»Wie du meinst, Evelyn. Wenn ich schlechte Laune brauche, gehe ich am besten zu dem Portrait«, bei dem Wort Portrait würgte sie, »und so wie ich es mir ansehe, steigt mir die Galle von ganz alleine. Aber bitte, da ich weiß, wie ich aussehe, auch zu meinen Alterdilemmas stehe, werde ich dir den Gefallen tun und das hässliche Teil aufhängen. Aber hier, hier in Frankreich, will ich dieses potthässliche Ding nicht mehr zu Gesicht bekommen müssen, merk dir das, Evelyn! Und jetzt will ich kein Wort mehr darüber hören. Ich will jetzt die Stadt, Paris, genießen. Zudem möchte ich durch die Läden streifen, wer weiß, worauf wir dabei stoßen.« Sie zog Evelyn mit sich fort. Bei dem Gedanken an schöne alte Dinge, diese zu finden und womöglich käuflich zu erwerben, war sie bereits wieder versöhnlicher gestimmt.
Die anderen waren unterdessen nachgekommen. Professor Gräulich trug den Stein des Anstoßes, zu einer Rolle aufgerollt, unter seinem Arm. Auch er war der Meinung, dass das Portrait eine einzige Beleidigung, Zink gegenüber war, auch wenn der Maler es noch so gut gemeint haben mochte. Ähnlichkeit mit Madame wies es nur sehr bedingt auf. Und das Wenige, das auf Ähnlichkeit schließen ließ, konnte nicht gutmachen, was der Rest ihr antat.
Und auch, wenn Madame wusste, wie es war, wenn ein Bild einmal nicht so wurde, wie zuvor erhofft, da auch sie malte, ärgerte, entrüstete sie sich dennoch über dieses Portrait .
»Seht mal, dort hinten. Da scheint ein Trödelladen zu sein. Lasst uns hingehen und sehen, was es dort Schönes gibt«, rief Kim und eilte bereits auf den Laden zu, der versteckt am Ende der engen Gasse lag.
»Folgen wir ihr. Ich bin sicher, dass Kim etwas finden wird, das es dort zu kaufen lohnt«, lachte Quentin, der Kims Vorliebe für alte Sachen kannte.
»Oh ja, lasst uns in einem französischen Trödelladen stöbern! Lasst uns eins werden mit den Dingen der Vergangenheit. Lasst sie uns riechen und längst vergangene Zeiten in unsere Gegenwart fließen«, hielt Madame mit ihrer Begeisterung nicht hinterm Berg, sondern folgte Kim eilig. Allerdings nicht, ohne zuvor Nickels Leine dem Professor in die Hand gedrückt zu haben.
Wie nahe sie dabei der Wahrheit kam, das konnte Madame nicht wissen. Auch nicht, dass in wenigen Minuten die Vergangenheit in ihre Gegenwart fließen würde. Sie in wenigen Minuten auf ihrem Weg begleiten, regelrecht verfolgen würde.
Gräulichs Vision den Anfang ihrer Wahrheit finden sollte …
»Ich bin mir ganz sicher, dass auch Madame in dem Laden fündig werden wird«, lächelte Professor Gräulich, während er sich mühte, die Hundeleine Nickels und die Portraitrolle so zu halten, dass ihm nichts von beidem verloren ging.
Quentin, dem die Hilflosigkeit des Professors nicht entgangen war, nahm, ihm zu Gefallen, die Portraitrolle Madames an sich.
Kim öffnete, ohne lange zu zögern, die Eingangstür des antiken Lädchens.
Eine abgeschabte Glockenkette über der Tür machte auf die Ankömmlinge aufmerksam.
Der Geruch von Räucherstäbchen, orientalischen Düften, und dem Mobiliar vergangener Tage, drang ihnen entgegen. Es war kein unangenehmer Geruch. Im Gegenteil. Bereits der Duft, der durch den Laden zog, vermittelte das Gefühl eine andere Zeitsphäre zu betreten.
Ein kleiner alter Mann kam aus einem der hinteren Zimmer. Mit einem freundlichen Lächeln, und listigen Augen, die hinter seiner Brille hervorschauten, sah er sie an. »Mademoiselle, wie kann ich Ihnen helfen«, fragte er mit gebrochenem Akzent, während er sich Kim zuwandte.
»Vielen Dank. Wir möchten uns eigentlich nur umsehen, wenn Sie nichts dagegen haben«, antwortete Kim.
»Nur zu. Das Umschauen ist mein Geschäft. Wo käme ich hin, würde ich die Kunden sich nicht umschauen lassen?« Mit flinken Augen beobachtete er Kim.
