Werner Siegert
Ypsilon
Ein psycho-phänomenaler Roman
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel Werner Siegert Ypsilon Ein psycho-phänomenaler Roman Dieses ebook wurde erstellt bei
Das erste Mal
Thekla
Geht es auch anders herum?
Der Brief der C.
Pyramus und Puppi
Alles Kirlian?
Nun auch noch mit Elektroden
Von Chakren und Meridianen
Messen in der Messe
Nachspiel und Vorspiel
„summa cum laude“ mit Y
Was war mit Elena?
Die Rasterfahndung schlägt zu
Das Geständnis
Der Besuch
Impressum neobooks
Nein, meinen Namen sage ich Ihnen nicht. Auch nicht später. Dann würde man mich vielleicht in falsche Zusammenhänge bringen. Vielleicht wäre ich dann plötzlich ein Puzzleteil bei einer Rasterfahndung und könnte mich nicht wehren. Ich müsste einen Unschuldsbeweis erbringen, ohne die Schuld zu kennen.
Nein, nennen Sie mich auch nicht X. Das ist ein durchge-ixter Mensch, durchgestrichen, sieht aus wie ein Strichmännchen ohne Kopf. Den Buchstaben Y mochte ich schon als Kind viel lieber. Zum Beispiel hätte ich gern einen Namen mit Y gehabt. In ein Mädchen in meiner Grundschule habe ich mich spontan verliebt, weil sie Sybille hieß. Sie war nicht hübsch oder klug, aber sie hatte ein Y im Namen. Auch in eine Yvonne hätte ich mich verliebt. Aber wann trifft man schon eine? Ich habe alle Bürger von Yverdon in der Schweiz beneidet, weil sie in einer Y-Stadt wohnen dürfen. In Berlin hätte ich gern am Savignyplatz gewohnt, obwohl da später viele Bomben gefallen sind. Heute ist zwar alles wieder aufgebaut, aber so schön, wie es einem Platz gebühren würde, der ein Y im Namen trägt, sicherlich nicht. Wenigstens hält ein Bus dort und es gibt umtriebige Kneipen und Weinlokale.
Aber Y sollten Sie mich eigentlich auch nicht nennen; denn das würde wieder einen falschen Verdacht auf mich lenken. Denn das Ypsilon ist ein sexuelles Symbol. Gleich könnten wieder ein paar neunmalkluge Herausfinder die Rasterfahndung auf mich ansetzen. Und dann - siehe oben.
Mein Psychotherapeut lässt ein Tonband mitlaufen. Er hat vorher gefragt. Es geht in Ordnung. Irgendso eine arme Stenotypistin - oder heißt das jetzt Sonotypistin? oder Audio-Typistin? - muss dann seitenlang alles abschreiben. Angeblich will man aus den vielen Wörtern, Sätzen und Satzzeichen, Absätzen und insbesondere aus den Stellen, an denen ich meinen Redefluss stoppe und hüstele, herausfinden, was mit mir los ist.
Eigentlich ist mit mir gar nichts Besonderes los. Ich gehe auch einem normalen Beruf nach. Die Leute dort sollen aber nicht wissen, dass ich zu einem Psychotherapeuten geschickt worden bin. Die denken dann gleich, der ist blöd, hat ein geistiges Schepperle, einen Ypsilonkomplex oder kann sich von seiner Mutter nicht lösen, und dann ist kein Weiterkommen mehr. Deshalb bitte auch nicht schreiben "Der T.", denn dann gehen die ihre ganze Kartei durch. Auch die amerikanische NSA! Haben wir einen "T."? Einen, der Ypsilons mag? Der sich früher mal in eine Sybille verliebt hat? Ja, und erst, wenn die dann lesen, was mir Fragezeichen aufgibt. Ach, so einer ist das. Der ist möglicherweise, jedenfalls könnte er jetzt oder irgendwann, man weiß ja nie, gefährlich werden. Der fasst dann eine Frau an, am Arm oder schlimmer. Das steht dann in BILD und unsere PR-Abteilung muss Abertausende von Euro aufwenden, um so einen Schmuddelfleck am Firmenimage wieder wegzuwienern. Also das mit dem "T." war natürlich eine falsche Spur. Auch bei "L." oder "S." nichts als Fehlanzeige. Vielleicht müsste der Kollege Ludwig darunter leiden. Der sieht so gerne "Aktenzeichen XY - ungelöst!" Aha doch, siehe mal da, ein Ypsilon!
Nein, lasst den Ludwig in Ruhe. Selbst wenn er mit Yvonne verheiratet wäre und schon mal dem herrlichen Wackelpo von unserm neuen Lehrling nachgeschaut hätte - er wäre nicht identisch mit mir.
