Ein Schauder überlief Yal. Schon des Öfteren hatte der König solche Gedanken geäußert. Er würde wohl die Zusammensetzung des Heiltranks ändern müssen, um Edryc wenigstens ein bisschen helfen zu können.
„Ich danke Euch, Feuermagier. Ich werde Euch für Eure Dienste gut belohnen.“
Yal verneigte sich mit einem leichten Lächeln. „Eine Abendmahlzeit wäre als Entlohnung ausreichend genug.“
Der König entließ ihn mit einem gnädigen Winken seiner Hand. „Geht einfach in den kleinen Speiseraum, dort bekommt Ihr, was Ihr wollt. Ich werde mich vor der Abendmahlzeit noch ein wenig ausruhen.“
Yal verließ die Gemächer des Königs. Auf der Treppe begegnete ihm ein junger Mann, der ihn mit finsterem Blick musterte und grußlos in den Gang einbog, der zu den Gemächern der Königin führte. Er wurde begleitet von zwei weiteren Männern, einer von ihnen ein wahrer Hüne mit kahlgeschorenem Kopf, der andere wirkte daneben unauffällig und schmächtig, obwohl auch er den gestählten Körper eines Soldaten hatte. Ihre Gesichter zeigten keine Gefühlsregung. Yal wich ihnen mit einer eleganten Bewegung aus.
Die drei Männer waren Gäste aus Berinward. Anthos, der dritte Sohn Perwyns und Neffe Edrycs und seine Leibgardisten. Der junge Mann war vor einigen Monden an den Hof von Halfyd-Arn gekommen. Böse Zungen munkelten, dass Perwyn einen Aufpasser geschickt habe, um seinen Bruder zu kontrollieren, aber dafür eignete sich dieser Junge wohl nicht. Es gab allerdings auch Gerüchte, dass Anthos schon als Nachfolger für Edryc bestimmt war. Er hätte auf jeden Fall altersmäßig besser zu der Königin gepasst, die gerade achtzehn Sommer zählte. Die Gesetze für die Thronfolge in Findward waren ziemlich kompliziert, aber ein gemeinsames Kind des Herrscherpaares hätte ohne Zweifel den Frieden noch für längere Zeit gesichert. Allerdings war die Verbindung Hylweths mit Edryc noch immer kinderlos, obwohl sie seit mehr als vier Sonnenumläufen ein Paar waren.
Yal seufzte in Gedanken. Dem Reich standen wohl unruhige Zeiten bevor.
Er betrat den vom König genannten Speiseraum, ein weiteres Erkerzimmer, das ein Stockwerk unterhalb der Gemächer des Herrschers lag. Die Sonne war untergegangen und die Nacht starrte ihn durch die Glasfenster an. Die Kerzen waren noch nicht entzündet worden, aber Yal empfand die Finsternis als wohltuend.
Er setzte sich auf einen der gepolsterten Stühle mit den hohen, geschnitzten Lehnen und betrachtete abwesend die polierte Platte des Tisches. Zu viele Gedanken kreisten durch seinen Kopf und er war froh über diesen Augenblick der Ruhe.
Er spürte sie, bevor sie den Raum betrat. Eine frische, leicht salzige Brise, den Geruch von Meerwasser.
„Ah, Yal Rasmon!“ Die Überraschung war deutlich aus ihrer Stimme zu hören.
Er hob den Kopf und starrte die Frau an, die mit fließenden Bewegungen auf ihn zu schwebte. „Herrin des Wassers? Was führt Euch hierher – ein Antrittsbesuch beim Herrscher von Findward?“
Lalana lächelte. „Eigentlich nicht. Ich wollte mit Euch sprechen, Feuermagier.“
Yal hob die Augenbrauen. „Woher wusstet Ihr …?“
„Eine überflüssige Frage, mein Lieber. Seit ich aus Ranasor zurückgekehrt bin, achte ich auf alle Eure Schritte.“
Eine leichte Gänsehaut überflog ihn. Das Glitzern in Lalanas Augen sagte ihm, dass sie seine Reaktion sehr wohl bemerkt hatte. Trotzdem versuchte er, sein Unbehagen zu überspielen.
„Eigentlich reicht mir Varruk schon als Aufpasser“, meinte er leichthin.
„Varruk? Oh, ich denke, der hat momentan anderes zu tun. Wisst Ihr eigentlich schon, dass Sel Dragmon und Syluva Karamon verschwunden sind?“
Eine heiße Flamme schoss durch Yals Herz. „Verschwunden?“
„Ja. Varruk wird sich wohl nach weiteren Anwärtern für den Weisen Rat umsehen müssen.“
Wirre Gedanken kreisten in Yals Bewusstsein. Varruk – er hat sie beseitigt. Sie waren immer anderer Meinung als er.
