Schober begann mit etwas small talk , er erzählte knapp von seiner Herfahrt, der vollen Autobahn, aber einer dennoch guten Fahrzeit, weil ein schnelles Auto und ein guter Fahrer sich toll ergänzten! Funzelmaier sprang darauf an, er meinte: "Ein gutes, schnelles Auto hab ich auch. Ich fahre jetzt den Siebener mit der Drei-Liter-Maschine, die hat jetzt noch mehr PS." Schober lehnte sich interessiert vor: "Was bringt der denn auf der Autobahn?" Funzelmaier fragte irritiert: "Wie meinen Sie das?"
"Ja, ganz einfach, regelt der bei über 230 ab, oder werden Sie noch schneller?"
"Ach so, nein", meinte Funzelmaier, "ich fahre eigentlich nie über 140, wie schnell der Wagen in der Spitze ist, weiß ich nicht."
Schober war enttäuscht, er dachte, jetzt fährt der alte Typ so 'n tolles Auto und benutzt es nicht, kaum zu glauben. Er ging zum geschäftlichen Teil über. "Dann berichten Sie mir mal, wie das bei Ihnen läuft."
Er erwartete eine Erläuterung der Aktivitäten bei den Kunden und neue Ansatzpunkte zur gemeinsamen Entwicklung des Chemikalienabsatzes. Das war falsch. Zu Schobers Überraschung war Funzelmaier immer noch intensiv mit dem TOP Programm beschäftigt. Die Liste der unterschiedlichen Aufgaben und Aktivitäten, die seine Mitarbeiter zu bewältigen hatten, war in einer großen Excel-Tabelle komprimiert. Selbstverständlich hatte Funzelmaiers Sekretärin diese auf DIN A 3 ausdrucken müssen. Funzel hatte die einzelnen Seiten persönlich zusammengeklebt. Jetzt bedeckte die komplette Tabelle die Tische des Besprechungszimmers wie eine Tischdecke, sie hing weit über alle vier Seiten hinaus. Funzelmaiers Strategie zum Umgang mit der geforderten Personaleinsparung war Schobers Vorgehen diametral entgegengesetzt. Nicht schnell reagieren, sondern intensiv auskosten, das war der Funzelmaier-Ansatz. Er liebte das TOP-Programm, schon weil es ihm erlaubte, den Umgang mit der Welt draußen zu vermeiden. Warum sollte er zu Kunden fahren und sich überraschenden Fragen stellen oder unerwartete, weitere Aufgaben erhalten? Er konnte sich intern mit sehr konkreten Aufgaben sehr gut intensiv beschäftigen! Das war ebenso wichtig, wie das Geschäft draußen.
"Sie müssen sich vorstellen, wie einfach es jetzt ist, nachzuvollziehen, wie vielfältig unsere Aufgaben sind!" meinte Funzelmaier mit Nachdruck. "Sehen Sie mal hier, in diesem großen Bereich, dort nur sind unsere Aktionen für die Waschmittelindustrie summiert. Es handelt sich dabei um eine Vielzahl äußerst unterschiedlicher Themen, die wir jederzeit aktuell für die Hersteller von Waschmitteln, unsere Kunden, parat haben müssen!"
Schober war überrascht: "Die großen soapers brauchen uns zur Entwicklung ihrer Waschmittel? Das machen die doch sicherlich jeder für sich? Dort gibt es doch auch eine Produkt und Marktentwicklung?"
"Das verstehen Sie nicht ganz richtig", Funzelmaier begann zu dozieren, erfreut über die Möglichkeit das schöne Thema auszubreiten. Er blickte auf einen imaginären Punkt an der Decke oberhalb des Fensters und versank in seiner Rede: "Da gibt es eine Vielzahl von sehr unterschiedlichen Aspekten. Wir beleuchten zum Beispiel das Lagerverhalten unserer Produkte. Sehr interessante Details kann ich Ihnen da zeigen! Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob sie ihren Stabilitätstest bei 96 °C oder bei 80 °C durchführen. Unsere Langzeit-Lagerversuche zeigen eine beträchtliche Abhängigkeit von der Feuchtigkeit, deshalb benötigen wir auch dringend einen weiteren Klimaraum."
Schober versuchte zu folgen, aber das war nicht wirklich möglich. Funzelmaier sprang von Detail zu Detail. Seine monotone Diktion machte es schwierig zuzuhören. Schober ertappte sich dabei, an etwas komplett anderes zu denken. Elsbeth hatte irgendetwas über Tischdecke mit Flecken erzählt, was war das noch? Schober erschrak, er hatte den dünnen Faden der Gedankengänge verloren. Er blickt auf Funzelmaier. Der aber war immer noch auf die Decke fixiert und hatte nicht beachtet, ob Schober zuhörte oder nicht. War das ein Mann für die Kundenbetreuung, bei der zuhören zählt?
