Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. Sie mochte Anthos. Vielleicht war sie auch ein wenig verliebt in den hübschen Neffen ihres Gemahls. Er war so zuvorkommend und wohlerzogen. Das genaue Gegenteil Edrycs. Der Gedanke an ihren Mann rief zwiespältige Gefühle in ihr wach, wie immer. Sie wusste nie, ob sie Angst vor ihm haben sollte oder ob eher Mitleid angebracht war. Manchmal, wenn er jammerte und weinte wie ein kleines Kind, hätte sie ihn gerne getröstet, ihn in die Arme genommen, auch wenn das nicht angemessen war. Dann wieder, wenn er tobte und schrie, musste sie all ihren Mut zusammennehmen, um ihre Angst zu überwinden. Ein Schauder überlief sie. Warum nur hatte sie diesen Mann zum Gefährten nehmen müssen?
„Es ist so ungerecht!“, murmelte sie düster. „Nur, weil ich eine Frau bin, darf ich nicht selbst über mein Schicksal bestimmen.“
Es war müßig, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, das wusste sie nur zu gut.
Wenn ich nur so viel Magie beherrschen würde, dass ich alle, die mir Böses wollen, in Angst und Schrecken versetzen könnte!
Der Gedanke, dass sie ihre Magie nur zu erwecken brauchte, verfolgte sie schon, seit ihre Mutter ihr vor vielen Sommern erzählt hatte, dass auch Magier zu ihren Vorfahren gehörten. Er war zu ihrem Rettungsanker geworden, mit dessen Hilfe sie sich ihrer Bestimmung entziehen wollte, einer Bestimmung, von der sie glaubte, dass sie ungerecht war. Ihre Familie konnte sich rühmen, einen uralten Stammbaum zu besitzen, der bis zum Beginn der magischen Kriege zurückreichte. Unter ihren Ahnen befanden sich die Edelsten der Hynnen, dieses sagenhaften Volkes, das einst Myn Fantrix bewohnt hatte. Die Hynnen hatten selbst keine magischen Kräfte besessen, aber eine Verbindung zwischen ihnen und einem Magier musste doch ein mächtiges Wesen erschaffen!
Warum also war sie dann so schwach?
Warum konnte selbst der Stein nichts daran ändern, den sie von ihrer Mutter bekommen hatte?
Hylweth erhob sich, lauschte noch einmal. Alles war ruhig. Noch keine Schritte auf dem Gang, niemand, der in den Speiseraum eilte. Das Abendessen war wohl noch nicht fertig. Sie hatte noch Zeit, einen kurzen Blick auf ihr gut gehütetes Kleinod zu werfen.
Hylweth öffnete die große Truhe, die am Fußende des mit reichen Schnitzereien verzierten Bettes stand. Diese Truhe enthielt ihre kostbarsten Habseligkeiten und war mit einem Schloss gesichert, dessen Schlüssel sie an einer goldenen Kette stets bei sich trug.
Ganz zuunterst lag ein Beutel aus schwarzem Leder. Sie öffnete ihn und ließ den Stein auf ihre Handfläche gleiten. Er war so groß wie ihre Faust und viel zu schwer, um als Schmuckstück getragen zu werden. Auch ihre Mutter hatte nicht gewusst, wie ihre Vorfahren zu diesem Kleinod gekommen waren. Seit Generationen wurde es von der Mutter an die älteste Tochter weitergegeben. Der Stein war aus einem eigenartigen Material. Genau genommen konnte es eigentlich kein Stein sein, denn er wechselte ständig seine Farbe. Manchmal war er ölig grau wie das Meer bei Sturm. Dann wieder war er von einem satten Dunkelblau oder so zart gefärbt wie der Morgenhimmel. Und manchmal – so wie jetzt – glaubte sie, Bewegungen in ihm wahrzunehmen. Wirbelnde Schemen, wie sich windende Schlangen. Magie war in ihm – ganz ohne Zweifel. Aber die Königin von Findward war wohl nicht diejenige, die sie wecken konnte. Zu oft hatte sie es schon versucht und genauso oft war sie gescheitert. Der Stein gab sein Geheimnis nicht preis. Gut, sie hatte auch keine magischen Bücher zur Verfügung, keinen Lehrer, der sie unterweisen konnte.
Ein Klopfen an der Tür riss Hylweth aus ihren Gedanken.
„Königin Hylweth? Das Abendessen ist bereit. Ich würde Euch gerne geleiten.“ Anthos nahm die höfischen Regeln sehr ernst. Die Herrscherin sollte stets von ihrem Gemahl zum Essen geführt werden und da König Edryc dies meist verabsäumte, hatte Anthos diese Aufgabe übernommen.
Hylweth wunderte sich kurz über die warme Welle, die sie beim Klang seiner Stimme durchfuhr. Hastig schob sie den Stein zurück in den Beutel, legte ihn in die Truhe und schloss den Deckel.
Niemand durfte von ihrem Schatz wissen, auch Anthos nicht. Perwyns Sohn verabscheute alles, was mit Magie zu tun hatte. Er hasste auch Yal Rasmon, den Feuermagier, der ständiger Gast Edrycs war. Auch Hylweth mochte ihn nicht. Doch manchmal spielte sie mit dem Gedanken, ihn zu bitten, sie zu unterweisen. Aber nur manchmal und nur dann, wenn der Zorn über ihr Schicksal übermächtig wurde. Denn der große Mann mit den dunklen Augen, in denen ein seltsames Feuer glühte, war ihr unheimlich.
„Ich komme“, sagte Hylweth und straffte ihre Schultern. Mit einem leichten Lächeln öffnete sie die Tür. Wie immer war Anthos in Begleitung seiner beiden Leibwächter gekommen. Sie hatte sich an ihren Anblick gewöhnt, fragte sich manchmal geradezu erheitert, ob sie am Ende niemals von der Seite des Berinwarders wichen und womöglich sogar das Lager mit ihm teilten.
Die beiden Männer musterten sie mit ausdrucksloser Miene. Umso mehr genoss sie das bewundernde Lächeln auf dem Gesicht von Perwyns Sohn. Sie würde ihre Rolle spielen. So wie immer bis jetzt.
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