Lalana musterte ihn aufmerksam. „Denkt Ihr? An Eurer Stelle würde ich das sofort vergessen.“
Yal starrte sie erschrocken an.
Die schöne Wassermagierin lächelte. „Keine Angst, ich werde Euch nicht verraten. Mir liegt sehr viel daran, dass Ihr am Leben bleibt.“ Sie legte ihre Hand auf seinen Arm. Yal zuckte leicht zusammen, als er die Kälte ihrer Finger spürte.
Der eindringliche Blick, mit dem Lalana ihn ansah, nahm ihn gefangen. „Ihr müsst das Abbild von Myn Fantrix finden“, flüsterte sie. „Es ist Madryls Vermächtnis.“
Das Leid in ihren Augen machte ihn betroffen. „Ich werde mein Bestes tun“, sagte er und wollte sich von ihr lösen. Ihr Griff verstärkte sich. Kälte strömte in ihn, eine Kälte, die starr machte und jeglichen Willen ausschaltete.
„Sagt es mir“, zischte Lalana. „Wer hat Madryl getötet? Wart Ihr es?“
Eisige Nadeln stachen durch seine Haut, brannten sich in ihn. Noch immer starrte er in ihre Augen, in blaues, lähmendes Eis. Seine Gedanken trugen ihn fort, entwischten ihm.
Dunkelheit.
Feurige Zungen, die über einen bewegungslosen, zusammengesunkenen Haufen leckten. Brenne Verräter!
Drängendes, klirrendes Flüstern.
Sagt es mir! Wer war es? Den Namen!
Eine schwache Flamme flackerte in seinem Inneren auf.
Lasst mich. Ich kann nicht.
Die Flamme wurde größer, breitete sich in ihm aus, erfasste ihn zur Gänze, verdrängte die Kälte.
„Nein!“ Yal riss sich los, eine Feuerzunge raste aus seinen Händen auf Lalana zu.
Die Wassermagierin taumelte zurück, streckte abwehrend die Hände aus, ein Wasserstrahl löschte das Feuer.
Yal beobachtete sie, schwer atmend.
Lalana erholte sich schnell von ihrer Überraschung. „Ihr seid stark, Yal Rasmon“, sagte sie spöttisch. „Aber es wäre besser, Ihr würdet Euch nicht gegen mich stellen.“ Sie drehte sich um und rauschte hinaus.
Yal starrte ihr nach, zu erschöpft und verwundert, um etwas zu denken. Er versuchte, das flaue Gefühl zu ignorieren, das sich in ihm ausbreitete. Sich Lalana zur Feindin zu machen, war bestimmt genauso unklug, wie Varruks Kontrolle entfliehen zu wollen.
Wie er es auch drehen und wenden mochte – es sah nicht gut aus für ihn.
Aber immerhin – es war nicht Varruks Kraft gewesen, die Lalana abgewehrt hatte. Er selbst, seine eigene Magie, hatte es geschafft, sich der Kraft der Wassermagierin zu entziehen.
Es funktionierte nicht. Sie hatte keine magischen Kräfte. Oder wenn doch, dann waren sie viel zu schwach.
Hylweth Magfyna, Gemahlin Edryc Treleyons und Königin von Findward, starrte mit gerunzelter Stirn auf die Wasserschale, die halb gefüllt auf ihrem Waschtisch stand. Die Oberfläche war glatt wie ein Spiegel, sie konnte ihr eigenes Gesicht darin sehen. Sie hob die Hand, spreizte die Finger und hielt sie über die Schale. „Beweg dich, los! Ich will, dass du dich bewegst!“
Winzige, kaum wahrnehmbare Wellen kräuselten das Wasser. War das ihre Magie? Oder doch nur das Zittern ihrer Finger, das sich auf die Flüssigkeit übertrug?
Mit einem tiefen Seufzer wandte Hylweth sich ab. Es war anstrengend, sich so sehr zu konzentrieren. Noch dazu, wenn das Ergebnis immer wieder enttäuschend ausfiel. Es wäre besser gewesen, endlich aufzugeben, den Traum zu vergessen, dem sie seit ihrer Kindheit nachhing. Die Versuche, ihre Magie zu wecken, waren zu einer beinahe täglichen Übung geworden, die sie mit Verbissenheit verfolgte. Warum sie das tat, hätte sie nicht sagen können. Vielleicht sollten sie auch nur dazu dienen, sie von ihrer Unzufriedenheit abzulenken.
Erst jetzt merkte sie, wie spät es bereits war. Die sinkende Sonne sandte ein rötliches Glühen in ihre Gemächer.
Die Königin lauschte. Anthos würde wohl bald kommen und sie zum Abendessen geleiten.
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