Schober räusperte sich. Keine Reaktion, Funzelmaier redete. Schober begann: "Also, ich wollte ...." Funzelmaier war aber noch nicht fertig: "Lassen Sie mich das gerade noch mal zusammenfassen", fuhr er fort, als wäre nichts gewesen, "es ist sehr wichtig für unsere weitere Zusammenarbeit mit den soapers eine komplette Serie von mindestens sechs Waschmaschinen synchron waschen zu lassen. Nur dann können wir wertvolle Daten zur Entfernung der standardisierten Anschmutzungen gewinnen. Natürlich müssen wir diese Anlage auch kontinuierlich betreiben und dazu brauchen wir mehr Mitarbeiter. Dieser geplante Mitarbeiterabbau ist deshalb einfach nicht möglich, Sie verstehen?"
Schober verstand nicht wirklich, nur dass Funzelmaier eine nicht billige Investition mit einem nicht verständlichen Ziel durchsetzen wollte, die im Gegensatz zu den Plänen des Vorstandes, mehr Personal erforderte. Da war Vorsicht angebracht, sonst saß er im Nu zwischen zwei Stühlen. "Wie haben Sie denn vor, diese Aufstockung des Personals vor dem Hintergrund des jüngsten Abbaus durch das TOP-Programm zu rechtfertigen?" fragte er.
"Wie ich Ihnen ja geschildert habe", erwiderte Funzelmaier, "geht das überhaupt nicht. Unsere Pläne sehen eine Aufstockung des Personals vor. Deshalb haben wir auch noch keine Mitarbeiter freigestellt."
Schober witterte noch mehr Probleme: "Sie haben noch nichts unternommen?" fragte er erstaunt, "also, wie Sie sicher wissen, naht die vom Vorstand gesetzte deadline mit Riesenschritten, nächsten Monat müssen Sie den Vollzug melden. Schließlich hatten Sie fast zwei Jahre Zeit! Wenn der Personalstand nicht schrumpfen kann, müssen wir so etwas im Detail innerhalb der Geschäftsgebietsleitung sofort diskutieren."
Funzelmaier war uneinsichtig und begann seine Erläuterungen von vorn: "Wenn wir mit den soapers auf Augenhöhe reden wollen, brauchen wir diese Daten ...."
Schober unterbrach den Redefluss: "Mein lieber Herr Funzelmaier, ich werde mich intensiv für Ihr Anliegen engagieren und gleich Morgen früh mit Herrn Lübmüller ein Gespräch führen, ob und wie wir dieses wichtige Projekt weiterführen können. Ich sehe, es hat für Sie einen hohen Stellenwert! Lassen Sie uns doch heute erst mal das Tagesgeschäft erledigen". Funzelmaier war zufrieden, dieser Schober hatte ihn verstanden, zumindest dachte er das.
Beim jour fixé lief die Diskussion der Kundenkontakte über Funzelmaiers Mitarbeitern, Funzelmaier hielt sich sehr zurück, das Tagesgeschäft und Kunden interessierten ihn nicht wirklich. Er wurde sehr ruhig und konzentrierte sich auf seinen Aktenberg während die Mitarbeiter über Versuche beim Kunden, provisorische Tanklager und zusätzliche Verkaufsmengen sprachen. Schober traf Paul Sauerstein wieder, den kannte er von seiner Zeit bei Krauth. Sauerstein und weiteren Ingenieure betreuten Kunden und Anwendungen in die Papierindustrie. Daneben gab es den Kollegen Ewald Dreher, der war verantwortlich für Produktqualität und neue Produkte oder Produktvarianten bei Konzentration und Reinheit. Für die Aktivitäten bei Waschmitteln gab es einen Thomas Lindner und zu seiner Überraschung sogar Ingenieure, die für Kunden Tanklager und Dosiereinheiten errichteten, Dr. Moos und Herr Kaiser.
Nach einiger Zeit hatte Funzelmaier genug vom Sortieren, er lehnte sich zurück und schloss kurz darauf die Augen. Er schien zu schlafen, diese Gespräche über Kunden und Märkte waren langweilig. Seine Mitarbeiter schubsten sich an und grinsten.
Sauerstein sagte in die Runde: "Wir werden gleich zu einem für alle interessanten Thema kommen." Und deutlich lauter fuhr er fort: "Was die Lagerung angeht, wird von uns eine Entscheidung erwartet. Die Konkurrenz hat in Mannheim einen Lagertank in Edelstahl angeboten, der ein Volumen von 200 m³ besitzen soll. Wir dagegen bieten eine Batterie von vier 50 m³ Tanks aus Polyethylen an. Das Argument für dieses Angebot ist die Sicherheit", betonte er noch lauter.
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