Diese Vorgehensweise brachte Belial in den vergangenen Jahren einen sehr großen Vorteil. Alle Dämonen, die sich einen menschlichen Körper zu Eigen machten, bekamen zum Teil auch die Fähigkeiten und das Wissen des Menschen mit, denen der Körper zuvor gehörte. Dadurch hatte er unter seinen Gefolgsleuten beispielsweise Banker, Börsenmakler, Diplomingenieure und andere Leute. Bereichert durch das Wissen der verschiedensten Berufe und Wissenschaftszweigen erklärt sich auch der heutige Reichtum der Alkatar. Schutzgelderpressung, Kidnapping, Überfälle, aber auch Spekulationen an der Börse oder Firmenanteile in ganz Amerika füllten jeden Tag ihre Taschen auf ein Neues. Die Leute auf der Straße hielten Belials Gefolgsleute oft für Mitglieder des organisierten Verbrechens, doch hatten sie keine Ahnung was sich wirklich hinter allem verbarg. Gut organisiert waren sie alle mal, aber ihr Ziel war nicht das Verbrechen. Es gab nur eine Mission. Sie wollten, dass einzig und allein das Leiden auf Erden den Alltag bestimmt!
Dio setzte einen Fuß nach dem anderen auf die mit purpurnem Teppich verkleideten Stufen. Er konnte schon den edlen Parkettboden des oberen Stockwerkes und den Fuß der Tür erkennen als sich die Eingangstür zum großen Saal langsam öffnete.
„Da bist du ja endlich! Belial kann es kaum erwarten deine neuen Nachrichten zu hören!“ sagte Jiro, der scheinbar schon an der Tür auf Dio gewartet hatte.
„Ich komm ja schon!“ sagte Dio und ging nun etwas schneller die Treppen hinauf.
Das obere Stockwerk bestand nur aus dem großen Saal, in dem die Alkatar ihre Orgien feierten, oder neue Pläne für ihre Geldgeschäfte schmiedeten. Der lange Flur war zur Seite der Treppe völlig offen und war umgeben von demselben edlen Geländer, wie es auch die Treppe umfasste. Der dunkle Parkettboden erstreckte sich durch das ganze Stockwerk. Dio ging nun auf Jiro zu, begrüßte ihn knapp und betrat den großen Saal. Gegenüber der Tür erstreckte sich eine riesige Glasfront, welche den Blick auf den Hinterhof der Villa freigab. Dio konnte von hier oben sehen wie sich drei seiner Kollegen mit zwei abscheulich aussehenden Nutten am Pool vergnügten.
Mitten auf dem frisch geschnittenem Rasen stand eine kleine Holzhütte wie sie für Gartengeräte verwendet wird. Belial hatte diese Hütte vor langer Zeit bauen lassen, allerdings nicht um Gartengeräte in ihr zu verstauen. Sie war der Zugang zu New Yorkers Unterwelt. Von hier konnten die Alkatar jeden Punkt der Stadt erreichen, ohne zu viel Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Viele der Alkatar bewegten sich lieber im Schatten der Kanalisation als bei Tageslicht durch die Straßen New Yorks zu ziehen.
Die restlichen Wände des großen Saals waren verziert mit teuflisch aussehenden Wandteppichen. Auf der rechten Wand war vor langer Zeit das Zeichen der Alkatar mit menschlichem Blut gemalt worden. Das Blut war mittlerweile geronnen und hatte einen bräunlichen Farbton angenommen. Belial hatte oft davon erzählt, wie sie auf dem Heimweg nach dem Kampf zwischen Dalarion und ihm eine hilflose Frau mitgenommen hatten und sie zur Feier des Tages brutal ermordet hatten. Anschließend malte Belial mit ihrem Blut das Abzeichen auf die Wand, um das Zeitalter der Alkatar einzuläuten. Dio dachte gerade darüber nach was wohl passieren würde, wenn er Belial gleich erzählen musste, dass dieses Zeitalter vielleicht bald sein Ende finden würde als er einen höllischen Schmerzensschrei vernahm.
