen die falschen Fragen und du kennst mein Verhältnis zu den Bullen.«
»Ja, ja. Nicht alle sind so. Es gibt auch ganz nette«, bemerkte Miriam ein wenig gereizt. Roger hatte vor ein paar Jahren einen bösen Zusammenstoß mit einem übereifrigen Kommissar gehabt. Seitdem war sein Verhältnis zur Polizei nicht das beste.
»Worum geht es hier eigentlich? Ich habe versucht Informationen über Volker Röhn herauszufinden, aber es geht nicht. Irgendjemand löscht die Spuren aus dem Internet.«
»Was sagst du da?«
»Ja, jedes Mal, wenn ich etwas gefunden habe, verschwindet es plötzlich. Das ist doch komisch, findest du nicht?«, Miriam betrachtete Roger aufmerksam. Er war anders als sonst, noch ein wenig paranoider.
»Dann ist das noch schlimmer, als wir dachten.«
»Wir? Wer ist wir? Woran hat Volker Röhn gearbeitet? Ich habe ein paar Umweltthemen gefunden. Die üblichen Dinge wie Abholzung, Chemiegifte und irgendetwas von Wasserverschmutzung. Leider konnte ich es nicht lesen, weil sein Blog just in dem Moment gelöscht wurde.«
»Ja, das dreckige Dutzend, Blei, Cadmium, Cäsium, dann noch Plastik und so weiter. Er hat ein paar Theorien aufgestellt, zur Schädlichkeit für den Menschen«, antwortete Roger ein wenig ausweichend.
»Aha!«, entfuhr es Miriam verständnislos. Was war daran so Besonderes? Sie hatte sich mit dem Thema noch nicht so wirklich beschäftigt.
»Du solltest dich wirklich einmal mit den wichtigen Dingen befassen, Miri.«
Roger schüttelte verständnislos den Kopf.
Miriam wusste, dass Roger ihr mäßiges Interesse an Umweltthemen nicht gut fand, deshalb erwiderte sie trotzig, »ich habe davon gehört. Letztens war ein Bericht über den vielen Dreck im Meer im Fernsehen.«
In Wahrheit hatte sie das nur halbherzig verfolgt und konnte sich kaum an die Inhalte erinnern. Außerdem fuhr sie selten ans Meer. Sie mochte die Berge lieber.
»Mensch, Miri! Du solltest wirklich mal was anderes lesen als Liebesromane. Das ist sogar schon im Trinkwasser.«
»Ich lese doch gar keine Liebesromane«, stieß Miriam ein wenig beleidigt hervor, auch wenn am Liebesromanlesen doch gar nichts schlechtes dran war. »Jedenfalls nicht andauernd. Wie kommt das Zeug in unser Trinkwasser?«
»Die Kläranlagen können die Schadstoffe nicht ausfiltern. Außerdem schmeißen die Leute überall ihren Abfall hin. Das landet schließlich in den Bächen und Flüssen.«
»Ja, das ist schlimm, aber deswegen bringt man doch keinen um.«
Roger Montez schwieg eine Weile, bevor er sagte, »deswegen vermutlich nicht«.
»Aber weswegen dann?«
Roger Montez ignorierte ihre Frage. »Was wolltest du nun von mir, Miri?«
»Eigentlich wollte ich, dass du Nachforschungen anstellst. Ich will wissen, wer die Daten aus dem Internet löscht«, murmelte Miriam leise. Sie wusste schon, welche Antwort sie bekommen würde.
»Nein, Miri, lass die Finger davon. Das ist zu heiß. Ich muss gehen. Wir sehen uns.« Roger stand auf und ging einfach davon.
Miriam Schlohwächter blieb noch eine Weile nachdenklich sitzen. Das war ja gar nicht so gelaufen, wie sie das geplant hatte. Aber ihre Neugier war nun endgültig geweckt. Bevor sie in die Redaktion zurückgehen konnte, klingelte ihr Telefon. Überrascht blickte sie auf die Nummer. Es war der Mann ihrer Schwester. Zu dieser Tageszeit rief der eigentlich nie an.
Sie hätten nichts tun können
Freitag Abend in der Rechtsmedizin in Stuttgart. Eigentlich hatte Tamara Damarow früher gehen wollen, aber Dr. Gersting war ganz plötzlich ausgefallen und so hatte sie einspringen müssen. Zusammen mit einem ihrer Kollegen hatte sie drei der vier angeordneten Obduktionen wiederholt, auf Wunsch des Leiters der Rechtsmedizin.
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