Fette sind unentbehrlich für die Membranen aller Zellen, jener Räume, die die wässrigen Reaktionen allen Lebens beherbergen. Die Grenze zwischen Innen und Außen – die Essenz einer Zelle – wäre ohne Fett unmöglich.
Fette geben uns Form und Stabilität: in unseren Fingerspitzen, den Fußsohlen oder der weiblichen Brust. Stellen Sie sich vor, Ihnen fehlt das Fett am Po und Sie plumpsen auf einen Holzstuhl. Nicht gut!
Blut versorgt Herz und Gehirn konstant mit Wärme. Kühlt der Körper ab, wärmt das braune Fettgewebe das Blut, das zum Herz und Gehirn führt. Dieses Fett befindet sich an strategisch günstigen Plätzen: um die Klavikula, den Wirbeln, um die Aorta oder den Nebennieren. Das braune Fett ist metabolisch hochaktiv und wärmt das vorbei strömende Blut. Babys haben mit einem hohen Anteil an braunem Fett rund fünf Prozent vom Gesamtgewicht. Das braune Fett reduziert sich im Kleinkindalter, manches verschwindet komplett, anderes bleibt uns erhalten. (1, 2)
Unser dominantes Fett ist das subkutane Fett, das Fett, das wir unter der Haut tragen. Wir vergrößern diese Reserve, wenn die Zeiten gut sind, und lassen sie schrumpfen, wenn sie schlecht sind. Kein anderes Organ ist ähnlich flexibel wie das subkutane Fett. Es dehnt sich unendlich aus, ohne die inneren Organe einzuquetschen. Das subkutane Fett erscheint wie eine Isolierschicht, trägt aber wenig zum Wärmehaushalt bei. Dieses Fett, das metabolisch weniger aktiv ist als das braune Fett, funktioniert primär als Energiereserve. Daneben bietet es mechanischen Schutz vor Verletzungen.
Ein Gedankenspiel: Eine Frau mit 65 kg Körpergewicht und 25 % Körperfett hat 16,25 kg Körperfett. Davon wären 6,25 kg (rund 10 %) essenzielles Fett, das nicht zur Energieversorgung beiträgt. Es bleiben 10 kg, umgerechnet 70.000 kcal. Würde die Frau fasten, überlebte sie rein rechnerisch rund 40 Tage. Nehmen wir an, Glykogen (Kohlenhydrat) ist der Energielieferant. Rund 500 g Glykogen liefern unserer Frau 2.000 kcal. Speichert sie 70.000 kcal als Glykogen, lagert sie 17,5 kg reines Glykogen im Körper ein. Im Gegensatz zu Fett speichern wir Glykogen zusammen mit Wasser ein, weil Kohlenhydrate osmotisch sind. Das Verhältnis von Glykogen zu Wasser ist eins zu drei bis eins zu fünf. Rechnen wir das Wasser mit ein, ergeben sich aus 17,5 kg rund 52,5-87,5 kg. Dieses Gewicht trüge die Frau zusätzlich am Körper – 52,5 kg sind schwerer als 10 kg. Fett ist eine ideale Energiereserve, weil sie leicht ist und grenzenlos am Körper wachsen kann.
Für Primaten sind Menschen auffällig fette Kreaturen. Unsere Babys sind sehr fett. Diese typisch menschliche Eigenart, so die Theorie, sichert die kognitive Entwicklung des Kindes. Das Fett versorgt das Baby mit Energie im Überschuss und mit Grundbausteinen für die Entwicklung von Hirnzellen, wie Ketone und Cholesterin. Es sind unsere kognitiven Fähigkeiten, die uns von anderen Primaten abgrenzen. Diese Fähigkeiten entwickelten wir, nur weil wir im Laufe der Evolution fetter wurden. (3, 4)
Fett ist für alles Lebende essenziell. Unsere Evolution wäre ohne Fett nicht geschehen. Fett machte uns zu den Wesen, die wir sind. Es täte uns besser es zu lieben, als es zu verachten.
Quellenangaben
1. Harrington TA1, Thomas EL, Frost G, Modi N, Bell JD. Distribution of adipose tissue in the newborn. Pediatr Res. 2004 Mar;55(3):437-41.
2. Lee P1, Swarbrick MM, Ho KK. Brown adipose tissue in adult humans: a metabolic renaissance. Endocr Rev. 2013 Jun;34(3):413-38.
3. Wells JC. The evolution of human adiposity and obesity: where did it all Go wrong? Dis Model Mech. 2012 Sep;5(5):595-607.