Danach wandte er sich den anderen zu. »Madames, Monsieurs, kann ich Ihnen helfen? Ihnen etwas zeigen? Wofür interessieren Sie sich besonders?«
»Nein danke. Wir würden uns ebenfalls sehr gerne erst einmal etwas umsehen, wenn Sie erlauben«, sagte der Professor, der Nickel, an einer Laterne vor der Tür, angebunden hatte.
»Ist das reizend!«, rief Madame Zink erfreut aus. »Ein Chinesischer Gong! Ist er sehr teuer, Monsieur?« Madame wusste nicht mehr, wie lange es schon her war, seit sie sich das erste Mal mit dem Gedanken getragen hatte, sich einen Chinesischen Gong zuzulegen. Dummerweise hatte sie bisher nur nirgendwo einen finden können. Dass sie hier, in der Altstadt Paris’ auf einen solchen stieß, das konnte nur ein Fingerzeig des Schicksals sein. Ein Fingerzeig, sich endlich einen Chinesischen Gong zu kaufen. Und wäre er nur einigermaßen erschwinglich, würde sie ihn auf der Stelle kaufen. Schon alleine des wunderbaren, dumpf monotonen Klanges wegen. Doch auch das polierte Mahagoniholz, an dem der Gong aufgehängt war, war eine Wohltat fürs Auge. »Was ist das hier eigentlich für ein Laden? Für einen Trödelladen haben Sie viel zu viele erlesene, außergewöhnliche Dinge. Für einen Antiquitätenladen jedoch haben Sie, aus meiner Sicht, zuviel von allem. Zu viele Kleinigkeiten, zuviel Krimskrams, wenn ich das so sagen darf.«
»Mein Lädchen, Madame, es ist von allem etwas. Es gibt hier sehr viele Dinge, zu denen ich durch Zeitungsannoncen gekommen bin, oder aber bei Haushaltsauflösungen ergattert habe. Wieder andere hat mich der Zufall finden lassen.« Er betrachtete sie interessiert, während etwas Geheimnisvolles in seinem Blick lag. »Ich führe auch Einzelexemplare. Dinge, die es nur ein einziges Mal auf der Welt gibt«, strahlte er. »Nun, Madame, wie ist es? Darf ich Ihnen den Chinesischen Gong einpacken? Wenn Sie mich fragen, hat er nur auf Sie gewartet.« Und in seinen Worten lag der Hauch von Vorhersehung. Vorhersehung, Madame und den Chinesischen Gong betreffend.
Madame Zink jedoch war so sehr von dem Gong angetan, dass ihr dies entging. Stattdessen antwortete sie: »Das sagen Sie doch bestimmt allen Ihren Kunden, nicht wahr, Monsieur … Zu dumm, ich habe Ihren Namen gar nicht verstanden.« Madame Zink sah ihn schelmisch an, wusste sie doch, dass er sich ihnen noch gar nicht vorgestellt hatte.
Der alte Mann lachte. Hinter seinen Brillengläsern wanderten seine Augen wieselflink, zwischen den Leuten hin und her. »Pardon, Madame?«
»Ihren Namen, Monsieur, ich habe ihn nicht verstanden«, wiederholte Madame Zink.
»Das wird wohl daran liegen, dass ich ihn noch gar nicht erwähnt habe. Das war wohl sehr unhöflich von mir, so schöne Damen in meinem Laden begrüßen zu dürfen, und dabei ganz zu vergessen, mich ihnen vorzustellen. Hätte ich einen Hut, ich würde ihn jetzt vor Ihnen ziehen«, entgegnete er mit einem verschmitzten Lächeln.
»Der Kerl schmeckt mir nicht, Professor. Der schleimt dermaßen, dass sogar ich aufpassen muss, nicht auf dem seiner Schleimspur auszurutschen«, flüsterte Salvatore Amore dem Professor zu.
»Da müssen Sie sich nichts dabei denken, Salvatore. Das tut er nur, um so viel als nur möglich zu verkaufen«, antwortete der Professor ebenso leise. »Alles nur gespielt. Theater, so eine Art Marketingstrategie.«
Der Ladenbesitzer fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes weißes Haar. Für einen winzigen Moment sah er nachdenklich aus. Geradeso, als müsste er überlegen, ob er sich seinen Kunden vorstellen durfte. »André Destin«, stellte er sich letztendlich doch noch vor. Woraufhin sich auch Madame Zink und die anderen namentlich vorstellten.
Professor Gräulich sah Monsieur Destin prüfend an. Übersetzte er dessen Namen, Destin, dann kam er unweigerlich auf Schicksal . Denn nichts anderes hieß Destin übersetzt.
Zufall? Oder steckte mehr dahinter? Gräulich strich mit den Fingern über die Oberlippe.
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