„Ich denke, du kennst die Antwort auf deine Frage“, sagte Joel ruhig und mit ernster Stimme.
Als die Frauen jedoch keine Anstalten machten, zu verschwinden, hatte er die Nase voll.
„Das hier muss aufhören“, sagte Joel kalt. „Ihr solltet euch lieber ein anderes Opfer suchen, denn die Identität von J. D. werdet ihr nie erfahren. Oder glaubt ihr wirklich, ich würde zulassen, dass ihr ihn im Anschluss Tag für Tag belästigt?“
Gespielt unschuldig sah Britta ihn vorwurfsvoll an.
„Ich weiß gar nicht, wovon du sprichst. Wir sind lediglich treue Fans, die den Künstler einmal persönlich treffen wollen.“
Joel ging nicht darauf ein, sondern sah die Frauen nur wütend an. Er hatte keine Lust mehr, mit ihnen zu diskutieren. Es würde sowieso nichts bringen. Schon zu oft hatte er es auf höfliche Weise versucht. Damit war ein für alle Mal Schluss.
„Ich denke, wir haben uns schon verstanden“, sagte er daher nur und schaute abwechselnd jeder der sechs Frauen in die Augen.
Sie sollten erkennen, dass er es ernst meinte. Dann wandte er sich seinem Freund zu.
„Lass uns verschwinden.“
Jordan nickte, und ohne die Frauen weiter zu beachten, gingen sie davon.
Die nächsten Stunden verbrachten Joel und Jordan damit, durch die Galerie zu laufen und sich mit den Besuchern zu unterhalten. Alle lobten die ausgestellten Werke und wünschten dem Künstler weiter alles Gute. Einige überreichten Joel sogar Geschenke, die er an J. D. weitergeben sollte. Alles in allem war die Veranstaltung ein großer Erfolg. Und selbst Britta und ihre Freundinnen waren irgendwann verschwunden.
„Alle Bilder sind verkauft“, sagte Joel, als sich die Galerie geleert hatte, und sah seinen Freund zufrieden an. „Giovanni meinte sogar, es hätten noch viel mehr sein können.“
Jordan lachte auf und sah sich um. An jedem Bild hing ein Zettel mit dem Wort „ Verkauft “. Bevor er jedoch etwas sagen konnte, kam plötzlich Giovanni Rodriguez, der Geschäftsführer der Galerie, schnell auf die beiden Männer zu.
„Entschuldige, Joel“, sagte Giovanni, als er vor ihm stand. „Ich habe deinen Bruder auf Leitung zwei. Es scheint sehr wichtig zu sein.“
Verwirrt sah Joel in die braunen Augen des Galeriemitarbeiters. Juan? , dachte Joel verwirrt. Warum ruft er mich hier in der Galerie an? Wir wollten uns doch übermorgen treffen. Ist ihm etwas dazwischengekommen? Leicht nickte Joel Giovanni zu, dann ging er in Richtung des Büros. Die ganze Zeit überlegte er, was wohl der Grund von diesem plötzlichen Anruf sein konnte. Noch nie hatte sein Bruder ihn in einer der Galerien angerufen oder ihn hier besucht, dabei hatte er ihn schon oft zu einer Ausstellung eingeladen. Aber seit dem Tod seiner Frau, hielt Juan nicht mehr viel von solchen Vergnügungen, sondern zog sich immer mehr in seine Arbeit und sein Studium zurück.
Im Büro angekommen, griff Joel nach dem Hörer, der neben dem Telefon lag.
„ Ciao , Juan. Was ist denn los?“
Wie immer, wenn er sich mit seinen Eltern oder Geschwistern unterhielt, wechselte Joel sofort in seine zweite Muttersprache, Italienisch.
„Joel, du musst sofort nach Hause, zu unseren Eltern fahren. Ich habe morgen noch eine wichtige Prüfung und kann daher erst später nachkommen.“
Verwirrt sah Joel zu Jordan, der gerade ins Zimmer gekommen war. Was soll ich zu Hause? , fragte sich Joel. Jade wollte doch mit den Eltern nach Judenburg, zu Tante Melanies Geburtstagsfeier.
„Juan, was meinst du damit?“, fragte er verwundert. „Da ist doch niemand. Sie sind alle auf der Farm.“
Es folgte ein kurzes Schweigen, dann sprach Juan weiter. Erst jetzt hörte Joel die leichte Verzweiflung in seiner Stimme.
„Sind sie nicht. Wegen der aktuellen Kollektion ist ‚Papà in Dornbirn geblieben und Mamma wollte ihn nicht alleine lassen. Jade ist daher alleine gefahren. Vor zehn Minuten hat mich Christian von der Farm aus angerufen. Mamma hat sich bei Jade gemeldet, weil sie niemanden von uns erreichen konnte. Wir sollen sofort kommen.“
Es folgte ein langes Schweigen und Joel begriff, dass etwas Schreckliches vorgefallen sein musste. Bevor er aber etwas sagen konnte, sprach sein Bruder weiter und Joel hatte das Gefühl, als würde ihm jemand den Boden unter den Füßen wegziehen.
