Bei einem der größeren Jungs hatte Rrordrak gesehen, wie dieser auf einen Vogel drauf getreten war und solange den Fuß hin und her gedreht hatte, bis das Tier fast in den Staub der Straße gedrückt war.
Als er das auch probierte spürte er den Anflug von Macht, dass er mit diesem Tier tun konnte was er wollte. Es töten, es retten, oder auch retten, um es später zu töten.
Zunächst quälte und tötete Rrordrak Vögel, Mäuse und Ratten oder streunende Katzen.
Als einer der größeren Jungen ihn mal wieder verprügelt hatte, lockte Rrordrak mit einem Stück Fleisch, dass er aus der Taverne geklaut hatte, den Hund der Familie des Jungen hinter sich her in den Wald.
Dort band er ihn an einen Baum und schlug solange mit einem Stock auf den Hund ein, bis er ihm jeden Knochen im mageren Körper gebrochen hatte.
Und bei jedem Schlag hatte er das Bild des Jungen vor sich, der ihn verprügelt hatte.
Als Rrordrak sechzehn Jahre alt war tötete er zum ersten Mal einen Menschen.
Ein Durchreisender hatte den mageren ungepflegten Jugendlichen auf der Straße gesehen und ihm den Auftrag gegeben, bei der Schmiede nachzufragen, ob sein Pferd bereits mit neuen Hufeisen beschlagen war. Hierfür hatte er ihm eine Kupfermünze versprochen.
Rrordrak war ins Dorf gelaufen und sofort zum Schmied gegangen. Da das Pferd bereits fertig war und der Reisende den Schmied bereits bezahlt hatte, hatte dieser Rrodrak das Pferd an die Hand gegeben und ihn aufgefordert, das Tier abzuliefern.
Rrordrak war die Straße entlang gelaufen und an einem nahen Weiher hatte der Reisende im Schatten eines Baumes gelegen.
„Euer Pferd, Herr.“ Eilfertig war Rrordrak vor den Mann getreten, in der Hoffnung für die Übererfüllung seines Auftrags vielleicht eine zusätzliche Kupfermünze zu bekommen.
Mit einem wortlosen Grunzen war der Mann aufgestanden und hatte dem jungen die Zügel des Pferdes aus der Hand genommen.
Rrordrak hatte den Mann angesehen und ihm die geöffnete Hand hingehalten, um seinen verdienten Lohn zu empfangen.
Der Mann hatte Rrordrak mit einem gemeinen Grinsen angesehen, dann hatte er ihm in die geöffnete Hand gespuckt.
„Du solltest fragen, ob das Pferd fertig ist, von abholen war nichts gesagt. Da du deinen Auftrag nicht erledigt hast, gibt es auch kein Geld.“
Der Reisende hatte sich umgedreht, um sich auf sein Pferd zu schwingen.
Rrordraks Gesicht war erstarrt, schwarze Flecken flirrten vor seine Augen. Ein Keuchen entrang sich seiner Kehle und seine Hand fuhr zu dem Messer, das er unter dem Hemd in den Hosenbund geschoben hatte.
Mit einer schnellen Bewegung riss er das Messer heraus und trieb es dem Mann tief in den Rücken.
Der Mann stöhnte auf, verdutzt sah er sich um, was ihn dort am Rücken getroffen hatte.
Rrordrak trat überrascht einen Schritt zurück und zog das Messer aus dem Rücken des Mannes.
Der Reisende sah den mageren Jugendlichen mit dem blutverschmierten Messer in der Hand da stehen.
„Was …?“ Er hob zu einem lauten Schrei an.
Rrordrak sprang vor und stieß dem Mann das Messer in den Hals.
Ein Blutschwall schoss aus der klaffenden Wunde, aus dem Mund kam nur ein gurgelndes Röcheln. Einige Augenblicke sahen der Mann und der Junge sich an, dann brach der Reisende tot zusammen.
Kein Erschrecken zeigte sich in den Zügen des Jungen. Entzückte Schauer überliefen seinen Körper und seine Zunge fuhr über die trockenen Lippen.
Er schaute sich sichernd um. Dann zerrte er den toten Mann mühevoll hinter sich her zum Weiher.
Er durchsuchte die Taschen des Toten und nahm ihm die dünne Geldbörse ab, die er um den Hals trug. Alles andere ließ er unangetastet, wie hätte er den Besitz solcher Gegenstände erklären sollen.
Dann nahm Rrordrak dem unruhig tänzelnden Pferd den schweren Bocksattel ab, band den Toten in die Halteschlaufen des Sattels ein und rollte ihn in den Weiher.
