1 ...7 8 9 11 12 13 ...19 Ich schlucke nachdenklich und starre auf den dunkelbraunen Karton. „Vielleicht mal ganz kurz", sage ich leise und knie mich zu der Kiste.
Neugierig hebe ich sie auf das Regal. Es ist auf jeden Fall an Aiden adressiert, doch den Ort, wo er es bestellt hat, kann ich nicht erkennen, weil der Deckel zerrissen ist.
„Los", hetzt Alec leise und beäugt neugierig die Kiste.
Vorsichtig öffne ich die erste aufgerissene Hälfte des Deckels, dann die andere. Ein Wirrwarr von Styropor und Papierschnipseln kommt uns entgegen. Es muss wohl etwas wertvolles sein, wenn es so eingepackt ist. Ich greife in den Haufen von Papier und wühle ein wenig darin herum, dann bekomme ich etwas zu fassen. Es fühlt sich hart und kantig an.
Aufgeregt ziehe ich es heraus.
Mein Herz erleidet einen kurzen Stillstand.
Mit aufgerissenen Augen betrachte ich das Buch in meinen Händen. Ich habe das Gefühl, ich verliere jeden Moment das Bewusstsein.
„Was ist das?", fragt Alec und nimmt es mir aus der Hand.
„Sei", sage ich leise mit heiserer Stimme. „Sei bitte vorsichtig."
Er sieht mich kurz argwöhnisch an und dreht dann das Buch in seinen Händen. „ Partie Espoir ", liest er den Titel und öffnet es. „Das sieht scheiße historisch aus. Was zur Hölle ist das?"
Ich starre auf den Karton vor mir, kann die Situation gerade nicht verstehen.
Aiden hat mir mein Lieblingsbuch aus der Mula gekauft. Partie Espoir lll . Es ist so gut wie unmöglich dort ein Buch zu kaufen, es sei denn ... Es sei denn du bezahlst eine Menge Geld.
Partie Espoir. Part Hoffnung .
Gibt es für Aiden und mich noch Hoffnung?
Wortlos nehme ich es Alec aus der Hand, lege es vorsichtig in meine, betrachte das Cover und den Einband ganz genau. Er hat es mir tatsächlich gekauft. Das ist bestimmt das Geburtstagsgeschenk, von dem er mir die ganze Zeit erzählt hat. Er meinte, es würde mich von den Socken hauen. Aber das haut mich nicht von den Socken, das bricht mir nur noch mehr das Herz.
Erst jetzt merke ich, dass eine Träne auf den braunen Einband tropft. Schnell wische ich sie weg und schniefe, atme aus. „D-Das ist mein Lieblingsbuch", erkläre ich Alec mit gebrochener Stimme. Ich öffne die erste Seite und streiche über das Papier.
Er hat es mir tatsächlich gekauft.
Doch da sticht mir noch etwas ins Auge. Eine Gravur in der unteren Ecke des Covers.
Auf die Ewigkeit. A.
Sofort beginne ich laut zu schluchzen und lasse das Buch wieder in den Karton fallen.
Alec schnappt nach Luft und nimmt mich sofort in den Arm. „Süße, bitte nicht weinen", sagt er leise, streichelt mir liebevoll über den Kopf. „Lass uns einfach gehen, okay? Hier zu sein tut dir nicht gut."
„A-Alec, ich will das nicht mehr", weine ich leise in seinen Pullover. „Wieso muss ich ihn nur so sehr lieben? Und wieso muss er mir das auch noch antun?"
„Ich kann dir nur tausend Mal sagen, dass er dich auch liebt. Es ist ganz allein deine Entscheidung, was du tust. Du könntest auch hier bleiben und warten bis er wieder kommt. Du könntest ihm verzeihen und wieder mit ihm zusammen sein."
Ich schüttle langsam den Kopf. „Ich – Ich kann nicht."
„Ich wollte es dir nur sagen", meint er ruhig und lässt mich los, streicht mir die Tränen von den Wangen. „Wir gehen, ja?"
Ich nicke nur schniefend, wende mich wieder an den Karton. Ich schließe ihn voller Trauer und Sehnsucht und lege ihn so hin, wie er lag, bevor wir gekommen sind.
Alec nimmt mich lächelnd an der Hand und öffnet die Tür.
Ein letztes Mal blicke ich in das Apartment, rieche seinen wundervollen Duft, schließe dann die Tür hinter mir.
Aiden
Ich starre an die Decke des wahrscheinlich schäbigsten Hotels aller Zeiten. Es stinkt widerlich nach totem Tier und ich kann ein paar Risse in den Ecken der Wände erkennen.
So muss es wohl aussehen, wenn man am Ende angekommen ist.
