Mein Bruder brannte regelrecht darauf, das Handwerk eines Scharfrichters zu lernen.
So erzählte er nach der Suppe, dass er zusammen mit Hans oben auf der Richtstätte gewesen war, wo sie die Räder überprüft hatten, die die Zimmerleute aus der Stadt hatten aufstellen müssen.
Die hätten sich reichlich geziert und seien nicht leicht zu bewegen gewesen, die großen schweren Gestelle aufzubauen.
Der Herzog habe sehr streng anordnen müssen, dass die Arbeit durch die Zunft der Zimmerleute zu absolvieren ist und das alsbald, da drei Verurteilte drauf warteten, gerichtet zu werden.
Erst nachdem der Zunftmeister höchstpersönlich beim Herzog hatte vorstellig werden müssen, war er bereit gewesen, mit seinen Leuten bei Hans auf der Richtstätte zu erscheinen und sich zeigen zu lassen, worauf es bei ihrer Arbeit ankommt.
Der erklärte ihnen dann ganz genau, wie zunächst die zu Richtenden auf ein Gestell gespannt werden, auf dem kleine Höcker angebracht sind und der Körper des Delinquenten so auf dem Gestell platziert wird, dass die Höcker unter den Gelenken liegen.
Dann wird mit einem schweren Rad, das von einem scharfkantigen Eisenreifen eingefasst ist, von oben auf die Knochen eingeschlagen, bis diese brechen, wobei die Höcker unter den Gelenken dafür sorgen, die Kraft des Rades auch von unten wirken zu lassen und die Knochen vollständig durchzubrechen.
Gewöhnlich fängt man an einem Fußknöchel mit dem Schlagen an und arbeitet sich hoch bis zu den Armen, um den Ablauf auf der anderen Körperseite zu wiederholen.
Anschließend wird der Delinquent von der Unterlage entfesselt und auf das Rad geflochten, das eine genau vorgeschriebene Anzahl von Speichen hat, meist zwischen vier und acht, die im Urteil festgelegt wird.
In diese Speichen wird der Körper, der durch die zerbrochenen Knochen und Gelenke vollständig biegsam ist, hineingeflochten.
Je mehr Speichen durch das Urteil verhängt wurden, desto mehr muss der Körper verbogen werden, was dem noch Lebenden zusätzliche Qualen und unsereins zusätzliche Mühe bereitet.
Das Rad wird dann auf einem dicken stabilen Stamm hochgezogen, so dass der Gerichtete obenauf in der Sonne liegenbleibt und nur noch abwarten kann, bis das Leben ihn verlässt. Das kann je nach vorheriger Konstitution mehrere Tage dauern.
Danach bleibt der Leichnam dort oben so lange liegen, bis die Krähen das Fleisch vollständig weg gehackt haben.
Erst wenn das Skelett anfängt, eine weißliche Farbe anzunehmen, wird der Radbaum wieder umgelegt und die Knochen auf dem Richthügel verscharrt.
Damit das Rad stabil steht und nicht etwa durch Wind oder Unachtsamkeiten umfällt, muss es einen kräftigen dicken Stamm haben, der zudem noch mit einem Scharnier versehen sein muss, damit er auf- und niedergelegt werden kann.
Auch eine Vorrichtung für die Zugseile muss angebaut sein, dazu Rollen, Gewichte und Befestigungszapfen, damit die Zugseile nicht versehentlich zurückschnellen und den Baum wieder umkippen lassen. Der Baum hat eine leicht konische Form, was heißt, unten hat er einen größeren Durchmesser als oben, wo das Rad aufliegt.
Auf diese Weise bekommt er einen stabileren Stand, auch wenn es stürmt, denn die Richtstätte dort oben auf dem Galgenberg liegt nach Westen hin völlig frei, so dass sie recht stark dem Wind ausgesetzt ist. Das ist auch nötig, sonst würden die Leichen zu langsam verwesen und zu einer andauernden Geruchsbelästigung der Vorbeireisenden werden und sicher auch eine Gesundheitsgefährdung darstellen.
Das Alles, so erzählte Henrich mit glänzenden Augen, den genauen Ablauf der Hinrichtung und die Verwendung des Rades habe Hans dem Zunftmeister erläutern müssen, damit der seine Zimmerleute anweisen konnte, wie sie zu arbeiten hatten.
Der Zunftmeister sei während dem immer blasser geworden und schließlich in den Wald gegangen, um sich zu übergeben.
