Plötzlich eine Berührung auf ihrem Haar – nur ein zarter Hauch. Sie lag still, lauschte in die schwere Dunkelheit. Nahm die Ahnung von etwas Fremdem wahr. Die Nähe eines anderen Wesens.
Schweiß drang aus sämtlichen Poren ihrer Haut. Heiß! Es war plötzlich so heiß!
Aber sie vermochte sich nicht zu rühren.
Etwas legte sich auf ihr Gesicht. Eine Hand. Catherine wollte schreien, konnte den Mund nicht öffnen. Auch die Augen nicht. Ihre Lider waren bleischwer.
Die Hand schwebte noch immer über ihrem Gesicht, tastete es vorsichtig ab. Das panische Gefühl verschwand, verebbte in leisen Wellen.
Catherine nahm einen eigenartigen Geruch wahr – er erzeugte einen Eindruck von sonnenüberfluteten Waldlichtungen, exotisch duftenden Blumen und rauchendem Holzfeuer. Sie entspannte sich, atmete ruhig ein und aus.
Die Hand verließ ihr Gesicht, fuhr über ihren Hals, legte sich auf die linke Brust, umfasste sie kurz, schmiegte sich an die Rundung, für den Bruchteil einer Sekunde. Zuckte zurück und war verschwunden.
Catherine keuchte erschrocken, riss die Augen auf.
Nichts – alles still. Kein Laut, keine Bewegung.
In einem plötzlichen Anfall von Panik tastete sie nach dem Schalter für das Nachtlicht und knipste ihn an. Was für ein merkwürdiger Traum! Sie legte die Hand auf die Brust, da, wo sie noch immer das Echo der zarten Berührung auf ihrer Haut spürte. Die Erinnerung an die Nähe eines anderen Wesens war ganz deutlich. Ein Mann? Dieser Duft – wessen Duft? Nicht Pauls Geruch – für einen Moment hatte sie geglaubt, ihn zu spüren, hatte gehofft, er sei zu ihr gekommen, um sie zu trösten. Nein – nicht Paul. Jemand anderer.
Catherine starrte benommen auf die Bettdecke. Eine Halluzination? Ausgelöst durch ihre verworrenen Gedanken, ihre tiefe Verzweiflung, die Tabletten vielleicht – ein Zusammenspiel, das sie womöglich langsam in den Wahnsinn treiben würde? Der Schritt in die absolute Selbstaufgabe war nicht groß. Sie war schon mehr als einmal nahe daran gewesen ihn zu setzen.
Plötzlich spürte sie ein leises Ziehen, ein Pochen unter dem linken Schlüsselbein.
Catherine stand auf und stolperte in das Bad. Sie schob das Nachthemd zurück, trat an den Spiegel, löste vorsichtig den Verband und betrachtete die Tätowierung. Für einen Moment glaubte sie, einen kleinen orange glühenden Funken zu sehen, dort, in der Mitte des Labyrinths.
Nein – es musste eine Täuschung gewesen sein. Die Haut war noch immer ein wenig gerötet. Alles ganz normal.
Sie schüttelte verwirrt den Kopf und stieg wieder in das Bett. Müdigkeit kroch von den Füßen aufwärts über die Beine, die Arme, bis in den Kopf. Sie hatte kaum noch die Kraft, die Nachttischlampe auszumachen. Ihre Augen fielen zu und augenblicklich war sie eingeschlafen.
Die untergehende Sonne warf lange Schatten, als Yal sein Haus verließ. Der Wind trug ihm den Geruch der Torffeuer von Halfyd-Send, dem größten Dorf von Findward, zu. Die Ansiedlung war um die Königsburg, Halfyd-Arn, erbaut worden und mit einer Befestigungsmauer gesichert, die schon vielen Anstürmen standgehalten hatte. Findwards Lage am Meer und sein natürlicher Hafen hatte immer wieder die Herrscher der Nachbarreiche zu Eroberungsversuchen des eigentlich kleinen Landes verleitet, obwohl es von der Seeseite so gut wie uneinnehmbar war. Seit Edryc Treleyon von Berinward, der dem Fürstengeschlecht des gleichnamigen Nachbarreiches angehörte, die Erbin von Findward zur Frau genommen hatte, herrschte allerdings Frieden.
Perwyn Treleyon, sein Bruder, Herr über das etwa dreimal so große Berinward, hatte gleich zwei Vorteile aus dieser Verbindung gezogen: Findward würde früher oder später ganz in die Hände seiner Familie fallen, denn es sah nicht so aus, als würden der Verbindung Edrycs mit der Königin von Findward jemals Kinder entsprießen. Außerdem war sein seltsamer jüngerer Bruder versorgt und damit vom Hof Berinwards entfernt.
