Ein Lächeln auf den Lippen, warf sie einen Blick über Zinks Schulter.
»Zink, glaubst du allen Ernstes, dass du in Paris, Zeit zum Schreiben finden wirst?«
Madame Zink drehte sich erschrocken um. »Evelyn, wie oft, muss ich dir noch sagen, dass du mich nicht immer so erschrecken sollst!« Mit der Hand streifte sie ihre Brust. »Eines Tages bekomme ich wegen dir noch einen Herzschlag. Und dann war es das mit mir!«, entrüstete sie sich.
Die Geisterlady grinste breit. »Dann, meine Beste, wärst du bei mir. Und wir beide könnten gemeinsam durch die Gegend geistern. Auch ein verlockender Gedanke, wenn du mich fragst«, lachte sie. »Doch, wirklich, das hat was für sich«, hörte sie nicht auf, zu lachen.
»Nein danke. Nur weil ich fünfzig bin, heißt das nicht, dass ich von der Bühne des Lebens schon abzutreten habe. Und erst recht nicht, mithilfe meiner Geisterfreundin.« Ihr Herzrasen hatte nachgelassen, und wandte sich wieder ihrem Toshiba zu, um endlich mit dem Schreiben zu beginnen.
»Also gut, dann will ich dich in deinem Tatendrang nicht weiterhin stören. Auch wenn ich nicht glaube, dass du auf dieser Reise viel zum Schreiben kommen wirst. Immerhin hatte der Professor eine Vision, damals, nachdem wir von Shadowisland entkommen waren. Nur so nebenbei, im Falle du es vergessen haben solltest.« Sie wandte sich an Nickel, den braunfelligen Cockerspaniel Madames und streichelte den treuen Hund, der zusammengerollt neben Madame Zinks Stuhl lag.
»Wie könnte ich das vergessen haben, Evelyn? Nur, bis es wieder soweit sein wird, dass die beiden uns brauchen, so lange kann ich doch schreiben. Was soll dem im Wege stehen?«
»Nichts, Zink, nichts. Aber ich möchte auch von Paris etwas sehen und nicht nur auf dem Zimmer herumsitzen und warten, bis wir gebraucht werden«, entgegnete Evelyn.
»Ich auch nicht, sei versichert, beste Freundin. Und nun sei so gut und lass mich noch ein klein wenig schreiben, solange meine Gedanken noch fließen.«
Evelyn li Nola lächelte warmherzig und verständnisvoll. »Dann will ich deinen Gedankenfluss nicht weiter unterbrechen. Ich gehe jetzt einmal den Professor interviewen, wer weiß, vielleicht hatte er unterdessen ja wieder eine Vision.« Mit Verklingen ihres letzten Wortes, verschwand sie aus Madames Zimmer.
Auch hier hinterließ sie den intensiven Duft von Lavendel.
»Nun, Professor, nun sagen Sie schon: Was wissen Sie? Was wird auf dieser Reise passieren?« Salvatore Amore hatte sich in den Sessel am Fenster fallen lassen.
Professor Gräulich nahm seine Pfeife aus dem Aschenbecher auf dem Tisch. Langsam und bedacht entzündete er sie. Er blies Rauchkringel in die Luft und schaute ihnen gedankenverloren nach. »Was sich auf dieser Reise ereignen wird? Wer dieses Mal hinter Quentin und Kim her sein wird? Wenn ich ehrlich sein soll: Ich weiß es nicht. Nach Shadowisland hatte ich keine weitere Vision diesen Urlaub, Frankreich, betreffend. Wir müssen einfach abwarten.«
»Abwarten, Professor? Ist das nicht ein bisschen wenig?«, hörte er auf einmal die Geisterlady hinter sich, fragen.
»O lá lá, Evelyn li Nola, Sie hier? Ich hab Ihr Klopfen gar nicht gehört.« Gräulich grinste amüsiert, wusste er doch, dass der Geist Evelyn li Nolas immer über die Unart verfügte, einfach ungefragt vor einem aufzutauchen.
»Wie auch wenn ich gar nicht angeklopft habe. Ich habe die Stimme Amores gehört, und da war ich mir sicher, dass ich Sie bei nichts Wichtigem stören würd‘«, tat sie, als wollte sie sich entschuldigen.
»Na, ich darf doch sehr bitten! Als wenn Gespräche mit mir als unwichtig zu bezeichnen wären«, entrüstete sich auch prompt Salvatore. »Ich mag eine erfundene Figur aus Zinks unfertigem Roman sein; auch ein Astralwesen, wenn man’s richtig betrachtet. Dennoch heißt das noch lange nicht, dass Gespräche mit mir unbedeutend wären oder man sie so einfach unterbrechen und sich in sie hineinzwängen kann. Auch Sie nicht, Evelyn li Nola!« Die ausgeblichene Fliege an seinem Hals wippte auf und ab, dermaßen verärgert war er.
