1 ...6 7 8 10 11 12 ...26 Er lächelte ironisch.
“Das ist also ziemlich wichtig. Trotzdem kann natürlich Energie austreten, und auch außerhalb des Gestänges werden gewisse Erscheinungen zutage gefördert, die nicht steuerbar sind: so auch in unserem Fall, was uns die Kuh auf dem Ku’damm bescherte –oh, welch sinnreiches Wortspiel!”
“Ja,” ergänzte Christian, “und das Haus mit dem Baum.”
Der Professor grinste in sich hinein.
“Das hat’s Ihnen angetan, nicht wahr? –Ich hoffe nur inständig, es ist niemand zu Schaden gekommen. Man kann Perfektionist sein, wie man will, es gibt immer diese Ungenauigkeiten und Unregelmäßigkeiten. Der Magnetismus ist an einer Stelle schwächer als gefordert, und Sie finden die seltsamsten Erscheinungen in Ihrem Umland vor.”
“Und was ist mit dem Totalabsturz der Computer und mit dem Zusammenbruch der Telekommunikation?” wollte der andere wissen.
“Ich kann dazu nicht so viel sagen, alldieweil ich mich mit den Errungenschaften Ihrer Zeit noch nicht genügend beschäftigt habe, um dieses Problem erörtern zu können. –Ich will mich der Frage so annähern: alle Geräte, die ihrerseits mit relativ hoher Energie betrieben werden, sprich: Elektrizität, bekommen einen Schock, wenn aus meiner Maschine unbeabsichtigt und unregelmäßig Energie austritt –so als hätte ein Blitz eingeschlagen, in etwa. Allerdings hat das, womit ich hier spiele, im Vergleich selbst noch zum heftigsten Blitz geradezu kosmische Dimensionen im wahrsten Sinne des Wortes.”
“Dann ist es beinahe verwunderlich, wie schnell das Stromnetz sicher wieder erholt hat. Ich kann mich entsinnen, nach einer Minute etwa floss er wieder...”
“Ja, warum auch nicht? Wir wissen ja nicht, wo, warum und –haha: wann wie viel Energie hinaus geflossen ist. Es ist ja gut möglich, dass das Leck –lassen Sie es mich mal so nennen– nur winzig klein ist, was die kosmischen Dimensionen, von denen ich just sprach, ganz fix relativieren würde.”
“Und was bitte hat all das mit Telefonen zu tun?”
“Hm... ich weiß es ehrlich gesagt nicht, ich könnte mir nur vorstellen, dass ein Telefon ein Gerät ist, empfindlich genug, um von dieser völlig flach gelegt zu werden. Das ist gar nicht so einfach herauszubekommen, da wir ja die Energie nicht sehen können –es handelt sich eben nicht um einen Blitz oder Verwandtes, sondern um einen Eingriff in die Raum-Zeit-Korrelation.
Es ist praktisch unmöglich, genau genug nachzuforschen, weil nicht nur unsere Sinnesorgane, sondern auch unsere Messinstrumente –die sich nur an uns und an unserer Wahrnehmung orientieren, ja geradezu verlängerte Sinnesorgane sind, sein müssen– weil auch diese Instrumente ebenso wie wir notgedrungen der Raum-Zeit-Korrelation unterliegen. Ich kann Ihnen tausendmal sagen, dass die Zeit nicht linear verläuft, sondern untrennbar mit dem Raum verwoben ist; ob Sie’s mir glauben oder nicht, Sie können das nicht wirklich nachempfinden. Wir Lebewesen und damit alles, was wir schaffen, sind der Auffassung unterworfen, dass die Zeit geradlinig von A nach B, und zwar immer vorwärts, verläuft. Alles andere können wir erörtern, denken, vielleicht sogar verstehen, aber unmöglich empfinden. Wir müssten schon reiner Geist à la Hegel sein, um es zu können.”
“Wenn wir reiner Geist wären, könnten wir es auch nicht empfinden, weil wir nichts hätten, womit wir es empfinden könnten,” gab Christian zurück.
Wittmann schaute ihn schief an.
“Interessanter Einwand. In jedem Fall aber ist das Problem klar. Man kann die Natur austricksen und erforschen und eindämmen, aber niemals überwinden. Wir sind übrigens vom Thema abgekommen. Wir sprechen von der Zeitmaschine, dem bisher besten, das zum Austricksen –nicht Überwinden– der Natur geschaffen worden ist, wenn ich einmal so unbescheiden sein darf.
–Kommen Sie,” unterbrach sich Wittmann, der inzwischen etwas angestrengt wirkte, “steigen Sie ein und betrachten Sie die Armaturen.”
