„Willst du dich nicht wenigstens von uns verabschieden?", lächelt Stacy Sunshine und bleibt vor mir stehen.
„Sie hat Recht", lacht Steven. „Immerhin verliere ich jetzt meinen Knecht."
Ich kann nicht eine Sekunde ein Lächeln aufbringen. „Tut mir leid. Ich hatte viel um die Ohren."
„Wissen wir doch." Stevens Blick ist wieder mitleidiger. „Wir werden dich auch nicht lange aufhalten."
Plötzlich springt mir Stacy Sunshine um den Hals und drückt mich fest. „Wir werden dich vermissen, Aiden", murmelt sie traurig in meine Halsbeuge. „Du warst eine große Bereicherung."
Argwöhnisch klopfe ich ihr leicht auf den Rücken. „Ähm, danke Stacy."
Schniefend lässt sie mich los und wischt sich eine schwarze Träne von den Augen.
„Ich werde dich nicht umarmen", grunzt Steven.
„Das hoffe ich für dich."
Doch wieder ändert sich seine Miene ernsthaft. Er packt in sein Jackett und zieht einen Bündel Geld heraus. „Aber ich habe das hier für dich."
Ich sehe auf das Geld. „Vergiss es. Ich will dein Geld nicht."
Er verdreht die Augen. „Nimm es, Aiden. Das sind nur 200,00 Dollar, die werden mich nicht arm machen. Ich will nur wenigstens sicher sein können, dass du nicht auf dem Weg nach England verreckst, weil du dir nichts zu essen leisten kannst oder ein Taxi."
Zornig sehe ich weg. „Ich bin kein scheiß Penner, dem du Geld geben musst. Ich habe Geld."
„Wie viel? 450,00? Damit wirst du wohl kaum um die Runden kommen, wenn du erst mal den Flug bezahlt hast. Und jetzt nimm es, verdammte Scheiße." Er drückt es mir fest in die Hand. „Ich bin einmal im Leben nett, also lass mich jetzt hier nicht wie einen Idioten dastehen."
Widerwillig betrachte ich das Geld in meiner Hand. Ich fühle mich so verdammt hilflos und minderwertig. Ich war immer stolz nie bei anderen Leuten um Geld betteln zu müssen und jetzt beruhigt es mich, dass ich tatsächlich genug Geld habe, um den Weg nach England zu bestreiten.
„Und melde dich vielleicht mal, wenn du in England bist", fügt Steven noch hinzu, legt seine Hand auf meine Schulter. „Wenn ich dir noch irgendwie helfen kann, dann sag’ mir einfach Bescheid. Vielleicht sieht man sich ja mal wieder, wenn du in Amerika bist oder ich in England, wer weiß."
Ich nicke, stecke das Geld in meine Brusttasche. „Ja, vielleicht. Du bist ein besserer Freund, als du vorgibst zu sein."
Lachend schupst Steven mich zur Tür. „Halts Maul, das bleibt unser Geheimnis. Und jetzt sieh zu, dass du dein Leben wieder in den Griff bekommst!"
„Tschüss Aiden!", winkt Stacy Sunshine mir noch ein letztes Mal zu und ich gehe durch die Drehtür nach draußen.
Hoffentlich ist es jetzt wirklich das letzte Mal, dass ich durch diese Tür gehen muss.
Und keine zwei Stunden später sitze ich auch schon im Flieger nach England. In der zweiten Klasse. Eingeengt zwischen zwei alten Biertrinkern, die mir ihre dicken Bäuche in die Seiten pressen. Selbst diese sieben Stunden Flug zwischen zwei Gorillas habe ich verdient. Wie konnte ich auch so dumm sein und BPE stürmen? Was hatte ich erwartet? Dass Raven dadurch zurück kommt?
Damit ich keinen Herzstillstand erleide, wenn das Flugzeug startet, krame ich aus meinem Rucksack ein Buch hervor. Ich muss mich endlich auf was anderes konzentrieren, als auf meine missliche Lage.
Doch als ich gerade das Buch herausziehen will, sticht mir etwas anderes ins Auge. Mit pochendem Herzen ziehe ich das Bild mit dem schwarzen Rahmen aus dem Rucksack und setze mich wieder richtig hin.
Neben all meinen Erinnerungen, ist das das einzige Andenken, das ich noch an sie habe. Ich war kurz davor es ebenfalls an meine Wände zu schmeißen, doch ich konnte es nicht. Noch ist meine Hoffnung nicht aufgegeben.
Zu diesem Bild fällt mir immer nur ein verdammtes Zitat von Frida Kahlo ein. Nimm einen Geliebten, der dich ansieht, als wärst du Magie.
