1 ...8 9 10 12 13 14 ...17 Sein größtes Kapital. Kontakte. Nicht irgendwelche, sondern sehr gute Kontakte. Deshalb war er auch nicht billig. Und er musste das Geld verdienen, so lange er noch seine Kontakte hatte. Irgendwann war das vorbei, die Gefallen aufgebraucht, die alten Kumpels aus dem Dienst geschieden oder sogar gestorben. Wie Manni, den sie nur Papa genannt haben weil er vier Kinder hatte, gerade mal Fünfzig, bamm, Herzinfarkt, Ende. Gut, Manni verdrückte bereits zum Frühstück Bratwurst im Brötchen, in der anderen Hand die Kippe und abends warens immer ein paar Biere zu viel – Man kann ja nicht auf alles verzichten, war seine gegrinste Rechtfertigung. Aber trotzdem, es konnte jeden treffen.
Wenn die alten Kollegen weg waren, die alten Kontakte, dann war auch er aus dem Geschäft. Bis dahin musste er genug zur Seite gelegt haben, sonst würde es nichts mit Winslow.
Brandner stieg aus und streckte den Rücken und, wie so oft in letzter Zeit, musste husten. Dann knöpfte er sein Hemd wieder zu, das ihm über dem Bauch aufgesprungen war. Er war froh, von den verdammten Zigaretten und dem Alkohol losgekommen zu sein, und er schuldete Manni dafür. Jetzt nur noch die Ernährung, dann könnte er vielleicht noch ein paar Jahre rausschlagen.
Er schätzte, der Cowboy würde eine Weile im Haus bleiben, bei der Anwältin, auf deren Parkplatz sein Wagen stand. Er schätzte, mindestens eine halbe Stunde. Bei Anwälten dauerte es immer mindestens eine halbe Stunde, das war seine Erfahrung, beruflich. Privat hatte er noch nie mit einem Anwalt zu tun, selbst bei der Scheidung war er ohne ausgekommen.
Zeit genug also, einen Kaffee zu holen. Die Innenstadt schien nur wenige Minuten zu Fuß entfernt, irgendwo in der Nähe würde es einen Kaffee zum Mitnehmen geben, ganz sicher, da waren die Innenstädte alle gleich. Und wenn er zurückkam, würde sein Postfach voll sein mit erstklassigen Informationen. Über den Cowboy, natürlich, wer er war und was genau es mit diesem Snydr auf sich hatte, den der Cowboy im Gefängnis besucht hat. Über die Anwältin, auf deren Parkplatz der Cowboy seinen Wagen gestellt hat. Vielleicht auch endlich über seine Klientin. Es bereitete ihm Magenschmerzen, wenn er wenig über seine Klienten wusste. Noch mehr Magenschmerzen, wenn er gar nichts über sie wusste. So wie bei ihr.
Er ging los, kaufte einen Kaffee mit Milch und dazu, nur weil es vor ihm auf der Theke lag, ein Teilchen mit Streuseln und Pudding. Als er zurückkam, stand der Geländewagen noch auf dem Parkplatz.
Er öffnete sein Tablet, trank einen Schluck, besah sich das Teilchen nach der besten Stelle zum Hineinbeißen, zögerte, schätzte die Kalorien und biss dann doch hinein, wobei vom Pudding zurück in die Tüte fiel, und las die erste Mail.
Dann die zweite und die dritte und die vierte.
Dann wischte er sich den Puderzucker von den Händen und vom Mund und las alle vier Mails noch einmal.
Danach guckte er raus auf den Geländewagen und aß das Teilchen mit großen Bissen und sah auf die Uhr über dem Radio.
Noch kauend nahm er sein Telefon zur Hand. Sie war immer sehr pünktlich. Es war die Zeit.
Jetzt.
Sein Telefon vibrierte. Die Rufnummer war unterdrückt.
Absolut pünktlich.
Seine Klientin sagte, Reden Sie .
Er schluckte und gab die Informationen durch, langsam und klar und tat dann, was er bislang nicht getan hatte: Er stellte Fragen.
Er hörte, Gute Arbeit, aber Sie fragen zu viel.
Er war still.
Er hörte, Falls Sie keine weiteren Fragen haben, hätte ich einen Folgeauftrag für Sie. Interessiert?
Brandner trank noch einen Schluck vom Kaffee, konnte dann seinen Magen nicht mehr ignorieren und hielt den Becher aus dem Fenster und schüttete den Rest aus. Er warf den Becher in den Fußraum zu den anderen und zu der Papiertüte vom Teilchen.
Also was jetzt, interessiert oder nicht?