Vor der Glasfront des großen Saales befand sich die riesige Tafel an der Belial mit seinen engsten Verbündeten saß. Hier durfte nicht jeder sitzen wie es ihm passte, sondern nur seine vier Hauptgefolgsleute. Belial saß in der Mitte des Tisches. Rechts neben ihm saßen Lyras und Minas. Zu seiner linken waren beide Stühle frei. Direkt neben ihm würde Dio gleich sitzen und ihm die schlechte Nachricht überbringen, direkt gefolgt von Jiro. Jetzt sah Dio wo der Schrei hergekommen war, den er gerade vernommen hatte. Genau über dem Tisch schien ein nackter menschlicher Körper, gezeichnet von etlichen klaffenden Wunden zu schweben. Es war ein junger Mann, vermutlich Mitte zwanzig welcher an acht eisernen Haken die durch seine Haut gebohrt waren an rostigen Ketten von der Decke hing. Vier dieser Haken durchbohrten die Haut seines Rückens. Die anderen waren aufgeteilt auf seine Arme und Beine. Sein ganzer Körper war übersät von Fleischwunden, verursacht durch die unzähligen Peitschenhiebe Minas.
„Hör auf so einen Aufstand zu machen, du dreckiger Hurensohn!“ sagte Minas als der Mann einen weiteren Schmerzensschrei von sich gab, und versetzte ihm einen harten Schlag ins Gesicht.
Die Ketten gaben ein leichtes Klirren von sich und der Körper bewegte sich unheilvoll hin und her. Blut tropfte auf den langen Tisch, aber das schien Belial und seine Gefährten in keinster Weise zu irritieren sondern eher zu stimulieren. Auch Dio liebte solche Anblicke. Wehrlose Menschen, die voller Schmerz gewillt sind allem zu gehorchen, und sogar ihre eigene Familie verraten würden, nur damit der Schmerz ein Ende hat. Erregt durch das tropfende Blut sprang er mit einem Satz auf den Tisch und landete sanft in gebückter Haltung Auge in Auge vor Belial.
Dio stand bedächtig auf und leckte durch das blutverschmierte Gesicht des Mannes, der so geschwächt war, dass er noch nicht einmal Anstalten machte sich zu wehren oder irgendeinen Laut von sich gab. Erst ein harter Faustschlag mitten auf seine Nase von Dio ließ ihn wieder vor Schmerzen aufschreien. Aus seiner gebrochenen Nase lief das Blut jetzt nur so raus, und bildete langsam einen See auf dem Tisch genau vor Belial.
„Schluss“ ertönte eine dunkle und bestimmende Stimme.
Im ganzen Saal traute sich keiner mehr auch nur einen einzigen Laut von sich zu geben, und das einzige was die Stille noch durchdrang war das Stöhnen von irgendwelchen drittklassigen Pornodarstellern das aus den Lautsprechern des riesigen LCD Fernsehers in einer Ecke des Raumes erklang. Blitzschnell schleuderte Belial ein in etwa fußballgroßes Teil Richtung Fernseher. Dieser gab einen lauten Knall von sich und ging in dunklen Rauchschwaden auf. Alle anwesenden Alkatar schraken auf und es machte den Anschein als trauten selbst diese sich nicht einmal mehr zu atmen. Das einzige was jetzt durch den Raum klang war das Rasseln der Ketten, an denen der blutüberströmte Mann hing. Nun wurde auch klar was Belial gegen den Fernseher geworfen hatte um für Ruhe und Aufmerksamkeit zu sorgen.
Belial hatte mit einer kaum wahrzunehmenden Handbewegung den Kopf vom Körper des Mannes gerissen und diesen dann in das Display geworfen. Dio stand immer noch auf dem Tisch und war beeindruckt und zugleich erschrocken von der Macht Belials.
„Würde er so gleich auch auf meine Nachricht reagieren?“ dachte er sich.
„Dio mein Freund. Setz dich. Mach es dir bequem. Du weißt wo dein Platz ist! Ich hörte du hast neue Nachrichten für mich.“ sagte Belial.
Seine Stimme hallte dabei bestimmend durch den ganzen Saal. Dio sprang mit einem Salto vom Tisch und setzte sich auf seinen Stuhl. Die Spucke blieb ihm weg. Zum ersten Mal verspürte er so etwas wie Angst durch seinen Körper strömen und seine Stimme blieb ihm im Hals stecken. Alle im Raum hatten den Blick auf ihn gerichtet, vor lauter Vorfreude auf die Nachrichten die Dio wieder für sie parat haben würde. In den meisten Fällen bestanden die Neuigkeiten aus Meldungen über die neusten Geschäftsentwicklungen, neue Firmen, denen sie den Stempel der Alkatar aufdrücken konnten, oder frische Rekruten die als Geldeintreiber oder sonstiges für die Alkatar arbeiten würden. Heute würde es nach Dios Botschaft nicht wie üblich eine feierliche Orgie geben in der man über menschliche Opfer herfällt und sich im Blut der Wehrlosen badet, dachte Dio. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und versuchte seine Stimme neu zu sortieren.
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