4. Stephan C. Cunnane. Survival of the fattest: The Key To Human Brain Evolution, 2005.
Die kurze Chemie der Fette
Fette sind Moleküle, die sich durch spezifische chemische Gruppen auszeichnen (Abb. 1). Ein Fettmolekül hat eine bis drei Fettsäuren und ein Rückgrat aus drei Kohlenstoffatomen, dem Glycerol. Moleküle mit einer Fettsäure werden Monoacylglyceride genannt, mit zwei Fettsäuren Diacylglyceride und mit drei Fettsäuren Triacylglyceride. Die Begriffe Triacylglyceride (TAG) und Triglyceride (TG) beschreiben dieselben Moleküle. Ich werde mich an den Begriff TG halten, weil er umgangssprachlicher ist.
Unser Körper verstoffwechselt hauptsächlich TG. Sie bilden die Hauptmasse der Nahrungsfette und sind die Speicherform im Fettgewebe. Obwohl Fette und Fettsäuren (FS) chemisch unterschiedliche Moleküle bezeichnen, verwende ich sie im Folgenden als austauschbare Begriffe.
Der Begriff TG sagt nichts über die Natur der Fettsäuren aus. Es gibt kurzkettige Fettsäuren mit zwei Kohlenstoffatomen und langkettige Fettsäuren mit über zwanzig Kohlenstoffatomen. Eine Fettsäure heißt gesättigt, wenn sie keine Doppelbindung hat. Eine Fettsäure ist ungesättigt, wenn sie eine oder mehrere Doppelbindungen aufweist (Abb. 1). Langkettige Triglyceride sind das primäre Format für den Fettmetabolismus. Weiterhin bilden sie Zellmembranen, sind Bausteine zellulärer Mediatoren oder bilden die Schutzschicht der Haut.

Abb. 1 Aufbau eines Triglycerids
Langkettige Fette sind nicht wasserlöslich. Der Transport durch die Blutbahn erfolgt durch wasserlösliche Proteine. Liegen die Fettsäuren frei vor, das heißt ohne Glycerol, binden sie für den Transport am Albumin, einem wasserlöslichen Blutprotein. Liegen die Fettsäuren als TG vor, transportieren Lipoproteinen sie zum Zielgewebe.
In Lipoproteinen und Fettzellen emulgiert Cholesterin die TG. Der Transport und die Speicherung von Fetten sind ohne Cholesterin undenkbar. Unser Fettmetabolismus ist abhängig von cholesterinreichen Lipoproteinen.
Cholesterin – ein Stoff aus dem Leben
Welche Assoziationen haben Sie beim Wort Cholesterin? Blockierte Arterien? Herzinfarkt? Schlaganfall? Wir verbinden Unheilvolles mit Cholesterin. Cholesterin ist schlecht. Weiß doch jeder!
Das Cholesterin ist für mehrzellige Organismen ein Grundbaustein ihrer Zellen. Die Evolution von Cholesterin nahm seinen Angang vor rund zwei Milliarden Jahren. Der zunehmende Sauerstoff in der Atmosphäre förderte die Entstehung von freien Radikalen. Die Theorie schätzt, dass Cholesterin die ersten Membranen vor Sauerstoffradikalen schützte. Cholesterin ist ein Antioxidans. Bis heute schützt Cholesterin unsere Zellen vor oxidativen Schäden.
In unserem Körper kommt Cholesterin in zwei Pools vor: Das Gehirn macht ca. 20 % aus. Der Rest, die Peripherie, ca. 80 %. Insgesamt weist der Körper rund 2,2 g Cholesterin pro Kilogramm Körpergewicht auf. Der Durchfluss von Cholesterin in der Peripherie liegt bei rund 10 mg/kg Körpergewicht pro Tag. Das Gehirn setzt rund 0,09 mg/kg pro Tag um. (1)
Die geringere Menge und der niedrigere Umsatz von Cholesterin im Gehirn im Vergleich sollen nicht täuschen. Das Gehirn besteht vorrangig aus Cholesterin, Fett und Wasser. Cholesterin ist der wichtigste Baustein der Myelinscheiden der Axone – ca. 70 % des Hirnpools – und somit essenziell für die Kognition. Es ist erstaunlich, die Produktion von Cholesterin im Gehirn beginnt im Mutterleib und endet erst mit Angang zwanzig.
Bei Multipler Sklerose (MS) werden cholesterinreiche Myelinscheiden abgebaut, was zu den Symptomen dieser Krankheit führt. In einem gesunden Organismus verhindert die Bluthirnschranke den Austausch von Cholesterin zwischen Hirn und Peripherie. MS schädigt die Bluthirnschranke. Sie wird durchlässiger. Eine Studie an MS-Mäusen untersuchte die Funktion der Bluthirnschranke während einer cholesterinarmen und einer cholesterinreichen Fütterung. Das erstaunliche Ergebnis war, dass Cholesterin aus der Nahrung, aufgrund der beschädigten Bluthirnschranke, ins Gehirn durchsickerte. Dort unterstützte das Cholesterin die Reparatur der beschädigten Myelinscheiden. Den Tieren ging es besser. (2)
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