»Das habe ich damit keineswegs sagen wollen.« Evelyn ließ sich auf das Bett des Professors fallen. »Jetzt mal Butter bei de‘ Fische, Professor«, wandte sie sich an Gräulich und hakte damit das unangenehme Gespräch mit Salvatore für sich ab. »Was steht uns dieses Mal bevor? Nur so eine etwaige Richtung, hm, wie wär’s damit? Werden wir es wieder mit wahnsinnigen Machtbesessenen zu tun haben? Oder müssen wir erneut gegen die Diener der Finsternis antreten? Jetzt aber raus mit der Sprache. Was wird es dieses Mal sein?«
»Ich weiß es nicht, Lady li Nola. Ich weiß nur, dass auch hier Quentin und Kim Gefahr drohen wird. Deshalb sind wir ja auch alle gemeinsam in den Urlaub gefahren, um bei ihnen zu sein, wenn sie unserer Hilfe bedürfen.«
»Damit erzählen Sie mir nichts Neues, Professor.« Evelyns Stimme klang enttäuscht.
»Bedauere, dass ich Ihnen beiden nicht mehr sagen kann. Aber, wie Sie beide wissen, Evelyn«, er schenkte ihr ein Kopfnicken, um anschließend den Blick in Salvatores Richtung schweifen zu lassen, »Salvatore, ich habe keinen Einfluss auf meine Visionen.«
Da sie nichts weiter von dem Professor erfahren konnten, verließen Salvatore und die Geisterlady Gräulich und gingen zurück auf ihre eigenen Zimmer.
3 – Die Glocken Saint Claires
Kim drehte sich unruhig im Schlaf. Immer wieder träumte sie, dass Hände nach ihr griffen. Gesichtslose Hände. Körperlose Hände.
Mitten in der Nacht erwachte sie schweißgebadet. Mit einem raschen Blick auf den schlafenden Quentin, verließ sie das Bett, sehr darauf bedacht, ihren Verlobten nicht zu wecken.
Sie nahm ihre Zigaretten und ging barfüßig auf den einladenden Balkon, der an ihrem Zimmer angrenzte.
Nachdem sie sich eine Zigarette angezündet hatte, blies sie den Rauch von sich.
Sie beugte sich übers Geländer, dabei wanderte ihr Blick zur Gartenterrasse des Le Petites, und auf all die Blütenpracht, die sich unter ihr auftat, die sie im Dunkel der Nacht jedoch nur erahnte.
Von fern hörte sie einen Kater maunzen. Dem folgte das aufgebrachte Gebell eines Hundes. Wahrscheinlich jagt er die Katze. Zornig hörte der Hund sich an.
Kim ließ sich in den breiten Terrassensessel fallen und lehnte sich an. Sie schloss die Augen und dachte über ihren Traum nach.
Wie hieß es im Volksmund? Dass wahr werden würde, was man in der ersten Nacht in einem fremden Bett träumte.
»Na danke, dann steht mir in diesem Urlaub nichts Gutes bevor«, formten sie die Worte über ihre Lippen, von einem Frösteln begleitet.
Wofür konnten sie nur stehen, diese Hände, die sie in ihrem Traum verfolgt, und nach ihr gegriffen hatten? Die versucht hatten, sie zu sich hin zu zerren.
Warum waren sie überhaupt nach Frankreich gefahren, obwohl sie doch durch Gräulichs Vision bereits im Vorfeld gewusst hatten, dass Frankreich nichts Gutes für sie bereit halten sollte. Zumindest, dass sie auch hier wieder in Gefahr sein würden.
Statt den Urlaub in ein anderes Land zu verlegen, waren sie übereingekommen, dass sie dieses Mal die Erholungstage gemeinsam antreten würden. Sie allesamt. Doch konnte das die Lösung sein?
Kim drückte ihre Zigarette aus. Nervös zog sie bereits die nächste Zigarette aus der Packung und steckte sie an.
Ein warmer Luftzug umspielte ihre roten Locken. Von fern zog der Geruch der Seine zu ihr herüber.
Kim lehnte sich erneut zurück. Wieder schloss sie ihre Augen. Nochmals überkam sie die Erinnerung an ihren Traum.
Von Weitem hörte sie die Glocken St. Claires schlagen. Lauter und lauter wurden die Glockenschläge.
Sie bohrten sich in Kims Ohren, hoch zu ihrem Gehirn. Was wollten sie ihr sagen? Wollten sie sie warnen? Oder drohten sie ihr womöglich?
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