Mein einziger Trost ist, dass es mittlerweile spät abends ist und das Tageslicht mir nicht genau zeigen kann, wie abartig es hier tatsächlich aussieht. Was soll man auch für fünfundzwanzig Dollar pro Nacht verlangen? Eine Luxussuite werde ich mir wohl kaum noch leisten können. Brauche ich auch nicht. Das ist nur eine einzige Nacht. Morgen werde ich einfach das Geld bei der Polizei abgeben und verschwinden. Hoffentlich muss ich diese Stadt nie wieder sehen. Die Lust an New York ist mir vergangen, egal wie aufregend und schön die Zeit hier war. Sie war nur aufregend und schön, als ich mit Raven zusammen war.
Ich fahre mir durchs Gesicht. Es ist unmöglich Schlaf zu finden. Ich stemme mich auf, das alte Bett knarrt sofort und ich sehe aus dem kleinen Fenster, dann auf die Uhr meines Handys. Gerade einmal halb zwölf Uhr. Ich finde sowieso keinen Schlaf und mein Kopfschmerz plagt mich noch immer. Ich muss hier raus.
Ich ziehe mir meine Klamotten an, verlasse das grausame Hotel und laufe durch die Straßen von New York. Obwohl ich todmüde bin, schafft es mein Körper einfach nicht zu ruhen. Es ist momentan einfach zu viel, dass mich belastet und aufwühlt. Wie soll ich so einen freien Kopf bekommen?
Ich vergrabe meine Hände in den Taschen meines Mantels und lasse mich auf eine Bank am Straßenrand fallen. Es ist arschkalt und mein Kopfschmerz scheint nicht verschwinden zu wollen.
Ich würde jetzt gerne ihre Stimme hören. Fragen, wie es ihr geht, was sie so macht. Einfach nur wissen, ob es ihr besser geht als mir. Ich will ihren Geruch einatmen, ihren kleinen Körper an meinen pressen und mein Gesicht in ihrem Haar vergraben. Sie verdammt nochmal sehen können und ihr sagen, wie sehr ich sie liebe.
Verdammt, sie fehlt mir. Sie fehlt mir so verdammt sehr.
Ich lasse meinen Blick über die fast verlassenen Straßen gleiten und sehe in ein beleuchtetes Café. Ein Mann steht an der Kasse. Man könnte fast meinen es wäre Alec. Er trägt die gleiche Lederjacke, sogar die Statur ist identisch.
Ich sehe wieder weg. Jetzt bilde ich mir schon meine Möglichkeiten, sie wiederzusehen, ein. Das muss verdammt nochmal aufhören.
Ein leises klingeln kommt von der anderen Straßenseite und der Mann verlässt das Café.
Das ist Alec. Das ist verdammt nochmal Alec.
Sofort springe ich auf. „Alec!", rufe ich zu ihm herüber. Doch er scheint mich nicht gehört zu haben und läuft weiter um die Ecke. Scheiße, nein, ich kann diese Chance jetzt nicht verpassen. Ich muss wissen, wo Raven ist, egal wie beschissen mein Leben momentan aussieht. Schnell jogge ich über die Straße und laufe ihm hinterher. Ich sehe seine Silhouette schon von weitem. „Ey!", rufe ich erneut und komme ihm immer näher. „Alec!"
Jetzt dreht er sich zu mir um und bleibt verwirrt stehen. „Aiden", stellt er erschrocken fest, als ich bei ihm ankomme.
„Ja", sage ich schweratmend von dem Lauf. „Alec, bitte sag mir wo Raven ist."
Er hebt die Brauen. „Wow, kein freundliches Hallo ? Kein nettes Wie geht's dir ? Kein Was machst du so spät abends unterwegs?"
Ich funkele ihn böse an.
„Sie ist bei mir."
Ich atme erleichtert aus. Wenigstens weiß ich, dass es ihr bei ihm gut geht. „Gut ... Ich – Das war es auch schon. Ich wollte nur wissen, ob es ihr gut geht ..." Ich drehe mich etwas von ihm weg, mein Blick auf den Boden gerichtet. Ich bin so erschöpft, so scheiße erschöpft. „Ich werde wieder gehen. Mach's gut." Mit dem Gedanken, dass ich gerne wissen würde, wo er wohnt und dass ich sie gerne wieder sehen würde, lasse ich ihn wortlos dort stehen. Ich werde mich niemandem aufdrängen. Sie will meine Anrufe nicht annehmen, also will sie mich erst recht nicht sehen.
„Sie vermisst dich!", ruft Alec mir hinterher.
Ich bleibe stehen.
„Sie vermisst dich mehr, als du dir vorstellen kannst."
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