Und scheiße nochmal sie sieht mich auf diesem Bild an, als wäre ich gottverdammte Magie. Ihr Lächeln fehlt mir so unglaublich.
„Dat is' aber 'ne Hübsche", brummt der eine Kerl neben mir und sieht auf das Bild in meinen Händen.
„Dat stimmt, Günni", schmatzt der andere und beißt in seinen Apfel. „Sieht richtig happy aus auf dem Bild. Empire State Building, huh?"
Ich nicke. „Ja, Empire State Building."
„Hab ick meiner Frau 'n Antrag jemacht", gluckst der andere. „Die war hin und wech, dat glaubste mir nit."
„Und heute bereut'ses", murmelt mir der mit dem Apfel ins Ohr und spuckt Apfelreste hinein.
Etwas angewidert nehme ich meinen Kopf halbherzig lachend von ihm weg und verstaue das Bild in meinem Rucksack. „Tja, dieser Frau werde ich wohl nie einen Antrag machen können."
„Wat?", ruft der rechts neben mir aus. „Hastes versaut?"
Ich lehne mich wieder zurück. „Jap. Ich hab's versaut."
„Hach", schmatzt wieder der andere. „So wie die Kleene dich auf dem Bild anjehimmelt hat, brauchste nicht lang warten und die fällt dir wieder in die Stängel, mein Freund."
„Du musst es nur so machen wie icke, als ich Stress mit meiner Ollen hatte", lässt mich der eine wissen. „Immer schön heulen und tausend Mal sagen, wie sehr du sie ja liebst, dann kofste ihr noch 'n Ring und allet is' palletti."
„Einen Ring werde ich mir kaum noch leisten können. Ich weiß nicht mal, ob ich sie je wieder sehen werde."
„Wirste, Junge." Der Apfel verschwindet in einer Tüte. „Liebe macht keine Fehler."
Raven
„Linguistik und Germanistischen Mediävistik", beantworte ich Alecs Frage, während ich ein paar Bücher in der Bibliothek sortiere.
„Richtig." Er blättert weiter durch meinen Ordner, während er die Füße auf den Tisch legt. „Worin wurde die Germanistik 1980 eingeteilt?"
„Duktus, Auslandsgermanistik und Inlandsgermanistik. Nimmst du bitte die Füße runter? Misses Ponytzi guckt schon wieder so böse."
Mit den Augen rollend nimmt er seine Füße herunter und klappt den Ordner zu. „Typische Bibliothekare. Verderben einem jedes Wohlfühlfeeling."
Ich schiebe ein weiteres Buch in das Regal. „Dein Wohlfühlfeeling kannst du Zuhause ausleben. Frag’ mich noch etwas."
„Ich habe dich bereits alles abgefragt. Und das schon zum vierten Mal wohl angemerkt. Ich denke, dass du es langsam drauf hast."
Ich seufze und schiebe das letzte Buch zwischen die anderen. „Ich hoffe es. Wenn ich diese blöde Prüfung verhaue, kann ich gleich das College hinschmeißen. Schlimmer kann es eh nicht kommen."
Alec lehnt sich in dem Stuhl zurück und legt die Füße wieder auf den Tisch. „Mach dir mal nicht so viele Gedanken, das packst du locker. Außerdem hast du ja noch morgen Zeit zum Lernen und wenn du dann noch immer unsicher bist, würde ich dich wahrscheinlich eher einweisen, als zu den Prüfungen zu lassen."
Ich gehe auf ihn zu und schiebe seine Füße von dem Tisch, setze mich zu ihm. „Ich bin nur froh, wenn es vorbei ist. Die paar Tage in England habe ich wirklich nötig."
„Es sei dir gegönnt. Willst du eigentlich mein Geburtstagsgeschenk be vor oder nachdem du nach England geflogen bist?"
„Du brauchst mir nichts schenken."
Er hebt einen Finger. „Na na, sag’ so was nicht. Du bist eine Frau und ich weiß, wie du tickst. Ich ticke nämlich auch so, und ich will immer ein Geschenk zum Geburtstag haben, obwohl ich gesagt habe, dass ich nichts möchte."
Ich grinse. „Ja, wahrscheinlich hast du Recht. Du kannst es mir geben, bevor ich nach England fliege und ich öffne es an meinem Geburtstag."
„Einverstanden."
Die Tür wird zugeknallt und Jake kommt mit einem großen Karton in die Bibliothek. Er arbeitet mit mir hier und Alec ist noch immer total in ihn verknallt.
„Okay, verhalte dich ganz normal", flüstert Alec mir zu und legt seine Füße wieder auf den Tisch.
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