Yal interessierte sich nicht besonders für die Politik der Menschen, aber da er zu Edrycs bevorzugtem Gesprächspartner geworden war, hatte er notgedrungen viele Einzelheiten von dessen unglücklicher Familiengeschichte mitbekommen.
Yal stieß die Luft aus. Keine Annehmlichkeit ohne Opfer! Auch diesmal würde sein Abendessen wohl mit den krausen Gedanken und Launen des Herrschers von Findward gewürzt sein.
Er raffte seinen langen, schwarzen Umhang und ging mit geschmeidigen Schritten den Pfad hinab, der zum Dorf führte. Kurz hielt er inne und sah noch einmal zurück zu seinem kleinen Refugium. Er war König Edryc dankbar, dass er ihm das leerstehende Häuschen geschenkt hatte. Es brauchte nicht viel, um ihn zufrieden zu stellen. Ein Dach über dem Kopf und ein Bett, um darin zu schlafen. Und einen Badezuber. Regelmäßige Bäder waren ihm zur Gewohnheit geworden, seit er sich in Findward niedergelassen hatte. Die Wärme des Wassers ließ ihn seine düsteren Gedanken wenigstens für ein Weilchen vergessen. Und noch immer war ihm das nasse Element vertrauter, als man es bei einem Feuermagier vermuten mochte. Aber auch seine Zerrissenheit war ihm beinahe zur Gewohnheit geworden. Er dachte nicht mehr viel darüber nach, warum ihn so gegensätzliche Elemente wie Feuer und Wasser beinahe gleichermaßen anzogen und warum er nach wie vor Erdmagie einsetzte, um zu heilen.
Der schmale Pfad mündete in eine breite Sandstraße, die direkt nach Halfyd-Send führte. Die Landschaft lag still und verlassen vor ihm. Jetzt, kurz vor Sonnenuntergang, waren die Bauern, die untertags ihre Felder bestellt hatten, in ihre Hütten zurückgekehrt. Der Geruch der frisch umgepflügten Erde erfüllte die Luft.
Yal wunderte sich über das Gefühl von Freiheit, das er mit einem Mal zu spüren glaubte. Er blieb stehen, horchte in sich hinein. Kein fremder Gedanke, der sich in seine stahl, keine flüsternde Stimme, die ihm Befehle gab. Varruk hatte wohl Wichtigeres zu tun, als seinen Diener zu beaufsichtigen.
Ein glühender Pfeil schoss mit einem Mal durch seinen Kopf.
TÖTE IHN! ICH BEFEHLE ES DIR!
Messerscharf drangen die Worte in sein Inneres, ließen ihn zittern. Dunkelheit wallte vor ihm auf, nahm ihm jede Sicht. Yal kniff die Augen zusammen, riss sie wieder auf, aber es half nicht.
Er war blind.
Panisch tastete er um sich, nahm jetzt feurige Schemen wahr, zuckende Flammen, eine brennende Gestalt, die sich vor ihm wand.
Nimm die Steine! Er ist ein Verräter!
Nein! Das – das kann ich nicht! Verlange das nicht von mir!
Das war seine eigene Stimme, verzerrt vor Angst.
Hitze jagte durch ihn, er brannte. Flammen tanzten auf ihm, er roch sein eigenes Feuer. Beißender Gestank nach verkohlten Haaren und Fleisch.
NIMM DIE STEINE!
„NEIN!“
Sein eigener Schrei holte Yal zurück in die Wirklichkeit. Benommen starrte er auf die Umgebung, auf die vertrauten Hügel und auf die Straße, die sich hell im letzten Licht der Sonne abzeichnete.
Eine Vision. Oder eine Erinnerung. Kehrte sein Gedächtnis zurück, jetzt, da Varruk ihm einen Augenblick der Freiheit gegönnt hatte?
Wenn ja, wäre es besser gewesen, nichts zu wissen.
Ein Schaudern überlief ihn und hastig eilte er weiter. Das Bedürfnis, die schützenden Mauern von Halfyd-Send zu erreichen, wurde übermächtig, aber er war zu ausgelaugt, um mit Hilfe von Feuermagie zu reisen. Außerdem boten Mauern vor dieser Art von Heimsuchung ohnehin keinen Schutz.
Yal atmete erleichtert auf, als die Befestigungsanlage von Halfyd-Send und die Umrisse der Königsburg vor ihm erschienen. Wuchtig thronte der Herrschersitz von Findward auf einer leichten Anhöhe über den Häusern des Dorfes. Halfyd-Send zählte an die zehntausend Seelen, denn selbst in Friedenszeiten suchten viele den Schutz der befestigten Anlage.
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