Henrich lachte aus vollem Halse, als er schilderte, wie der Handwerker gewürgt hatte.
Hans legte ihm die Hand auf die Schulter, damit er sich beruhigte und erklärte ihm, dass nicht jeder Mensch zum Henker geschaffen sei.
Der Eine baue eben lieber die Räder, während der Andere geschickt darin sei, Menschen darauf zu flechten.
Hans hatte meinem Bruder auch gezeigt, wie die Kosten für das Holz, die Nägel, die Seile, die Winden und was alles noch so benötigt wird, sowie die der Zimmerleute und Hilfsarbeiter in das schwarze Buch eingetragen und mit den Handwerkern abgerechnet werden.
Jetzt wusste Henrich endlich, wozu er in der Güntherschen Stube über den vertrackten Rechenaufgaben gesessen hatte und war mächtig stolz auf sich.
"Und die zwei großen Galgen, die sind auch nicht mehr so stabil", sprudelte er weiter.
"An dem kleineren Gestell muss der gesamte Querbalken ausgewechselt werden und an dem hohen Galgen ist die Leiter fast weggefault.
Die hat Hans auch in Auftrag gegeben.
Aber er hat dem Zunftmeister gesagt, das eilt nicht so. Zunächst einmal müssen die Räder fertig gestellt werden.
Und die Blutrinne musste neu ausgehoben werden. Sie war schon ganz schön zugewachsen von Unkraut.
Das haben heute die Knechte gemacht und ich habe ihnen dabei geholfen", erzählte Henrich und seine Augen leuchteten.
Ich glaube, in der Güntherschen Stube wird er ab jetzt nicht mehr sitzen wollen, so begeistert wie er aussah.
"Und morgen, da darf ich das erste Mal mit dem Schwert üben, hat Hans mir versprochen. Und sobald ich damit richtig umgehen kann, darf ich an die Puppen!"
Die „Puppen“, wie wir das nennen, sind unten auf dem Gehöft in einem extra dafür vorgesehenen Schuppen aufgebaut.
An ihnen wird geübt, mit dem schweren Richtschwert einen Kopf mit einem einzigen Hieb abzuschlagen.
Das ist nicht so einfach, weil man neben den Halswirbeln auch noch die dicken Halssehnen durchtrennen muss und schließlich auch die Haut, die alles zusammenhält. Und die ist zäher, als man vermuten könnte.
Darum sind die Hälse der Puppen mit Leder bezogen, da dieses bekanntlich besonders schwer zu durchschlagen ist.
Ist ein Schlag gelungen, können die Hälse mit neuen Ledermanschetten bezogen werden und das Üben kann weitergehen.
An dem Tag, an dem ein Lehrling das erste Mal einen Hals beim ersten Versuch durchschlägt, wird er aufgenommen in den Kreis der Gemeinschaft und man behandelt ihn gleichrangig.
An dem Tag prosten alle Henkersknechte ihm zu und trinken mit ihm Branntwein um die Wette.
Wenn der Neuling das übersteht, kann ihm später nichts mehr etwas anhaben.
Beim Anblick meines Bruders an dem Abend war ich mir vollkommen sicher, dass er in allernächster Zeit breitbeinig unten auf dem Gehöft stehen würde, um die Knechte unter den Tisch zu saufen.
So erzählten sie hin und her und ich saß ganz still in meiner Bankecke. Als ich gerade dabei war, die Stimmen nur noch aus weiter Ferne zu vernehmen und meine Gedanken begannen, aus dem Fenster hinaus und über die weiten Sümpfe der Ovaccra zu entschweben, hörte ich meinen Namen und die Frage:
"Und was habt ihr heute bei Herrn Günther gelernt?"
Ich riss die Augen auf und stellte fest, dass ich wohl doch schon etwas länger geträumt hatte.
Meine Mutter war bereits vom Tisch aufgestanden und machte zusammen mit Lisbeth die Holzschüsseln und Löffel sauber.
Dann wurde mit einem Lappen alles noch einmal "übergewischt" und anschließend noch ein letztes Holzscheit aufgelegt.
"Danach ist Schluss", erklärte meine Mutter in Richtung Hans.
"Wir müssen am Holz sparen, es gibt nicht viel zu kaufen dieses Jahr." "Natürlich, du hast Recht. Bring mir noch einen Becher Bier und dann will ich hören, womit sich David heute den Kopf vollgestopft hat."
"Na, mit was wohl. Mit den Döhnken von dem Alten, die er ständig erzählt.
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