Er tippte gegen den billigen Plastikanhänger an seinem Rückspiegel, ein Reiter auf einem Pferd und darunter der Schriftzug Winslow, Arizona, und er sagte, Ich höre zu .
Sie waren vorsichtig, zärtlich, wild und ungestüm und laut.
Jetzt lagen sie nebeneinander, verschwitzt, ein wenig verschämt und unsicher ob ihrer Nacktheit und dem, was sie gerade getan hatten, aber zugleich mit einem Lächeln wie niemals zuvor im Gesicht.
„Ich möchte noch etwas unternehmen, Eli. Was wollen wir machen?“
Die Heizung lief auf vollen Touren. Ihm fiel Adams ein. Miete ist dreihundert Mark, inklusive einem Abschlag für Heizung, Strom und Wasser. Der Abschlag ist nicht so üppig, sei also sparsam, okay? ... Ist das Mädchen deine Freundin? Wenn du sie mal mit hoch nehmen willst, klär das vorher mit der Frau Rommelfanger ab ... Die Frau Rommelfanger hat das Bett frisch bezogen.
„Was willst du machen?“
„Wie wärs mit Kino?“, sagte Layla.
„Kino?“
„Wir könnten im Dunkeln knutschen.“
„Und danach ins Tönnchen. Tanzen. Heute ist Disco.“
„Und später wieder hierher kommen.“
„Das wäre phantastisch.“
„Aber ich kann nicht über Nacht bleiben. Meine Eltern flippen aus.“
„Dann los.“
Elijah nahm etwas von dem Geld, das Adams ihm gegeben hatte und steckte es in seine Jackentasche. Den Großteil versteckte er im Eisfach seines kleinen Kühlschranks.
„Cooles Versteck“, sagte Layla.
„Das lernst du, wenn du Eltern hast wie ich.“ Er lächelte. „Bisher.“
Die Dusche war zu klein, also duschten sie nacheinander und zogen sich an.
Sie gingen Hand in Hand, manchmal hüpfte Layla neben ihm, manchmal blieben sie stehen und küssten sich. Irgendwann erreichten sie die Innenstadt und hatten sich schnell gegen den zweiten Teil von La Boum in der Flimmerkiste entschieden und fürs Atrium und Louis de Funés, Louis und seine verrückten Politessen. Vom Film bekamen sie nicht viel mit.
Später aßen sie Currywurst und Pommes und schlenderten Hand in Hand und beide mit einem großen Lächeln im Gesicht durch die engen Straßen der Stadt und kamen schließlich auf den Domfreihof und zum Tönnchen. Drei Tonnen Club e.V.
Sie ließen sich ihre Handrücken stempeln und gingen hinein, die Treppe hinunter und sofort auf die Tanzfläche zu Kiss, I was made for loving you, baby .
Das perfekte Lied für einen perfekten Abend.
Noch am selben Nachmittag war Elijah zurück im Gefängnis. Er zeigte wieder seinen Ausweis und passierte die Schleuse, gab wieder Telefon und Dienstwaffe ab, ließ die braune Papiertüte kontrollieren, die er mitgebracht hatte und erklärte, was er damit vorhatte und bekam das Okay, zeigte erneut seinen Ausweis, wieder der zierlichen Schwarzhaarigen vom Morgen.
„Hallo, Frau d’Antonio.“
„Herr Leblanc, hallo mal wieder.“
„Es hat nicht geregnet seit heute Morgen.“
„Leider.“ Sie lächelte. Wenig nur, aber es war ein Lächeln. „Nochmal den Snydr und dazu Nevada also. Wen zuerst?“
„Nevada, bitte.“
„Gut. Wird etwas dauern, da wir zu dem nur zu zweit gehen und wir ihm auch Fußfesseln anlegen müssen.“ Sie gingen dieselben Gänge wie zuvor. Alle Zellentüren waren jetzt geschlossen. Der Besuchsraum war wieder völlig leer. „Mein Kollege und ich werden Nevada holen, dann aber hier im Raum bleiben. Bei Snydr ebenso. Setzen Sie sich schon mal.“
Bei Snydr ebenso.
Etwas musste geschehen sein.
Elijah setzte sich auf den Stuhl von zuvor, legte seinen Hut neben sich auf den Tisch, stellte die Tüte neben den Hut und wartete.
Der Kerl, den d’Antonio und ihr Kollege fünfzehn Minuten später hereinführten, trug Chinos und olivfarbenes T-Shirt und Fesseln an Händen und Füßen. Die Kette klackte auf dem Boden. Das Shirt zeigte dunkle Flecken unter den Achseln und auf der Brust und am Kragen. Kein Wunder. Es war immer noch heiß draußen und immer noch sehr heiß drinnen. Elijah lief wieder eine Perle den Rücken hinunter.
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