Das Leder des schweren Sattels sog sich schnell mit Wasser voll und innerhalb weniger Augenblicke war der Körper in den dunklen Wassern des tiefen Weihers verschwunden.
Rrordrak nahm das Pferd am Zügel und führt es hinter sich her tiefer in den Wald. Gerne hätte er dem Tier den Hals durchgeschnitten, aber es wäre gefährlich gewesen, wenn das Pferd dann gefunden worden wäre.
Also führte der das Pferd bis weit hinein in die Ebene und trieb es dann mit lautem Rufen und Schlägen mit einer Weidengerte fort.
Diese Tat hatte Rrordraks Mut und Selbstbewusstsein in ungeahnte Höhen schnellen lassen.
Nie wieder wollte er sich von anderen verletzen, betrügen und misshandeln lassen. Doch seine eigenen Fähigkeiten reichten nicht aus, um dies zu gewährleisten.
Auf dem Rückweg zum Dorf grübelte er lange nach und dann kam ihm ein Geistesblitz.
Mit dem Geld des toten Reisenden erkaufte er sich die Unterstützung des Sohns des Schmiedes, ein grobschlächtiger Junge, dessen Körperkräfte in einem deutlichen Missverhältnis zu seinen Geistesfähigkeiten standen.
Bisher war er immer einer der Ersten gewesen, der auf Rrordrak eingeschlagen hatte. Aber als dieser ihm eine Kupfermünze unter die Nase hielt und ihm mehr davon in Aussicht stellte, änderte sich seine Schlagrichtung.
Ab jetzt war Rrordrak sein Boss, nicht sein Freund, aber derjenige der für seinen Schutz bezahlte.
Und Rrordrak erkannte, dass man nicht alles alleine können musste. Der Kopf und die Skrupellosigkeit waren seins, davon hatte er mehr als genug. Und für alles andere fanden sich bereitwillige Männer und Frauen.
Zuerst für ein besseres Leben in Vrobana, natürlich für sich und nicht für seine Mutter, die sowieso nie etwas für ihn getan hatte.
Und mit der richtigen Unterstützung und den richtigen Leuten um sich herum dehnte Rrordrak sich aus.
Zunächst die Tätigkeiten, vom Verprügeln und Quälen über Erpressen und Rauben bis hin zu Überfallen und Töten.
Und dann das Gebiet. Von Vrobana über seine Nachbardörfer und immer weiter.
Auf diese Weise machte Rrordrak seinen Weg, zog eine heimliche und zunächst unauffällige Spur des Schreckens über die Alte Welt.
Immer wieder wechselte er zwischen Sylthana und seinen Nachbarstaaten Belgaria, Suraland und Tirnstein hin und her. Mit seiner stetig wachsenden Schar war er immer da zu finden, wo man ihn gerade am wenigsten suchte und wo sich die reichste Beute machen ließ.
Doch dann hatte Sylthana, unter der Führung von Prilip dem III. und Vater des heutigen Königs, Frieden mit seinen Nachbarn geschlossen und plötzlich hatten die Häscher Rrordrak und seine Horde auch über die Grenzen hinüber verfolgt.
Innerhalb weniger Wochen war seine Truppe von fast fünfzig Personen auf acht verbleibende Getreue zusammengeschrumpft … worden.
Als sich das Netz immer enger zog wurde Rrordrak klar, das er sich absetzen musste.
Eines Nachts schlich er heimlich aus dem Lager. Er hatte Wache, niemand bemerkte sein Verschwinden. Als er durch die Dunkelheit schlich hörte er in der Nähe das Knirschen von Leder und das unterdrückte Schnauben eines Pferdes.
Die Männer des Königs, sie hatten ihn erwischt!
Nein, sie hatten die Gruppe erwischt. Sollten sie mit den anderen machen was sie wollten. Am besten sollten sie alle töten, dann würde vielleicht niemandem auffallen, dass er verschwunden war.
Lautlos schob er sich durch die Reihen der Häscher und entkam in die Dunkelheit.
Er machte sich auf den weiten Weg nach Sylthana. Durch einen langen Bart und sein abgemagertes und abgerissenes Äußeres kam er ungesehen in die Stadt.
An einigen Straßenecken hingen noch zerfetzte Steckbriefe mit seinem Konterfei, doch man war davon ausgegangen, dass er bei dem letzten Gemetzel an seinen Gefährten oder davor den Tod gefunden hatte.
Rrordrak war klar, dass ihm nichts anderes übrig blieb, als die bekannten Gegenden zu verlassen. Er war noch keine dreißig Jahre und schon gab es eine Welt, auf der er sich nie wieder blicken lassen konnte. Der Kummer hierüber hielt sich in Grenzen, er hatte keine sehnsüchtigen Gedanken an seine Heimat.
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