„Joel, Papà hatte im Büro einen Herzinfarkt und liegt auf der Intensivstation. Es sieht nicht gut aus.“
Zwei Monate später.
Konzentriert brachte Joel ein paar Striche aufs Papier, ohne wirklich zufrieden zu sein. Bereits seit Stunden war er mit den Zeichnungen für die neue Kollektion beschäftigt, doch immer hatte er etwas daran auszusetzen. Einmal war das Kleid zu eng, dann zu kurz. Der Schnitt passte nicht oder es waren zu viele Highlights. Inzwischen quoll der Papierkorb über von seinen unzufriedenen Arbeiten, und auch das aktuelle Blatt warf Joel fluchend hinein. Obwohl er eine ganz genaue Vorstellung davon hatte, wie die neuen Entwürfe aussehen sollten, fiel es ihm schwer, seine Vision aufs Papier zu bringen. Mist, dachte er wütend. Wieso bekomme ich das nicht hin? So schwierig ist das doch nicht.
„Verdammt!“, sagte Joel frustriert, als ihm erneut eine Zeichnung misslungen war, und legte den Stift zur Seite. „Wenn es in diesem Tempo weitergeht, wird diese Kollektion nie fertig. Ich hätte mich von Mamma nicht dazu überreden lassen sollen. Ich bin eben kein Modezeichner.“
Plötzlich musste Joel wieder an den Anruf seines Bruders denken, der ihn völlig aus der Bahn geworfen hatte. Natürlich war er sofort nach Hause gefahren, um seiner Mutter beizustehen. Diese war völlig verzweifelt gewesen und gab sich selbst die Schuld an dem Unglück. Sie wusste, wie schwer ihr Mann in den letzten Monaten an der neuen Kollektion gearbeitet hatte. Immer später war er abends nach Hause gekommen, um die geplante Frist einzuhalten. Und statt ihn zu bremsen, wie sie es eigentlich hätte tun sollen, hatte sie seine Überstunden einfach stillschweigend akzeptiert. Für sie war es nichts Neues gewesen, denn schon immer war sein Vater ein Workaholic gewesen. Selbst als seine Kinder noch klein gewesen waren, hatte er viel Zeit in seiner Fabrik verbracht. Hatte sogar das Fabrikgebäude ganz in der Nähe seines Hauses bauen lassen, sodass er problemlos zu Fuß hin- und zurückgehen konnte. Tja, und all dies hatte sich am Ende gerächt. Trotzdem litt seine Mutter bis heute unter großen Schuldgefühlen.
Zum Glück für seinen Vater war er nicht allein, sondern mitten im Gespräch mit seiner Buchhalterin Ariadne Steinmeyer gewesen. Diese hatte sofort den Notarzt gerufen und Erste Hilfe geleistet. Ohne ihren schnellen Einsatz wäre es für Valenzo de Luca wohl nicht so gut ausgegangen. Sondern er wäre an diesem Tag gestorben.
Inzwischen konnten er und seine Familie aber wieder aufatmen. Zur Freude aller hatte sich sein Vater erholt und befand sich nicht mehr in Lebensgefahr. Trotzdem würde es noch eine Weile dauern, bis dieser wieder arbeiten konnte. Aus diesem Grund kümmerten sich Joel und sein Bruder, inzwischen seit zwei Monaten, um die Leitung der Fabrik. Oder besser gesagt er, denn Juan studierte zurzeit in München Modemanagement. Dieser hatte zwar angeboten, sein Zweitstudium abzubrechen, um sich ganz der Firma widmen zu können, aber Joel war dagegen gewesen. Gut, sein Bruder hatte gerade erst mit seinem neuen Studiengang begonnen, doch er wusste, wie wichtig ihm dieser Lehrgang, zusätzlich zu seinem Abschluss in Modedesign, war. Außerdem würde Joel ja nur vorübergehend mit der Arbeit in der Fabrik beschäftigt sein. Nur so lange, bis sein Vater die Leitung wieder übernehmen konnte.
Ein plötzliches Klopfen an der Tür riss Joel aus seinen Gedanken. Noch bevor er „Herein“ rufen konnte, ging diese auf und die Buchhalterin der Fabrik, Ariadne Steinmeyer, kam herein. Wie immer trug sie ein hochgeschlossenes Kostüm, während ihre rotblonden Haare zu einem festen Dutt zusammengebunden waren. Neugierig lehnte sich Joel in seinem Stuhl zurück und sah die junge Frau an. Ich würde sie wirklich gerne einmal mit offenen Haaren sehen , ging es ihm durch den Kopf. Als er jedoch bemerkte, wie sie ihn mit ihren braunen Augen wütend anfunkelte, schob Joel diesen Gedanken beiseite und atmete tief durch. Scheinbar hatte er wieder etwas angestellt.
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