Die schicken mich, Kronon weiß wie lang, in die Vergangenheit zurück und geben mir nichts als ein Buch mit? Ja wollen die mich komplett verarschen? Hätten die mir statt einem prähistorischen, gedruckten Buch, eine digitale Variante mitgegeben, dann hätte da noch ein... Ich kotze.
Frustriert schiebe ich mir den Kaugummi in den Mund.
Mein Blick wandert zum blauen, wolkenlosen Himmel. Er ist wunderschön.
Dann kehrt die Erinnerung zurück, an den mit Staub verdunkelten Himmel, der herunterfallenden Asche und den Millionen von Toten. Wie kann ich es wagen mich zu beschweren? Ich lebe. Egal wo, egal wann, mir geht es unendlich mal besser, als allen die ich kenne – gekannt habe.
Meine Hände verkrampfen sich und Tränen laufen mein Gesicht hinab. Das alles ist einfach zu viel, viel zu viel. Ich kann das nicht. Das ist alles zu viel, ich...
ICH wurde zurückgeschickt.
„Du bist ein Glaubenskrieger – Ein Streiter deines Gottes, jetzt benimm dich auch so!“
Ich atme zweimal tief durch und betrachte das kleine dünne Büchlein in meiner Hand.
„‘Mein Tagebuch‘? Die schicken mir ein Tagebuch mit, ein beschissenes Tagebuch! Was soll ich denn mit dir anfangen Tagebuch, hä?“
Mir wird schlagartig bewusst, dass ich das kleine Buch in meiner Hand anschreie und ein Gefühl schleicht mein Rückgrat empor, bis es in meinem Gehirn einen Gedanken einpflanzt:
Du wirst wahnsinnig. Bücher anzuschreien ist nichts was geistig stabile Menschen tun.
Ich schiebe diese kurze Episode auf die Nachwirkungen der Zeitreise und öffne die erste Seite. „Mein Traum, von 9344.“
5000 Jahre – Ich bin über 5000 Jahre zurückgereist! Keine Verbrennungsmotoren, keine Antibiotika, keine... ich glaube selbst die Dampfmaschine ist noch nicht erfunden. Wie soll ich mich hier fortbewegen? Mir wird schlagartig klar, warum wir im Kloster reiten lernen mussten, man weiß wohl nie in welche Zeit es einen Diener Kronons verschlägt.
Ich lege den Kopf in den Nacken und blicke erneut zum Himmel.
„Ich will dir dienen und ja, ich will meine Welt oder Zeit retten, aber ich fühle mich gerade ein klein wenig überfordert.“
Der Thronsaal ist weitaus schlichter als viele andere, von weitaus geringeren Königen. Mein Vater, Farelion IV. ist ein durch und durch bescheidener Herrscher.
Vater ist bereits mit der Begrüßung des Abgesandten beschäftigt und Mutter wirft mir einen tadelnden Blick zu, den ich mit einem unschuldig strahlenden, Eis schmelzenden Lächeln kontere. Sie kann ein Zucken ihrer Mundwinkel nicht ganz unterdrücken und schüttelt kaum merklich den Kopf.
Ich habe gute Laune und stecke, wie gewöhnlich, alle an. Ich habe eigentlich immer gute Laune, weshalb alle Leute in meiner Nähe gute Laune haben, weshalb ich noch bessere Laune bekomme – ein heimtückischer Kreislauf des Frohsinns – Das bin ich.
Ich gleite auf meinen Sessel, denke einmal mehr grummelnd, dass eine Prinzessin auch einen Thron kriegen sollte und strahle den Abgesandten an. Er verneigt sich tief.
Er kommt aus… Ach verflucht, gestern habe ich es noch gewusst, mindestens eine viertel Stunde nachdem Maldia es mir gesagt hatte.
Da es mir eigentlich auch egal ist, aus welchem der Reiche der Nacht er kommt, betrachte ich einmal mehr neugierig seine blasse Haut. Man soll keine Abgesandten anstarren, bläute man mir schon früh ein, aber dieses bleiche Gesicht fasziniert mich.
Hier im Land der Sonne sind alle Menschen gut gebräunt, denn die Sonne scheint immer, das ganze Jahr hindurch und wärmt uns alle mit ihren göttlichen Strahlen. In der Welt der Dunkelheit ist es immer kalt, ich möchte da nicht leben müssen und bedaure alle die es tun.
Mit halbem Ohr höre ich den Verhandlungen zu. Es geht, mal wieder um den Kauf der Finsterblüten. Die Finsterblüten sind eigentlich alles, was die Nachties anzubieten haben.