Sie haben ja ganz schön Geduld, wenn Sie bis hierher gelesen haben. Soll ich mich Ihnen offenbaren? Also ihm, dem Psycho, und Ihnen, der Bandabschreiberin und all jenen, die dazu verdammt werden, ihre schöne Zeit diesem Lesestoff zu widmen und dabei noch klug herumzugrübeln? Vielleicht finden die ja dann noch ein tolles Kürzel für mein Leiden, das aber auch gar kein Leiden ist, sondern eher ein Freuden. PFMS - wissen Sie, was das heißt? Nein? Also es gibt Leute, die im Schlaf oder sonst wann, wenn ihre Füße nicht durch Stiefel oder einen ICE-Sitzplatz gefesselt sind, ständig ihre Füße bewegen. Rechts nach links, links nach rechts, kreisen, gegen den anderen Fuß reiben, sich selber kitzeln. Also das ist PFMS - zu Deutsch: Permanent-Feet-Moving-Syndrom. Patsch, da hat das einen Namen und kann in "Psychologie heute" oder in der "Neuen Revue" oder in "HÖR ZU" thematisiert werden. Was hat so einer für eine Macke abgekriegt? Sexueller Missbrauch als Kind? Frostbeulen? Zu kurze Bettdecke? Oder ist er ein Sportaholic, der auch im Schlaf noch Fitness betreiben will? Erinnert er sich fröhlich-traumatisch an Babyzeiten, in denen die Mama die Füße nach dem Pudern gekitzelt hat. Oder ist das schon Missbrauch? Träumt er, über glühende Kohlen zu gehen oder gehen zu müssen? So was muss man ja heute im Management-Training gemacht haben, sonst keine Karriere. Ist das eine symbolische Vorbereitung für später, wenn man dem Vorstandssprecher auf glühenden Kohlen mitteilen muss, dass seine Entscheidung sich leider sehr, sehr verlustreich ausgewirkt hat? Also denken Sie mal nach, wenn Sie unter PFMS leiden, ob Sie sich nicht mal bei einem Talkmeister, bei Pastor Fliege oder bei Frau Schreinemakers outen sollten.
Vielleicht habe ich meine Geschichte zu flapsig begonnen. Jetzt glauben Sie sicher, ich mache hier nur Witzchen und erzähle, was die Kölner Dönekes nennen. Wie kriege ich Sie jetzt nur von dieser strahlenden Dur-Tonart in das eher geziemende H-moll? Und vom Scherzo (spricht man Skerzo!) zum Adagio? Ich empfinde diese Macke ja auch gar nicht als Macke, sondern als Bereicherung. Als etwas, was ich kann oder mir geschenkt worden ist vom lieben Gott, was andere nicht haben. Oder doch? Schreiben Sie mir? Aber ich will keine Selbsthilfegruppe bilden. Auch keine Facebook-Gruppe! Nein, ganz bestimmt nicht. Nie! Ich will mit dem, mit meinem Syndrom, wie auch immer es irgendwann benannt wird, allein bleiben. Am liebsten würde ich jetzt hier aufstehen, rausgehen und nie mehr wiederkommen. Aber das nennt der Psycho Flucht. Ich glaube, er will mal berühmt werden. Dann tauft er das ein Strakhooven-Syndrom und geht in die Fachliteratur ein und in die HÖR ZU. Hat ein Mensch eigentlich ein Urheberrecht an seiner Macke, wenn er sie nachweislich zum ersten Mal hat, als einziger, der bekannt ist unter dem Firmament? Kann er nicht das Benennungsrecht dafür beanspruchen und das Copyright? Oder begreift sich der Psycho als Schatzgräber? Ich bin der Sand, der Kies, der Lehm - und meine Macke der Schatz? Aber meine Geschichte gehört mir. Nur, wie macht ein Namensloser seine Rechte geltend?
Wann war das zum ersten Mal? Können Sie sich erinnern? fragt der Psycho. Achtung - jetzt wird es ernst und seriös. Wir wechseln von Dur zu Moll. Denn das, was sich da ereignet hat, war geheimnisvoll, rätselhaft und irgendwie sehr schön. Wann zum ersten Mal? Das weiß ich noch. Aber wie alt ich damals war, weiß ich nicht. War mir nicht so wichtig. Ich wusste auch nicht, ob es nur ein einmaliges Ereignis sein würde. Und danach ein NIE MEHR. Es gab ja auch eine lange, lange Pause. Also jedenfalls war ich schon in der Mitte der Jahre. Tatort: S-Bahn, Linie 7, Fahrtrichtung glaube ich Marktoberdorf. Sommer. Morgens. Proppenvoll. Stehplatz schon halb im Gang. Vor welcher Haltestelle? Nein, das sage ich jetzt nicht. Ypsilonsüchtig, witziger Typ, erzählsüchtig, S-Bahn Linie 7, morgens, also Fahrt zum Arbeitsantritt, Richtung Stadtmitte. Fängt nicht mit T oder S an. Auch nicht mit L. Liest "Psychologie heute", eventuell auch die "Neue Revue". Rasterfahndung. Noch ein paar Eitzes (wie schreibt man das, Typistin?) mehr und die haben mich im Fadenkreuz.
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