Sie stiegen in die Zeitmaschine; der Ledersitz bot genug Platz für zwei, oder in diesem Fall wohl eher zweieinhalb.
„Sitzen Sie bequem? Gut. Unter diesem Sitz befindet sich ein Depot für Werkzeuge, das ich sicherheitshalber in die Zukunft mitnehmen wollte. Dann, hier, vorne links, der Schalter, den Sie hier sehen... damit steuern Sie die Richtung Ihrer Zeitfahrt.”
Er zeigte auf den Flugzeug-Steuerknüppel.
“Natürlich können Sie nur zwischen Zukunft und Vergangenheit wählen. Wollen Sie in die Zukunft, drücken Sie den Hebel von sich weg. Wenn Sie ihn zu sich hin ziehen – fahren Sie in die Vergangenheit.”
“Und wie regeln Sie die Geschwindigkeit?”
“Tja, das ist allerdings ein Problem. Meine Gangschaltung ist wohl defekt.”
“Ist das dieser Knüppel hier?”
“Ja genau.”
“Wie bei einem Auto,” konstatierte Christian.
“Wie bitte? Ach, Sie meinen Automobil. Ich habe Ihnen ja gesagt, Sie sollten sich vorstellen, Sie säßen in einem Automobil. Leider ist die Schaltung nicht in Ordnung. –Eigentlich haben Sie hier sechs Gänge zur Verfügung, das heißt: ...sollten Sie zur Verfügung haben. Nun, im ersten Gang reisen Sie ganz gemächlich. Für vierundsechzig Jahre würden Sie nach eigener Zeitauffassung allerdings so um die zwei Monate brauchen, wenn ich richtig gerechnet habe. In diesem Gang werden Sie also nur etwa einen Tag in Vergangenheit oder Zukunft reisen. Konstruiert habe ich diesen Gang im Grunde zum Anfahren, wenn Sie mir diesen Ausdruck einmal erlauben wollen. Im zweiten Gang vervierfacht sich die Geschwindigkeit, was aber immer noch ein sehr gepflegtes Tempo ist. Führen Sie im freien, würde Ihre Fahrt sehr ästhetisch verlaufen, ein buntes Wechselspiel von Tag und Nacht, Formen und Farben; Sie schauen Sonne und Mond beim Auf- und Untergehen zu und haben Ihre Freude daran, wie sich die Blüten öffnen. Einen Tag würden Sie quasi in einer Minute durchfliegen: gestatten Sie mir diese unkorrekte Ausdrucksweise. Der dritte Gang ist weniger gemächlich, und man könnte sagen, dass Sie in einer persönlichen Minute ungefähr zehn Tage zurücklegen, wenigstens hatte ich mir das so ausgemalt. Schließlich der vierte und der fünfte Gang, beides Hochgeschwindigkeitsgänge. Sie sind in etwa gleich schnell –um bei dem Vergleich mit herkömmlicher Geschwindigkeit zu bleiben, nur mit dem Unterschied, dass der fünfte Gang, wenn Sie so wollen, Energie spart.”
“Oh, das ist ja auch wie beim Auto.”
“Ist das so in Ihrer Zeit, nun, das ist interessant. Meinen fünften Gang hatte ich so konstruiert, dass Sie zwar in enormem Tempo durch die Zeiten rasen, aber sachte –und als rollten Sie ohne Druck durch einen Tunnel; Sie sollten von Ihrer Umwelt nichts mehr mitbekommen. Es tritt nämlich beim vierten Gang nach meinen Berechnungen unvermeidlich eine Art Energie aus, die Ihnen während der Fahrt lustige Halluzinationen beschert; das liegt an der unerhörten Kraft, welche diese Maschine verschlingt; der fünfte Gang reduziert diese Energie –Ihr Bewusstsein wird etwas trübe, aber es strengt Sie nichts mehr an; hinausschauen im eigentlichen Sinne können Sie nicht mehr, da gibt es nämlich nichts anzuschauen. In diesem fünften Gang wird die Maschine übrigens allmählich langsamer. Es wäre also Ihre Entscheidung, wie Sie reisen wollen: anstrengend und abenteuerlich oder hingegen angenehm, ohne äußere Reize, sozusagen im Halbschlaf.”
“Und in welchem Gang hatten Sie vor, zu reisen?”
“Oh, ich wollte allmählich in den vierten und dort bleiben, natürlich. Ich hätte das aufregend gefunden.”
“Halluzinationen?”
“Ich hatte vor, mir eine abenteuerliche Fahrt zu spendieren. Schließlich wollte ich nicht die aufregendste Reise meines Lebens verschlafen. Das Problem bestand darin, dass offenbar der sechste Gang der einzige ist, welcher so arbeitet, wie ich es mir wünschte.”
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