Ich schmunzle, als ich daran denke, dass es so unglaublich gut ist, dass Mutter keine Gedanken lesen kann. Sie mag es nicht, wenn ich die Nachties als eben solche bezeichne, aber sie leben in der Nacht, also sind es doch wohl Nachties.
Ein kaum wahrnehmbares, verächtliches Schnauben meines Vaters holt mich zurück in das Gespräch.
Nach einem kurzen Moment wird mir alles klar, der Abgesandte will mal wieder Waffen. Die Botschafter der dunklen Reiche versuchen unaufhörlich ihr einziges Exportgut gegen unsere Feuerwaffen zu tauschen, aber Vater hat, und das finde ich sehr gut, den Handel mit diesen Waffen verboten, sogar unter Androhung der Todesstrafe, was ich wiederum übertrieben finde. Ich werde, bin ich erst einmal Königin, die Todesstrafe ganz abschaffen, Kerker ist doch wahrlich schlimm genug.
Ich lausche noch ein wenig belustigt dem Lamento des Abgesandten darüber, wie wichtig die Waffen für die Aufrechterhaltung der Ordnung und den Schutz seines Reiches seien, und wie wichtig doch die Arznei, die wir aus den Blüten gewinnen, für uns ist, und wie viele Leben in beiden Reichen gerettet werden könnten, doch Vater bleibt auch diesmal hart und unbeeindruckt.
Wir geben ihnen schon von unserem Getreide, wenn sie zu doof sind solche Waffen selbst zu erfinden, können wir ihnen auch nicht helfen.
Auch das anhaltende Lamento langweilt mich schnell wieder und ich blicke mich um. Kaum streift mein Blick den eines jungen Mannes, verneigt sich dieser tief und er grinst mich blöde an. Ich verstehe nicht, warum Maldia so darauf beharrt, mich mit einem dieser Trottel zu verkuppeln?
Abgelenkt durch diesen Gedanken, verpasse ich fast den entscheidenden Moment, der an dem der Abgesandte sich verabschiedet und ich, geschützt durch die Anwesenheit anderer Adliger, die eine Schelte verhindern, verschwinden kann. Ich husche von meinem Sessel zur Tür und bin entschwunden.
Befreit von den Pflichten des Morgens schwebe ich durch die Gänge des Palastes.
„Das ging schnell.“
Mist, sie ist aber auch wirklich überall.
„Ja, allerliebste Zofe.“
„Einzige Zofe.“
„Allerliebste Zofe, aller Zofen der Welt.“
Dieses Kompliment zwang selbst Maldia zu so etwas wie einem Lächeln und ihr Ton wird weicher.
„Ihr solltet Euch mehr wie eine zukünftige Königin benehmen.“
„Nein, sag nichts: Mich für alle Geschäfte interessieren, bei jeder Verhandlung mitmachen, heiraten und Erben zeugen, am besten Männer, ganz viele, aber dafür sorgen, dass sie sich nicht irgendwann um das Königreich streiten. Das ist soooooooooooo laaaaaaaaaaaaaaaaaaaangweilig.“
„Ob Ihr es wollt oder nicht, Ihr werdet eines Tages Königin sein.“
„Ja, eines Tages, aber nicht heute.“
„Nein, nicht heute, aber vielleicht, die Sonne bewahre, schon morgen.“
„Vielleicht, aber weißt du was, die Sonne geht hier nie unter, es ist immer heute.“
Vergnügt tänzele ich von dannen.
„Hoheit, Eure Eltern wünschen sich sehr einen Enkel.“
Ich wirbele herum und blicke ihr in die Augen.
„Dann sollten sie einen adoptieren.“
Die Prinzessin hüpfte trällernd von dannen.
Maldia blickte ihr lange nach.
„Mein Kind, du trägst die Sonne im Herzen und ich bete, dass dies auf immer so bleibt.“
Niemand hatte diesen Satz gehört und so wandte sich die alte Frau ab. Doch sie wusste, dass alle Gebete nichts nutzen würden. Solestila war Thronerbin des mächtigsten Reiches der Welt. Solesgaard war mit dem Schwert gegründet worden und der Tag würde kommen, da würde sich der Schatten des Krieges auch auf die kleine Sonne legen. Maldia hoffte so sehr, dass an diesem Tag nicht alles Licht im Herzen ihrer geliebten Prinzessin erlöschen würde und noch etwas von dem hinreißenden Mädchen übrigbleiben würde. Sie fürchtete diesen Tag mehr als den Tag, an dem Sehls Diener ihren Geist ins Totenreich führen werden.
Die Gläubige
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